Für das alte Rathaus kopierten dessen Erbauer den osmanischen Baustil und nahmen auch Anleihen in Spanien und im arabischen Raum. 

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Manche in der Stadt sagen, dass die Farben fast zu kräftig ausgefallen sind. Tatsächlich hebt sich die Vijecnica, das alte Rathaus, in ihrem leuchtenden Gelb und Rot und den orientalischen Ornamenten von allen anderen Gebäuden der Stadt ab, so als wäre sie aus einem anderen Land eingeflogen worden. Innen wird das zwischen 1892 und 1894 unter der österreichischen Besatzungszeit errichtete Gebäude noch restauriert. Die Wiederaufbaukosten wurden unter anderem von Österreich und aus Mitteln der Europäischen Union bezahlt.

Franz Ferdinand hatte am 28. Juni 1914 noch den Bürgermeister im Rathaus besucht und sich beschwert, dass ein paar Bomben hochgegangen waren. Wenig später wurde der Thronfolger einige Hundert Meter weiter erschossen.

Die Wiener Philharmoniker werden am Jahrestag in der Vijecnica ein Konzert geben. Gratis. Der französische Präsident François Hollande, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer werden erwartet, wenn Franz Welser-Möst das Kaiserquartett von Haydn und das Schicksalslied von Brahms dirigieren wird.

Doch noch umgeben Bauzäune das Gebäude gleich hinter dem osmanischen Basarviertel, das wie kein anderes für die Geschichte der Stadt Sarajevo steht: für ihren Multikulturalismus, für die Zerstörung im Krieg, aber auch für ihren Widerstandsgeist. Im August 1992 wurde die Vijecnica, die damals als Nationalbibliothek diente, von der Armee der bosnischen Serben durch Granatenbeschuss in Brand gesetzt. Die Asche tausender Bücher schwebte damals über der Stadt. Nur wenige Spezialsammlungen, die im Keller untergebracht waren, konnten gerettet werden.

Später, während des Kriegs, traten Musiker in den Ruinen zwischen dem Schutt auf, um darauf aufmerksam zu machen, wie sehr die Stadt unter der Belagerung (1992-1995) zu leiden hatte. Künftig soll das Gebäude hauptsächlich als Sitz der Stadtregierung dienen, so wie unter österreichischer Besatzungszeit.

Der Stil der Vijecnica wird bosnischer Neoorientalismus genannt. Architekten kopierten den osmanischen Baustil, den es in der Stadt seit Jahrhunderten gab, und nahmen Anleihen in Spanien sowie im arabischen Raum. Die Pläne stammten ursprünglich vom tschechischen Architekten Karel Parík. Doch dem k. u. k. Finanzminister und Gouverneur von Bosnien-Herzegowina, Benjámin von Kállay, war das Gebäude nicht groß genug. Paliks Nachfolger Alexander Wittek starb vor der Fertigstellung 1894. Vollendet wurde das Rathaus schließlich von Ciril Ivekovic.

Der österreichischen Verwaltung diente das Rathaus zur Machtdemonstration. In jugoslawischer Zeit wurde es als National- und Universitätsbibliothek "von einem Symbol der Macht zu einem Symbol der Worte und des Erinnerns", sagt der amerikanische Historiker Robert Donia. Ein Teil der Spezialsammlungen soll kommendes Jahr in die Vijecnica übersiedelt werden.

Konflikt um die Einheit

Die Nationalbibliothek selbst bleibt im Dämmerzustand. Amra Res idbegovic, die seit 1978 in der Nationalbibliothek arbeitet, und ihre Kolleginnen und Kollegen haben seit neun Monaten keine Gehälter bekommen. Trotzdem gehen sie jeden Tag zur Arbeit.

Die Nationalbibliothek gehört zu jenen sieben kulturellen Einrichtungen, die seit mehr als einem Jahr offiziell geschlossen sind. Dahinter steckt der Konflikt um die Einheit des Landes. Der zweite Landesteil, die Republika Srpska (RS), die von separatistischen Kräften dominiert wird, lehnt gemeinsame Institutionen des Staates ab. Gleichzeitig unterstützt man separate "serbische" Institutionen. In Banja Luka etwa wurde eine eigene Bibliothek aufgebaut. Allerdings sieht der Friedensvertrag von Dayton 1995 vor, dass kulturelle Angelegenheiten auf kantonaler oder Entitätsebene zu organisieren sind.

Doch die Kulturagenden bleiben 18 Jahre nach Ende des Kriegs im rechtlichen Vakuumszustand. Viele hoffen anlässlich der Wahlen auf eine Lösung. Denn während von europäischer Seite anlässlich des Gedenkens an den Beginn des Ersten Weltkriegs zahlreiche Projekte in Sarajevo gefördert werden, sind die wichtigsten kulturellen Einrichtungen verriegelt.

Residbegovic kritisiert außerdem, dass die Nationalbibliothek nicht einmal die Möglichkeit hat, mit internationalen Organisationen zu kooperieren, weil der Rechtsstatus nicht geklärt ist: "Der Staat liebt uns nicht", sagt sie und schließt eines der Bücher, das vor ihr liegt. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 11./12.1.2014)