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Ein Mitglied der Internationalen Kommission für vermisste Personen inspiziert die exhumierten Überreste von Kriegsopfern.

Foto: AP/Zabus

Die Ergebnisse fließen unter anderem in den Prozess gegen den bosnisch-serbischen General Ratko Mladić ein.

Als das Grab in Tomašica vor einigen Monaten entdeckt wurde, begannen viele Leute in den Dörfern links von der Sana zu hoffen, dass sie nun doch ihre Verwandten bestatten können, 22 Jahre nachdem diese ermordet wurden. Dermot Groome, ein Staatsanwalt des Jugoslawien-Tribunals, kündigte an, dass die Untersuchungsergebnisse in den Prozess gegen den ehemaligen bosnisch-serbischen General Ratko Mladić aufgenommen werden können. Zwölf der etwa 470 Skelette, die in Tomašica gefunden wurden, könne man direkt mit den Anschuldigungen gegen Mladić in Zusammenhang bringen.

Mittlerweile werden hunderte der Skelette analysiert. Die Internationale Kommission für vermisste Personen (IC-MP), die in Sarajevo ihren Sitz hat, führt DNA-Analysen der Knochen durch, um Verwandtschaftsverhältnisse zu klären. Insgesamt hat IC-MP mehr als 90.000 DNA-Proben, um die Toten der Balkankriege den Hinterbliebenen zuzuordnen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass so systematisch versucht wird, die Opfer zu identifizieren.

Hinweise auf Gräber

Das Headquarter von IC-MP befindet sich am Stadtrand von Sarajevo. Hier arbeiten nicht nur Forensiker, sondern auch jene, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, möglichst viele Überreste von Vermissten zu finden.

Einer von ihnen ist Ian Hanson. Die Informationen, wo sich die Gräber befinden, kämen aus verschiedenen Quellen, erzählt Hanson. "Von Opfern, von Tätern, aus zweiter oder dritter Hand."  Die meisten Massengräber wurden durch Satellitenaufnahmen entdeckt, die die US-Regierung zur Verfügung gestellt hat. Die Kommission konnte bisher etwa 22.000 Opfer der drei Balkankriege identifizieren.

Im Fall von Tomašica war bereits kurz nach dem Krieg 1996 von einem Massengrab die Rede, 2002 hat man in der Gegend auch gegraben, doch erst im Vorjahr im September wurde das Grab wirklich entdeckt. 40.000 Kubikmeter Erde mussten entfernt werden.

Die meisten Massengräber befinden in jenem Teil von Bosnien-Herzegowina, in dem ein Großteil der muslimischen und kroatischen Bevölkerung vertrieben oder getötet wurde. Die Überreste werden zunächst nach Sanski Most gebracht, dann werden Knochenproben entnommen und diese ins Labor nach Sarajevo zur DNA-Analyse geschickt.

Dort surren graue Maschinen, die wie Registrierkassen aussehen. Sie spucken Zetteln mit merkwürdigen Kurven aus, die darüber Auskunft geben, ob die DNA der gefundenen Knochen mit jener der Verwandten übereinstimmen. Der Prozess dauert zwei bis drei Monate.

Ana Bilić, Vizeleiterin des Laboratoriums, steht vor einer Glaswand, hinter der Frauen mit weißen Hauben Pipetten überprüfen. Sie zeigt ein Plastiksäckchen mit Materialien, die für die Blutproben der Verwandten verwendet werden: ein weißes Blättchen Papier mit vier Kreisen, auf die das Blut getropft wird, eine Stechhilfe, mit der man sich in den Finger piksen kann. "Das Blut hält 20 Jahre" , erklärt Bilić. Zigtausende auf dem Balkan haben Blutproben gegeben, um ihre Verwandten identifizieren zu können.

Aufwändige Analyse

Viel aufwändiger ist es, die DNA in den Knochen der Opfer festzustellen, vor allem wenn diese seit zwanzig Jahren unter der Erde liegen. Insgesamt braucht man aber nur ein paar Gramm, um die DNA festzustellen. Zunächst wird die Oberfläche des Knochens abgeschliffen, etwa ein bis zwei Millimeter, und dann in eine Bleichlösung gegeben und mehrmals gereinigt, erklärt Bilić. Dann wird die Knochenprobe zermahlen und chemisch aufgelöst. Erst wenn 99,95 Prozent der Marker mit den Blutproben der Familienangehörigen übereinstimmen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich um den Vermissten handelt.

Ein Problem ist, dass viele Überreste menschlicher Körper – insbesondere in Gebieten, wo es ethnische Säuberungen gab – von Primärgräbern in Sekundärgräber gebracht wurden. Manchmal bringen die DNA-Analysen auch Überraschendes zutage. In einem Fall, wo eine Frau ihren Sohn, der im Bosnien-Krieg verschwunden ist, suchte, wurde ihr Vater, der im Zweiten Weltkrieg verstorben war, gefunden. Ein nächstes Einsatzgebiet für IC-MP könnte Syrien sein, wenn der Konflikt dort beendet ist, heißt es in Sarajevo. Auch in Bosnien-Herzegowina will man mit der Arbeit weitermachen, wenn man auch davon ausgehen kann, dass niemals alle Toten gefunden werden.

"Es geht darum, dass die Familien zu ihrem Recht kommen" , sagt Matthew Holliday, der in der Kommission für die Arbeit mit der Zivilgesellschaft zuständig ist. Für manche Angehörige sei es wichtig, dass die Toten gefunden werden und rituell begraben werden, um mit dem Verlust ein wenig besser umgehen zu können. "Die Identifizierung der Toten soll nicht zu einem Anliegen von politischen Parteien werden" , sagt Holliday. "Die Sache ist ohnehin fürchterlich politisiert. Diese Knochen haben viel politisches Kapital."   (Adelheid Wölfl aus Sarajevo /DER STANDARD, 11.1.2014)