Ein Franzose gerät bei einem Aufenthalt in Barcelona zunehmend in Bedrängnis: Lino Ventura in Jacques Derays Thriller "Un papillon sur l' épaule / Mord in Barcelona".

Foto: Österreichisches Filmmusuem

Wien - Es ist ein seltsamer europäischer Moment in Gillo Pontecorvos Film Operación Ogro (1979), wenn ein junger Mann in einer baskischen Schule auf Italienisch seiner Verachtung für die spanische Sprache Ausdruck verleiht. Zugleich könnte man aber auch von einer List der Vernunft sprechen. Denn auf der manifesten Ebene folgen wir hier einer Gruppe der separatistischen Organisation Eta, die in Madrid einen Politiker beschatten, der als Nachfolger des Diktators Franco ausersehen ist und den sie töten wollen; de facto schauen wir aber dem italienischen Star Gian Maria Volonté, der in seiner Muttersprache wehmütig von Euzkadi spricht, dem Baskenland. Der Nationalismus oder Partikularismus, von dem der Film erzählt, wird also durch die internationalen Produktionsumstände Lügen gestraft.

Im Österreichischen Filmmuseum wird Pontecorvos letzter Spielfilm im Januar im Zusammenhang einer Werkschau gezeigt, die ein größeres Projekt flankiert: Thriller-Politik. Italien, Frankreich, die Siebzigerjahre. Es handelt sich dabei um eine Fortsetzung und Ausdifferenzierung des inzwischen über mehrere Jahre zu beträchtlicher Dichte gereiften Untersuchung des italienischen Nationalkinos, das notwendig irgendwann eine europäische Dimension angenommen hat.

Mit Operación Ogro gehört auch Pontecorvo in diesen Kontext, zu dem es im US-Kino übrigens eine bezeichnende Entsprechung gibt. Zu sehen sind Zeugnisse aus einer Ära, in denen die Wirtschaftswunderdemokratien den Schwung der Nachkriegsjahre verlieren und ein tiefes Misstrauen gegen "tiefe" Staatlichkeit zu erkennen ist. Damit sind Strukturen gemeint, die ein eigentliches Machtzentrum hinter dem sichtbaren enthalten. In Henri Verneuils I wie Ikarus (1979) wird ein progressiver Präsident in Frankreich Opfer eines Attentats, das in seinen Merkmalen (Schuss aus einem Hochhaus, Opfer im offenen Wagen) deutlich auf die Ermordung von JFK verweist.

Konspirative Tendenzen

Yves Montand spielt den einsamen Staatsanwalt Volney, der den Untersuchungsbericht, in dem alle Schuld einem Einzeltäter zugeschrieben wird, nicht unterschreibt. Er bekommt dadurch das Mandat, die Ermittlungen neu aufzurollen, was er unter Zuhilfenahme aller Medien dieser Zeit tut: Amateurfilme, Fernsehnachrichten, Tonbandaufzeichnungen.

Verneuil wird in der Filmgeschichte nicht unter den bedeutenden Namen geführt, doch mit diesem exemplarischen Thriller steht er auf einer Ebene mit Alan J. Pakulas The Parallax View. Und es wird erkennbar, dass auch in Europa nach 1968 die Politik das Genre wechselt: von der liberalen Wohlstandsverwaltung zur prekären Verteidigung der Gemeinwohlbestände. Der Thriller, vor allem derjenige, der Konspirationen in den Blick nimmt, wird zur Registratur einer Veränderung, die heute vielfach als Machtergreifung des Kapitals selbst verstanden wird, zu dessen Handlanger sich die Geheimdienste aller Länder machen lassen.

Der Ausnahmezustand (siehe ausdrücklich Etat de siège von Costa-Gavras, dessen deutscher Verleihtitel deutlich oppositionell gefärbt ist: Der unsichtbare Aufstand) ist der Fluchtpunkt dieser gesellschaftlichen Szenarien. Die hellsichtigsten Arbeiten gehen dabei so weit, auch auf der Seite der Verteidiger der Demokratie die Versuchung deutlich zu machen, einmal so richtig durchzugreifen. Leonardo Sciascia, eine der wichtigsten Bezugsfiguren dieser Schau, hat darüber den Mafia-Krimi Der Tag der Eule geschrieben, der 1968 von Damiano Damiani verfilmt wurde: eine Studie über die Ungreifbarkeit der sizilianischen Mafia, die auch darauf bauen kann, dass das staatliche Gewaltmonopol auf der Insel häufig als exekutive Übertreibung erfahren wurde.

Ironischerweise muss Damiani in seiner angemessen klinischen Bearbeitung des Romans wenigstens zum Teil dessen bittere Pointe verdoppeln: Sciascia erzählt davon, dass der Mord an einem linken Bauunternehmer als "Verbrechen aus Leidenschaft" dargestellt wird; und Damiani muss, aus Gründen des Starkalküls, die eigentlich kleine Rolle der Signora Niccolosi deutlich aufwerten, um Claudia Cardinale öfter ins Bild zu bringen. So behauptet sich die "Leidenschaft", die bei Sciascia als Ablenkung dient, als Grundmotiv des Kinos.

Auch der Ausnahmezustand kennt in der Thriller-Politik noch eine Verschärfung: An einem Film wie Mord in Barcelona von Jacques Deray kann man sehen, wie die Intransparenz der Verhältnisse so übermächtig wird, dass die klassischen Genre-Schließungen nicht mehr wirken. Was bleibt, ist ein halber Thriller, der im Opaken steckenbleibt. So bewegt sich das Kino durch eine Ära der Reaktion. Es ist unsere Ära. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 10.1.2014)