Dortmund/Paris/Hagen - Ein mittlerweile 88 Jahre alter Deutscher soll im Zweiten Weltkrieg in Frankreich an der Ermordung von 624 Einwohnern des Ortes Oradour-sur-Glane beteiligt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft Dortmund erhob gegen den Mann aus Köln Anklage wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes an 25 Menschen und Beihilfe zum Mord an mehreren hundert Menschen. Dies teilte das Landgericht Köln am Mittwoch mit.

Auch gegen einen Österreicher und fünf weitere Deutsche werde derzeit ermittelt, erklärte Oberstaatsanwalt Andreas Brendel von der Dortmunder Staatsanwaltschaft. Der angeklagte Deutsche, heute Pensionist, soll Angehöriger der 3. Kompanie des I. Bataillons des SS-Panzergrenadier-Regiments 4 "Der Führer" gewesen sein. Die Tat geschah am 10. Juni 1944. Der Angeklagte war zur Tatzeit 19 Jahre alt. Daher habe eine Strafkammer des Kölner Landgerichts nun als Jugendkammer darüber zu entscheiden, ob das Hauptverfahren eröffnet werde, hieß es.

Racheakt

Laut Anklage sollen die Soldaten den Befehl zur Ermordung erhalten haben, um eine vermeintliche Entführung eines Bataillonskommandanten zu rächen und die Bevölkerung abzuschrecken. Unter den 624 Getöteten waren 254 Frauen und 207 Kinder.

Am Tattag wurde das Dorf zunächst umstellt. Anschließend wurden sämtliche Bewohner auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Männer wurden von den Frauen und Kindern getrennt. Die Männer wurden dann in Gruppen aufgeteilt. Erschießungskommandos führten sie laut Anklage zu vier Scheunen und töteten sie dort.

Dem Beschuldigten wirft die Staatsanwaltschaft vor, gemeinsam mit anderen Kompaniemitgliedern für den Tod von 25 Männern verantwortlich zu sein. So sollen er und ein weiterer Maschinengewehrschütze die Männer in einem Weinlager niedergeschossen haben, bevor die Überlebenden von anderen Soldaten durch Pistolenschüsse und das Inbrandsetzen der Scheune getötet worden seien.

Danach soll der Angeklagte zur Kirche gegangen sein. Darin waren mehrere hundert Frauen und Kinder des Ortes eingesperrt. Angehörige der 3. Kompanie sollen einige von ihnen zunächst mit Sprengstoff, automatischen Waffen und Handgranaten getötet haben. Anschließend wurde die Kirche angezündet. Dadurch sollen die übrigen Frauen und Kinder ums Leben gekommen sein. Der Angeklagte soll bei ihrer Ermordung geholfen haben, "indem er entweder in Sichtweite der Kirche Absperr- und Bewachungsaufgaben übernahm oder Brennmaterial in die Kirche trug", so das Gericht.

Dass erst 70 Jahre nach der Tat Anklage erhoben wurde, beruht laut Landgericht auf einer erneuten Prüfung bereits früher geführter Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft Dortmund. Dort ist die sogenannte Zentralstelle im Bundesland Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen angesiedelt.

Am westdeutschen Landesgericht Hagen wurde unterdessen der Kriegsverbrecherprozess gegen den früheren SS-Mann Siert Bruins wegen der Ermordung eines niederländischen Widerstandskämpfers ist überraschend eingestellt. In den fast 70 Jahren seit der Tat seien Beweise verloren gegangen, begründete das Landgericht Hagen die Entscheidung am Mittwoch. Es sei nicht mehr möglich gewesen, Zeugen zu befragen und zu hinterfragen. Der heute 92-jährige Bruins konnte den Gerichtssaal als freier Mann verlassen. Bruins war angeklagt, mit einem Vorgesetzten im September 1944 den Gefangenen bei einer fingierten Flucht in der Nähe von Groningen erschossen zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft gefordert. (APA, 8.1.2014)