Nach nächtlicher Kollision steigt das Wasser an Bord gefährlich: Robert Redford als namenloser Einzelkämpfer gegen die Elemente und Held von J. C. Chandors "All Is Lost".

Foto: Square One / Universum

Wien - Irgendwann in der Nacht hat es gekracht. Am Morgen wird das ganze Ausmaß des Schadens dann sichtbar: Das Segelboot, mit dem ein US-Bürger im Alleingang auf dem Meer unterwegs ist, hat sich in einem herrenlosen Container verkeilt. Alles ist verloren, so scheint es. Wurde doch gleich zu Beginn des Films aus dem Off eine Art Vermächtnis verlesen, das mit einem leisen "I'm sorry" endete.

All Is Lost ist auch der Titel des zweiten Kinofilms von J. C. Chandor. Der US-Filmemacher debütierte 2011 mit dem Bankencrash-Drama Margin Call - einem auf 24 entscheidende Stunden verdichteten Ensemblefilm. Auf diesen lässt er nun ein Einpersonenstück auf hoher See folgen. Robert Redford hat die tragende Rolle übernommen, und das ist auch insofern bemerkenswert, als der inzwischen 77-jährige Schauspieler dabei vor allem körperlich ordentlich zum Einsatz kommt.

Arbeit an der Lösung

Eine der Stärken von All Is Lost ist nämlich, wie das dramatische Geschehen, das den Zeitraum von etwas mehr als einer Woche umfasst, in eine nahezu ununterbrochene Serie von Tätigkeiten, Handgriffen, Bewegung heruntergebrochen wird. Pragmatisch folgt auf jedes Problem umgehend die Arbeit an der Lösung: Zunächst muss die Virginia Jean vom Container befreit werden, der an einem Eck seitlich in der Außenwand steckt. Unter Deck steigt das Wasser, der Generator ist hin, und auch das Funkgerät funktioniert nicht mehr. Alles noch Brauchbare muss dagegen schleunigst in Sicherheit gebracht und das Loch in der Außenwand möglichst schnell geflickt werden.

"Unser Mann" - unter dieser Bezeichnung firmiert die Figur im Abspann - ist dabei unermüdlich und erfinderisch. Nachts schläft er eben in der Hängematte, die er unten in der Kabine überm Wasser aufspannt. Am nächsten Tag lässt sich die Lage mithilfe einer Pumpe sogar leicht verbessern. Jede Herausforderung wird angenommen, selbst in scheinbar aussichtsloser Lage beweist der Mann Zähigkeit und Nervenstärke.

Dagegen schwächelt der Film immer dort, wo er diesen Fokus aufs Praktische und seinen kargen Materialismus aufgibt: Ob das die grundsätzlich sehr sparsam eingesetzte Stimmungsmusik ist, die dann eben doch manche Situation reichlich bedeutungsvoll akzentuiert. Oder die Tatsache, dass es ausgerechnet ein chinesischer Container mit Kinderturnschuhmassenware ist, der die Jacht des braungebrannten US-Neoruheständlers und Sonntagsseglers rammt, der bei einer Fahrt entlang der Küste New Englands besser aufgehoben wäre.

Mit der Dauer der Erzählung mehren sich symbolträchtige Bilder wie dieses. Nicht nur das erinnert an Alfonso Cuaróns Weltalldrama Gravity. Ganz allgemein kann man All Is Lost als analoge Variation aufs gleiche Thema sehen: Ein Menschlein wird in endloser Weite mit versagender Hardware konfrontiert, in einen Überlebenskampf begleitet, den man zur Erlösungsgeschichte stilisiert.

Robert Redfords unbearbeiteter, "natürlich gealteter" und nicht mehr in jeder Bewegung geschmeidiger Körper fungiert dabei als Gewähr für Authentizität, als Zeuge einer (untergehenden) Zivilisation alter Prägung. Und Redfords Leistung als physischer Performer ist beeindruckend. Für sein Regiedebüt Ordinary People / Eine ganz normale Familie wurde Hollywoods Antistar 1981 mit einem ersten Oscar gewürdigt. 2002 erhielt er den Preis dann bereits für sein Lebenswerk. Möglicherweise könnte man ihm in seiner schon mehr als ein halbes Jahrhundert währende Leinwandkarriere nun noch eine Trophäe als bester Hauptdarsteller nachreichen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 9.1.2014)