Grafik: DER STANDARD

Soll noch jemand sagen, dass die sogenannten Geisteswissenschaften keine Relevanz für die Gesellschaft haben. Die Arbeiten von Verena Winiwarter und ihrer Gruppe beweisen seit vielen Jahren das Gegenteil. Jüngstes Beispiel ist die Studie Enviedan (Abkürzung für: Environmental History of the Viennese Danube), die vor wenigen Monaten von der Forschungsorganisation Science Europe als eine von zwölf Untersuchungen aus ganz Europa ausgewählt wurde, um so die soziale und ökologische Bedeutung der Geisteswissenschaften zu demonstrieren.

Bei Enviedan, einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Forschungsprojekt, geht es um nichts anderes als die Geschichte der Donau im Wiener Raum in den vergangenen fünf Jahrhunderten und die erstaunlichen Veränderungen einer Flusslandschaft. Heute kennen wir die Donau in der Gegend Wiens als schnurgeraden, regulierten Strom, der durch das Entlastungsgerinne der Neuen Donau gezähmt ist. Doch vor vergleichsweise kurzer Zeit sah die Sache noch ganz anders aus. 

Wiener Donau 1529-2010. Video: Severin Hohensinner / Enviedan

Früher einmal ähnelte die Donau auf Landkarten der Region einem dichten Netz aus verschlungenen Krampfadern, wie Winiwarter und ihre Mitarbeiter rekonstruiert haben. Zum Schutz vor Überflutungen, aber auch zur Nutzung des Flusses als Transportweg und zur Entsorgung der Fäkalien kam es im Laufe der Jahrhunderte zu starken menschlichen Eingriffen in die Flusslandschaft. Aber auch die Gewinnung von Siedlungsraum und die militärische Nutzung führten immer wieder zu Umgestaltungen. Daneben spielten aber auch natürliche Faktoren – wie Hochwässer oder die Sedimente der Zubringerbäche – eine wichtige Rolle.

Winiwarters interdisziplinärem Team gehörten Historiker und Naturwissenschafter ebenso an wie ein Wissenschaftstheoretiker zur Supervision, um die Kooperation über die Fächergrenzen zu erleichtern. Schließlich mussten Detailrecherchen in Archiven mit naturwissenschaftlichen Modellen, topografische Quellen mit fluvialen Mustern und Dynamiken sinnvoll zusammengebracht und -gedacht werden, um die bewegte Geschichte dieses "sozio-naturalen Schauplatzes" in ihrer ganzen Komplexität nachzeichnen zu können.

Die reichhaltigen Ergebnisse des Projekts führten zu etlichen Publikationen und mehreren kurzen Filmen auf Youtube. Gleich sechs Artikel konnte das Team im kürzlich erschienenen Sonderheft des "International Journal of Water History" veröffentlichen, die am Beispiel der Donau-Zähmung zeigen, welche zum Teil unbeabsichtigten Folgen die Eingriffe in die Natur hatten – und was sich daraus für die Zukunft lernen lässt. (tasch, derStandard.at, 7.1.2013)