Die ägyptischen Verfassungsschreiber haben mit einem wirklichen Übel in dem un­ter Präsident Mohammed Morsi im Dezember 2012 angenommenen Text aufgeräumt: Zwar wurde damals nicht, wie von manchen Islamisten gefordert, Artikel 2 verschärft, der die Prinzipien der Scharia als hauptsächliche Rechtsgrundlage festschreibt, aber in einem zusätzlichen Paragrafen (Artikel 219) war die Scharia als rein sunnitisch definiert worden – eine klare Diskriminierung der Nichtsunniten.

Den Artikel gibt es im vorliegenden Verfassungsentwurf nicht mehr, außerdem wird auch Artikel 2 sozusagen entislamisiert, wenn der Oberste Verfassungsgerichtshof als Schiedsrichter dar­über, was der Scharia ent- oder ­widerspricht, nun wieder gestärkt wird. In der Morsi-Verfassung wurde die theologische Institution Al-Azhar zur Instanz dafür erklärt – diese Aufgabe hat sie verloren und ist dadurch besser vor Politisierung geschützt.

Dennoch bleibt der Verfassungsentwurf klar hinter den Hoffnungen zurück, was die Gleichstellung der Religionen in Ägypten betrifft. Neben dem Islam finden nur die beiden anderen abrahami­tischen Religionen, Judentum und Christentum, volle Anerkennung.

Kirchenbau-Versprechen

Juden und Christen wird wie schon zuvor ihr eigenes Personenstandsgesetz garantiert, die Christen bekommen die Zusage, zur freieren Ausübung ihres Ritus in der ersten Legislaturperiode ein neues Gesetz zu bekommen, das den Kirchenbau regelt. Neue Kirchen zu bauen war in der Vergangenheit immer ein Problem. Indem er jedoch den einen etwas verspricht, hingegen den anderen – den Nichtabrahamiten – nichts, sieht der Text so aus, als sei er noch diskriminierender geworden. Die Hoffnung etwa der Bahai auf mehr Luft zum Atmen ist damit zunichtegemacht.

Der Ausschluss der Nichtabrahamiten ist eine Konzession an die Salafisten, die ja, obwohl sie die eigentlichen Fundamentalisten sind, großteils die Absetzung Morsis, die Verfassungsschreibung und auch jetzt das Referendum mitgetragen haben. Dafür lassen sie sich sogar die Religion als Parteigrundlage verbieten – und die antischiitische Waffe in Artikel 219 wegnehmen, für den sie 2012 lobbyiert haben.

In der unter Morsi eingesetzten Verfassungskommission hatten die Salafisten noch dafür gekämpft, dass in Artikel 2 nicht mehr die "Prinzipien"  der Scharia, also rechtsethische Prinzipien, sondern die Scharia selbst – die es aber in kodifizierter Form gar nicht gibt – als einzige Rechtsgrundlage definiert wird. Artikel 2, den auch der aktuelle Verfassungsentwurf unberührt lässt, ist in seiner jetzigen Form ein Vermächtnis von Anwar al-Sadat. In Kraft war er 1981 getreten, in jenem Jahr, in dem der Präsident von einem radikalen Islamisten ermordet wurde.

Auch die erste Version des Scharia-Paragrafen stammt aus der Sadat-Zeit: In der Verfassung von 1971 war die Scharia aber noch eine, ab 1981 die Quelle des Rechts. Sadat, der selbst religiös war, versuchte damit zu Beginn seiner Präsidentschaft die Muslimbrüder zu versöhnen, um die gegen ihn opponierenden Nasseristen auszubalancieren. (guha/DER STANDARD, 11.1.2014)