"Dunkler Stern" Abu Bakr al-Baghdadi.

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Als im Juni 2006 der aus Jordanien stammende Führer von Al-Kaida im Irak (Aqi), Musab al-Zarkawi, getötet wurde, flackerte ein Hoffnungsschimmer auf, dass durch die Enthauptung der sunnitischen Extremistengruppe das Abrutschen des Irak in den Bürgerkrieg noch gestoppt werden könne. Aber die schiitischen Milizen waren längst voll in den Konflikt eingestiegen. Die Eindämmung von Al-Kaida, die große Teile von Anbar - wo die US-Armee ihre schlimmsten Verluste hinnehmen musste - kontrollierte, aber auch in anderen Provinzen stark war, erfolgte erst ab 2007 durch ihre früheren Verbündeten, sunnitische Stämme.

Aqi war ein kultureller Fremdkörper: Den irakischen Sunniten war vor allem der fanatische Schiitenhass der Jihadisten völlig unbekannt. Es waren aber auch recht pragmatische Gründe, die zur Wende führten: Al-Kaida begann frühere Stammesgeschäfte (z. B. die Kontrolle der Routen) zu übernehmen und stellte noch dazu die konservative intertribale Heiratspolitik auf den Kopf, indem sie Ehefrauen beanspruchte. Außerdem zahlten die Amerikaner den neu aufgestellten Sahwa-Milizionären, die den Kampf gegen Al-Kaida aufnahmen, gute Gehälter.

Al-Kaida im Irak galt als weitgehend besiegt - auch wenn die Attentate in schwächerer Form die ganze Zeit weitergingen und die Normalisierung zwischen Sunniten und Schiiten durch die den Sunniten gegenüber von tiefem Misstrauen geprägte Politik der Regierung des Schiiten Nuri al-Maliki infrage gestellt wurde. Die Chance für ein Comeback der Aqi, die sich damals Isi (Islamischer Staat im Irak) nannte, kam mit dem Syrien-Krieg und dem Aufruf von Al-Kaida-Chef Ayman al-Zawahiri an alle Muslime, in den Jihad gegen Assad zu ziehen.

So fand sich die Isi auf dem syrischen Schlachtfeld ein. Je stärker die konfessionellen Töne des Aufstandes gegen Bashar al-Assad wurden - als Krieg der Sunniten gegen eine nach ihrer Ansicht obskure Sekte, die Alawiten, die durch den schiitischen Iran an der Macht gehalten wurden -, desto mehr wuchs der Wunsch von radikalen Sunniten, auch die irakische Gleichung wieder aufzumachen. Es ging nicht nur um Assad, sondern auch um die Errichtung eines islamischen Staates in der Region. In den von ihr kontrollierten Gebieten in Nordsyrien etablierte die Gruppe ein strenges islamistisches Regime. Im Irak stieg 2013 die Zahl der Anschläge stetig in die Höhe.

Im April 2013 stieß Abu Bakr al-Baghdadi, der Chef der Gruppe, in Syrien erstmals auf Widerstand: Er gab bekannt, dass die andere große erfolgreiche radikale Rebellengruppe Jabhat al-Nusra eigentlich eine Isi-Gründung sei, gemeinsam würden sie sich nun Isis nennen: Islamischer Staat in Irak und Großsyrien (siehe Wissen rechts). Nusra-Chef Abu Muhammad al-Golani protestierte. Zawahiri kam ihm zu Hilfe, erklärte den Zusammenschluss für ungültig und versuchte zu vermitteln. Baghdadi ließ sich nicht beirren - darüber, wie viele Nusra-Kämpfer zur Isis überwechselten, gibt es unterschiedliche Angaben, aber die Isis war durchaus erfolgreich.

Selbstkritik Al-Kaidas

Seit der Tötung von Osama Bin Laden weiß man, dass Al-Kaida nach ihrer Niederlage im Irak Selbstkritik geübt hatte. Daher stammt wohl Zawahiris Einsicht, dass es besser ist, sich auf das erste Ziel - den Sturz Assads - zu konzentrieren. Vor allem hat er auch verstanden, dass es ohne Zustimmung der Bevölkerung nicht geht. Isis gilt - obwohl in Syrien mehrheitlich Syrer in ihren Reihen kämpfen - als "fremd". Ihr schlechter Ruf wird der Isis letztlich aber auch in Ramadi und Falluja zum Verhängnis werden.

Die Isis wird in Syrien seit einigen Tagen in Aleppo und Idlib, aber auch schon in Raqqa und Hama von anderen Rebellengruppen bekämpft. Am Sonntag tobten schwere Gefechte, laut der libanesischen Zeitung The Daily Star mit vielen Toten auf beiden Seiten.

Unmittelbarer Anlass war die Ermordung und Verstümmelung von Hussein al-Suleiman durch Isis-Mitglieder: Er war ein Arzt und Rebellenkommandat der Ahrar al-Sham, die zur Dachorganisation Islamische Front gehört, dem neuen starken Spieler. Es soll auch Desertionen von Isis-Kämpfern (zurück?) zur Nusra geben.

Hinter der Islamischen Front steht Hilfe aus Saudi-Arabien und vom Golf. Ziel der Unterstützung von außen ist schon seit geraumer Zeit nicht nur die Stärkung gewisser Rebellengruppen gegen Assad, sondern auch gegen die Jihadisten. Allerdings sind auch unter dem Mantel der Islamischen Front Gruppen, die sich die meisten Syrer und Syrerinnen bestimmt nicht am Ruder wünschen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 7.1.2014)