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Genesungswünsche für Michael Schumacher gibt es weltweit: Hier am Strand von Puri in Ostindien.

Foto: ap/rout

Stabil ist ein relativer Begriff, ganz besonders in der Intensivmedizin. Michael Schumacher liegt nach seinem Skiunfall in den französischen Alpen im künstlichen Tiefschlaf, sein Zustand sei stabilisiert, aber unverändert kritisch, verlautbarte seine Managerin Sabine Kehm am Neujahrstag. Welche Folgen der schwere Sturz, bei dem der siebenfache Formel-1-Weltmeister mit dem Kopf gegen einen Felsen prallte, haben wird, sei noch nicht abschätzbar.

Die Lage ist ernst, daran hat sein behandelndes Ärzteteam keine Zweifel gelassen. Schumacher wurde zweimal am Hirn operiert und in ein künstliches Koma versetzt. Wird er wieder ganz gesund werden? "Das weiß zurzeit keiner", sagt Sönke Johannes, Chefarzt der Rehaklinik Bellikon. "Aber mit der richtigen Therapie erholen sich auch nach einer schweren Hirnverletzung viele Patienten."

Schädel-Hirn-Trauma (SHT) nennen Ärzte jede Verletzung des Schädels, bei der das Hirn über einen kurzen oder längeren Zeitraum nicht mehr funktioniert. Ein leichtes SHT verursacht Übelkeit und Erbrechen, der Verletzte erinnert sich manchmal nicht mehr an den Unfall und kann kurz ohnmächtig werden. Bei einem mittelschweren und schweren SHT dauert die Bewusstlosigkeit Stunden, Tage manchmal auch Wochen, man spricht von Koma.

Akute Maßnahmen

Sofort nach dem Unfall schätzt der Notarzt ein, wie schwer das Gehirn geschädigt ist. Er verwendet dafür die Glasgow-Koma-Skala (GCS) und vergibt Punkte (siehe Wissen). "Das dauert nur wenige Sekunden, ist aber sehr wichtig, um die Prognose einzuschätzen", sagt Luca Regli, Direktor der Klinik für Neurochirurgie an der Uni-Klinik Zürich und Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Neurologie.

Ob Schumacher wieder gesund wird, hängt zum einen vom primären Schaden des Gehirns durch den Unfall ab, zum anderen von sekundären Schäden der Hirnzellen, die in der Zeit danach entstehen. "Die Primärschäden können wir nicht verhindern - der Unfall ist ja passiert", sagt Regli, "aber durch eine prompte und richtige Behandlung können wir Sekundärschäden in Grenzen halten." Als Primärschaden kommt es am häufigsten zu Hirnprellungen, zum einen an der Stelle, wo der Kopf direkt aufschlägt. Zum anderen oft an der gegenüberliegenden Hirnseite, weil das Hirn durch den Aufprall urplötzlich gebremst wird. "Beide Prellungen können zu einem Bluterguss im Gehirn führen, einem Hämatom, - das ist so, wie wenn man nach einem Sturz auf die Hüfte einen blauen Fleck bekommt", erklärt Regli.

Druck im Kopf

Außerdem könnten durch das abrupte Abbremsen des Schädels Nervenbahnen im Hirn reißen. Als Reaktion auf solche Schäden schwillt das Gewebe an, ähnlich wie nach einem Sturz, bei dem ein blauer Fleck entsteht. "Das Problem im Gehirn ist, dass es sich nicht ausdehnen kann", sagt Regli. "Der Druck steigt, die Nervenzellen bekommen immer weniger Sauerstoff und sterben, als Reaktion steigt der Druck weiter - ein Teufelskreis."

Die wichtigste Maßnahme gegen solche Sekundärschäden sei, das Hirn mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen und den Hirndruck zu senken, sagt Bernhard Walder, leitender Anästhesist an der Uni-Klinik in Genf und Mitglied des Europäischen Brain Council. Intubation. Beatmung, Hochlagerung des Oberkörpers und Blutdruckmedikamente haben Priorität.

Das künstliche Koma - eine Narkose in Kombination mit Schmerzmitteln - soll helfen, den Stress im Körper zu reduzieren, damit sich die Gehirnzellen wieder erholen können. Drücken Hämatome aufs Gehirn, kann sie der Neurochirurg entfernen. "Wenn sie außen am Hirn sind, ist das relativ einfach", sagt Regli. "Schwieriger wird es, wenn es ins Innere des Hirns geblutet hat, weil man dann leicht andere Nervenzellen verletzt." Steigender Hirndruck kann ein vorübergehendes Entfernen der Schädeldecke notwendig machen. Wenn sich die Schwellung zurückbildet, wird der Schädelknochen wieder eingesetzt. Michael Schumachers Körper soll außerdem auf 34 Grad heruntergekühlt worden sein. "Es wurde aber bisher nicht gezeigt, dass die Verletzten durch diese Maßnahme länger überleben», sagt Walder.

Seit Jahren forscht der Anästhesist nach Markern, mit denen sich der Verlauf eines SHT vorhersagen lässt. Er gründete 2003 hierfür mit Kollegen das Forschungsnetzwerk PEBITA. Der Nervenschaden im Hirn kann alle möglichen Funktionen des Körpers beeinträchtigen: Beine oder Arme sind gelähmt, der Verletzte kann nicht richtig denken oder reden, oder er weiß nicht, wo er ist und wer seine Angehörigen sind. Später leiden viele unter Konzentrations- oder Gedächtnisstörungen, werden depressiv, oder ihre Persönlichkeit verändert sich, und sie sind reizbarer als vor dem Unfall. "Für die Angehörigen ist das ein großer Schock", erzählt Walder, "erst die Angst um das Überleben, und dann merken sie, dass der Betroffene anders als früher ist."

Verständlich sei, dass ihn Angehörige auf der Intensivstation immer wieder fragen, ob der Verletzte wieder gesund werde. "Leider haben wir bisher nur Kriterien gefunden, die eher auf einen schlechten Verlauf weisen", sagt Walder, "anders herum funktionieren die aber nicht gut." So ist die Prognose eher schlechter, wenn ein Verletzter 14 Tage nach dem Unfall einen sehr geringen Wert auf der GCS hat, seine Pupillen nicht auf Licht reagieren, er älter als 30 Jahre ist und sichtbare Verletzungen im Hirn wie etwa Hämatome hat. "Wenn er jung ist, keine Verletzungen und einen hohen GCS hat, heißt das aber nicht automatisch, dass er wieder gesund wird", sagt Walder.

PEBITA startete vor einigen Jahren eine Langzeitstudie mit 922 Verletzten, die in Kürze veröffentlicht werden soll. Das vorläufige Ergebnis: Jeder dritte Patient starb, meist während der Zeit auf der Intensivstation. "Aber vielen der Überlebenden ging es im folgenden Jahr schrittweise immer besser", berichtet Walder, "40 Prozent konnten ihre frühere Tätigkeit wieder ausüben." In Bellikon seien es sogar mehr als 50 Prozent, sagt Sönke Johannes. "Das liegt vermutlich daran, dass die Wiedereingliederung in den Beruf bei uns ein klares Therapieziel ist."

Rehabilitation in Etappen

Am Anfang müssen viele Patienten ganz banale Dinge des Alltags wieder lernen: aufstehen, essen, sich waschen, Zähne putzen oder einfache Bilder erkennen. Schritt für Schritt werden weitere Therapieziele vereinbart. "Wichtig ist, dass es Erfolgserlebnisse gibt, und seien sie noch so klein." Mit Physiotherapie werden Gleichgewicht, Kraft und Ausdauer aufgebaut, Ergotherapeuten helfen, sich im Alltag wieder zurechtzufinden, und Psychologen oder Psychiater kümmern sich um seelische Schäden.

Regelmäßig spricht Johannes mit den meist jungen Leuten, um sie zu motivieren. "Ein SHT ist ein schlimmes Ereignis, dass das Leben schlagartig ändert", sagt er. Er sei aber immer wieder überrascht, wie gut es manchen Patienten gehe, bei denen er es nicht erwartet hätte. "Wenn man ein klares Ziel vor Augen hat, nützt das viel - das könnte auch Michael Schumacher helfen, gesund zu werden. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 7.1.2014)