Illustration: Fatih Aydogdu

Bar - "Hast du nicht Lust, morgen mit mir in die Schule zu gehen?", fragte mich Edita spontan. Sie ist meine alte Nachbarin und ziemlich beste Freundin, seit ich denken kann. Ich traf sie wieder, als ich über Weihnachten zu meinen Verwandten nach Bar flog, einer kleinen Küstenstadt in Montenegro.

Erst verstand ich nicht genau, warum sie ausgerechnet am 24. Dezember in die Schule wollte, schließlich verbringt man Heiligabend ja eigentlich im engen Kreis der Familie in Stille und Besinnlichkeit. Doch dann erinnerte ich mich wieder, dass der Großteil der Menschen in Montenegro der orthodoxen Glaubensgemeinschaft angehört, die Heiligabend erst am 6. Jänner feiert. Zudem sind viele Menschen in Bar auch Muslime.

Meine Eltern, mein Bruder und ich feiern Weihnachten ja auch nur, "weil das in Österreich eh jeder macht", unsere Verwandten in Montenegro aber gar nicht. Warum also dann nicht gleich ganz normal in die Schule gehen, dachte ich mir und verabredete mich mit Edita für den nächsten Tag zur Mittagsstunde vor ihrem Haus.

"Warum hast du eigentlich erst um 13 Uhr Schule?", fragte ich sie, als wir im Bus auf dem Weg zur Schule saßen. Sie erklärte mir, dass in ihrem Heimatort zwei Schulen in einem Gebäude untergebracht seien, da es zu viele Schüler gäbe, aber nicht ausreichend Platz. Die eine hätte vormittags Unterricht, die andere eben am Nachmittag.

Als wir Editas Schule betraten, saßen die Schüler in der großen Aula verteilt auf Heizkörpern oder standen draußen und rauchten Zigaretten. Nach kurzer Zeit erfuhren wir, dass die erste Stunde entfällt. Also nahmen wir auch auf den Heizkörpern Platz, einfach weil es keine anderen Sitzgelegenheiten gab.

"Wundere dich nicht, es ist die letzte Schulwoche, deswegen entfallen so viele Stunden", berichtete mir eine Freundin von Edita: "Manchmal kommen die Lehrer auch einfach nicht, wenn sie keine Lust haben."

Hausaufgaben in der Früh

Als die zweite Stunde endlich begann, lud mich der Lehrer ohne Nachfragen ein, doch einfach Platz zu nehmen. Das tat ich dann auch - auf einem Sessel, der in jedem Moment zusammenzubrechen drohte. Ich bewegte mich nur minimal, aus lauter Angst, gleich einzustürzen.

Schließlich begann der Geografielehrer mit seinen Lektionen, an dem Tag war Australien an der Reihe. Zunächst erzählten die Schüler frei heraus, was sie bereits vom Land und Kontinent wussten, anschließend ergänzte der Lehrer wichtige Dinge.

"Die Aborigines gibt es auch in Australien", versuchte ich mich im Unterricht einzubringen, verwundert darüber, dass der Lehrer noch nichts davon erwähnt hatte. "Ja, das sind die Ureinwohner", sagte er noch und fuhr gleich im nächsten Satz mit der Wirtschaft fort. Am Ende des Unterrichts kündigte er an, dass in der nächsten Stunde bereits mit Montenegro weitergemacht wird.

Bevor ich Edita fragen konnte, ob Themen immer nur so kurz behandelt werden, mussten wir schon schnell zum neuen Klassenraum hetzen, da die Lehrer fixe Zimmer haben und die Schüler immer rotieren müssen.

Die Mathelehrerin tat jedoch nicht viel, außer stumm in ihrem Buch zu kritzeln. Nur einmal kam ein Schüler an der Tafel dran. Die Schüler redeten miteinander, Hefte und Bücher wurden nicht einmal geöffnet.

Also wendete ich mich einem Klassenkameraden zu und fragte ihn, ob es nicht nervig sei, abends noch Hausaufgaben machen zu müssen, schließlich dauert der Unterricht meist bis 19 Uhr. "Ich mache sie eigentlich nie, aber wenn, dann geht sich das schon aus. Zur Not in der Früh, wir haben ja auch erst später Schule."

Als ich mich nach der Stunde bei Edita nach der Toilette erkundige, sagte sie nur: "Gerne, ich weiß nur nicht, ob du dort wirklich hinwillst." Ich ahnte schon Böses, doch als ich das WC betrat, begrüßten mich stinkende Plumpsklos und ein Boden, der mehr nass als trocken war.

Die nächsten Stunden entfielen dann ebenfalls, somit hatten wir auch keinen Unterricht mehr. Nach Hause konnten wir jedoch auch nicht, da unser Bus nur einmal am Tag fuhr, und zwar erst um 19.15 Uhr. Also schlenderten wir mit den anderen in der Stadt herum.

Als ich abends nach Hause kam, fragte mich mein Vater, wie es so war. "Interessant - und eigentlich gar nicht mal so anders als in Österreich. Aber die Plumpsklos sind wirklich eine andere Welt", erzählte ich. "Siehst du: In Österreich könnt ihr froh darüber sein, was ihr alles habt!", sagte er und meinte, dass ich all das prima in einem Artikel schreiben könne. (Nadine Dimmel, DER STANDARD, 8.1.2014)