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"Raise your hands!", Bruce Springsteen (hier live 2013) kündigt auf seinem neuen Album unter anderem den Weltfrieden an.

Foto: APA/EPA/ANTONIO LACERDA

Wien – Am Anfang gibt der Boss das mutterlose Woodstock-Kind Richie Havens. Er hackt im ruckelnden Rhythmus eines Nahverkehrpersonenzugs ins Gelobte Land seine Gitarre mit reiner Muskelkraft kaputt. Gemeinsam mit dem dramatischen Flageolett- und Wahwah-Effekten unter besonderer Berücksichtigung der Titelmelodie der Fernsehserie Die Straßen von San Francisco nicht eben abgeneigten Verrückter-Wissenschafter-Gitarristen Tom Morello von Rage Against The Machine geht es wieder einmal um ein großes Lebensthema des 64-jährigen Bruce Springsteen. Es geht um Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt und die christlich-fundierte Befürchtung, einmal im Leben (oder danach) für alles bezahlen zu müssen.

Verzückt den Himmelvater anrufende Chordamen gesellen sich nun dazu. Ein Bläsersatz unterstützt Gitarrenlehrer-Angebersoli im Fach Rock meets Metal. Dazu haut den Takt vor allem auch auf den elf folgenden Songs sehr wahrscheinlich nicht ausschließlich ein ehrlicher Handwerker aus New Jersey in die Trommelfelle. Das Ganze wird wie so oft in unserer Technomatikwelt von einem Freizeitelektronikgerät aus dem asiatischen Raum bespielt. In den Himmel kann der Mensch schließlich nur mit der Kraft der Maschinen gelangen.

Dieser Mann kocht

Die ureigene Bruce-Spring­steen-Nummer High Hopes, mit der das gleichnamige neue Bruce-Springsteen-Album startet, stammt interessanterweise nicht von Bruce Springsteen selbst, sondern von einem vergessenen Folksänger aus den 1980er-Jahren namens Tim Scott McConnell. Bruce Springsteen sitzt auf einer Schnellkochplatte. Hitze steigt auf. Heißer Dampf entweicht den Lungen. Dieser Mann kocht.

Nach seiner letzten triumphalen Welttour, die Bruce Spring­steen auch zu einer dreistündigen Stadionmesse nach Wien führte, hat er während Tourpausen kein stringentes neues, wie gewöhnlich linear erzähltes Studioalbum produziert. Bruce Springsteen hat lieber ein wenig in alten Notizblöcken geschmökert, im Archiv gewühlt oder 2013 gern live gespielte Coverversionen auf Breitwandformat hochgefahren.

American Skin ist dabei, ein 2000 zu Ehren des unbewaffneten, in New York von Polizisten erschossenen Immigranten Amadou Diallo komponiertes Klagelied findet sich darunter, dazu gospelartige Songs, die es damals nicht auf sein 9/11-Album The Rising schafften ("I'm buried to my heart here in this hurt.") – oder Erweckungspredigerroutine wie in Heaven's Wall ("Raise your hands!"). Auf Frankie Fell In Love wird gar der demnächst drohende Ausbruch des Weltfriedens angekündigt.

Das Lied This Is Your Sword ­belegt zusätzlich, dass Bruce Springsteen vor seinem letzten Studioalbum Wrecking Ball eigentlich ein Gospelalbum geplant hatte. Das war, bevor er möglicherweise selbst merkte, dass das in seinem Fall bloß eine Verdopplung altbewährter Stilmittel bedeuten würde. Ersetze "Jesus" durch "Frankie" und "Liebe" durch "Sex" mit einer gern in Springsteen-Liedern theologisch-pikant "Mary" genannten Frau auf der Rückbank eines Autos, schon wird aus einer Kirche eine Tankstelle in der Tiefe der amerikanischen Nacht.

Auch anderen alten Bekannten begegnen wir wieder, etwa The Ghost Of Tom Joad. Der steht nun, statt abgerissen mit Wanderklampfe wie einst 1995, feist mit E-Gitarre auf der Bühne. Man ist sehr dankbar, wenn Tom Morello bei dieser Nummer auch singt. Dann kann er keine psychoakustischen Experimentalsoli spielen.

Es folgt noch eine Ballade, in der Bruce Springsteen an sein Jugendidol, den seit 1968 im Vietnamkrieg verschollenen Rocksänger Walter Cichon von The Motifs aus New Jersey, erinnert – sowie Rentensicherung. Just Like Fire Would der australischen Punk-Opas The Saints sowie Dream Baby Dream der New Yorker Elektronikpioniere Suicide werden heim nach Bonjovistan geholt. Zumindest deren Bankberater freut sich. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 9.1.2014)