In den Tiefen des Abwassersystems schlummert Wärme, die tröpferlweise auch in Heizenergie umgewandelt wird.

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Eine dicke Dämmung, Isolierglasfenster, eine Lüftung mit Wärmerückgewinnung - wer heute baut, macht viel dafür, die kostbare Wärme im Inneren des Hauses zu halten. Ein Wärmeleck lässt sich aber auch mit bestem Willen nicht stopfen: das Abwasserrohr. Wenn heißes Wasser aus Dusche und Badewanne, Geschirrspüler und Kochtopf in der Kanalisation verschwindet, geht viel Heizenergie verloren.

Nicht jedoch in Amstetten. Die dortigen Stadtwerke heizen nämlich ihre Werkstätten und Lagergebäude, Büros sowie die Betriebsräume ihres Wasserkraftwerks mit Wärme aus Abwasser. Dazu haben sie einen zentralen Kanal angezapft, der 200 Meter entfernt vom Gelände der Stadtwerke verläuft. "Wir haben im Abwasserrohr auf einer Strecke von vierzig Metern Wärmetauscher aus Edelstahl einbauen lassen, die dem vorbeifließenden Wasser 250 Kilowatt Wärme entziehen", erläutert Robert Simmler von den Stadtwerken Amstetten.

Über einen Wasserkreislauf wird die Heizenergie zu einer Wärmepumpe auf dem Betriebsgelände transportiert. Diese bringt die Wärme aus der Kanalisation mithilfe eines strombetriebenen Kompressors auf eine Temperatur von bis zu 45 Grad. Da die Gebäude mit Flächenheizungen ausgestattet sind, reicht die Temperatur aus, um die Räume auch an kalten Wintertagen zu erwärmen. Insgesamt 210.000 Euro haben die Stadtwerke in das System investiert. "Wir gehen davon aus, dass sich die Ausgaben innerhalb von zehn bis elf Jahren amortisieren", sagt Simmler.

Hohe Temperaturen

Mit 20 bis 27 Grad ist das Abwasser im Amstettener Hauptkanal sehr warm - nur wenn es stark regnet, sinkt die Temperatur kurzzeitig auf 15 Grad ab. "Wir haben das Glück, dass eine Papierfabrik dort 34 Grad warmes Abwasser einleitet", erklärt Simmler. In den meisten anderen Rohrnetzen Österreichs ist das Abwasser im Winter dagegen kaum wärmer als acht bis zehn Grad. Das würde vielerorts aber immer noch ausreichen, um wirtschaftlich Heizenergie zu erzeugen, meint Thomas Ertl von der Universität für Bodenkultur in Wien. "Der besondere Charme des Konzepts liegt darin, dass die Temperatur des Abwassers höher ist als die des Grundwassers, das ja viele Wärmepumpen als Wärmequelle nutzen", sagt Ertl. Zudem übersteige der Durchfluss in den Abwasserkanälen den von Grundwasser um ein Vielfaches. Damit steht mehr Wärmeenergie zur Verfügung.

Bisher gibt es in Österreich erst eine Handvoll von Heizungen, die Abwasserwärme nutzen. Anders in der Schweiz: Hier sind bereits mehr als hundert Systeme dieser Art in Betrieb. Um dem Konzept auch in Österreich zum Durchbruch zu verhelfen, hat die Universität für Bodenkultur zusammen mit Partnern wie Wien Energie, der Österreichischen Energieagentur und dem Unternehmen Ochsner Wärmepumpen erforscht, unter welchen Bedingungen die Abwassernutzung sinnvoll ist.

Ob sich die Anlagen rentieren, hängt vor allem vom Wärmebedarf, der Entfernung zwischen Abwasserkanal und Gebäude sowie von der Durchflussmenge im Kanal ab. Bei Ein- oder Zweifamilienhäusern lohnt sich die Investition wegen des geringen Wärmebedarfs nicht. Bei größeren Mehrfamilienhäusern, Hotels oder Schulen zum Beispiel kann sich das Anzapfen der Kanäle durchaus bezahlt machen, sofern die Rohre nicht weiter als wenige hundert Meter vom Gebäude entfernt verlaufen.

Außerdem sollten sie im Tagesmittel mindestens zehn Liter Abwasser pro Sekunde führen. Das entspricht etwa dem Abwasseraufkommen von 1500 Haushalten. Auf konkrete Zahlen zum Potenzial der Technologie in Österreich will sich die Forschergruppe zwar nicht festlegen. Sie verweist aber auf eine Untersuchung aus der Schweiz, nach der dort drei Prozent aller Gebäude wirtschaftlich mit Abwasserwärme beheizt werden könnten.

Folgen für Kläranlagen

Sollte dem Abwasser künftig deutlich mehr Wärme entzogen werden, hätte dies allerdings möglicherweise Folgen für die Kläranlagen. Denn die Mikroorganismen, die dort die biologische Reinigung übernehmen, lieben es warm - sie arbeiten umso effektiver, je höher die Temperatur ist.

"Die Abwasserreinigung darf nicht durch die Wärmeentnahme leiden", betont Ertl. Bei den bestehenden Anlagen wird das Abwasser nur um höchstens 0,1 Grad heruntergekühlt. "Das macht überhaupt keine Schwierigkeiten. Würde man aber in größerem Maßstab in die Technologie investieren, könnten hier unter Umständen Probleme auftreten", sagt der Wissenschafter.

Unter anderem deshalb plädiert Ertl dafür, die Heizenergie bevorzugt im Ablauf der Kläranlagen zu entnehmen. Davon würden auch die Flüsse und Seen profitieren, die das gereinigte Wasser aufnehmen, da viele der dort lebenden Pflanzen und Tiere niedrigere Temperaturen bevorzugen. Zudem käme man sich dort nicht mit den Kanalbetreibern in die Quere, die ihre Leitungen regelmäßig reinigen und sanieren müssen. "Die Kanäle sind gebaut worden, um eine sichere Entwässerung zu gewährleisten, und nicht, um Energie zu gewinnen", sagt Ertl.

Da die Kläranlagen meist fernab der Wohngebiete errichtet wurden, müssten dort allerdings andere Abnehmer für die Heizenergie gefunden werden. Zum Beispiel kämen nahegelegene Gewerbe- oder Handelsbetriebe infrage.

Dass die Technologie durchaus geeignet ist, auch große Immobilien dieser Art zu beheizen, zeigt ein Beispiel aus Berlin. Dort hat Ikea in einem seiner Einrichtungshäuser Europas leistungsstärkste Abwasserheizung installiert. Die Anlage deckt 70 Prozent des Wärmebedarfs. Im Sommer dient sie zudem der Kühlung. Dazu ist die Decke des Gebäudes mit Platten verkleidet, in denen Rohrleitungen verlegt sind. Darin fließt Wasser, das die Wärme aus dem Gebäude abführt und über die Wärmetauscher an das kommunale Kanalnetz abgibt.

Das spart viel Strom: "Indem wir die Wärme im Sommer in das Abwasser ableiten, können wir an diesem Standort komplett auf eine konventionelle Klimatisierung verzichten", erklärt Ikea-Sprecherin Simone Setterberg. Die Energiequelle aus der Kanalisation kann somit auch helfen, den CO2-Ausstoß erheblich zu verringern. (Ralph Diermann, DER STANDARD, 8.1.2014)