STANDARD: Richard Strauss steht bei Ihnen im Zentrum des Repertoires, mit der Gräfin aus "Capriccio" und der Marschallin aus dem "Rosenkavalier" haben Sie zuletzt an der Staatsoper gastiert. Vielen galt Strauss schon zu Lebzeiten als anachronistische Erscheinung. Was hat denn für Sie Oper allgemein mit der Realität zu tun?
Fleming: Oper ist ein sehr breites Phänomen, man kann sie nicht als etwas Einheitliches darstellen, weil Komponisten seit 400 Jahren Opern schreiben - auch in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichem Geschmack. In den USA ist es ganz anders als in Europa. Für mich sind die raffinierten Werke die interessantesten. Die Marschallin ist eine sehr komplexe Frau, aber in den meisten Opern, die ich als lyrischer Sopran gesungen habe, sind die Frauen nicht realistisch, sondern Hexen usw. Was ich sehr wichtig finde, und ich sage das immer bei uns in den USA, sind neue Opern, die sollten immer aufgeführt werden, denn in jedem Opernhaus ist das Genre ein bisschen tot. Das Publikum sollte neugierig sein und sich nicht immer nur dieselben Stücke anschauen. Es gibt nur ganz wenige Stücke, die man wirklich gut verkaufen kann, Carmen, Aida oder La Bohème, und das ist schade. Ich will nicht immer das Gleiche sehen, was man schon vor 100 Jahren gezeigt hat.
STANDARD: Es ist auch eine Frage des Risikos. Wenn man vor allem verkaufen möchte, ist es schwierig, ein Risiko einzugehen.
Fleming: Deswegen sind Workshops so wichtig, deshalb mache ich bei solchen Projekten immer wieder mit, weil man da billiger arbeiten kann. Früher haben Komponisten zehn verschiedene Versionen von einem Werk gemacht und es immer wieder geändert. Das erst gibt einem die Chance, um es perfekt machen zu können.
STANDARD: Dann müssten Sie sich bereiterklären, ein neues Werk drei, vier Wochen ohne Honorar zu proben.
Fleming: Geld ist nicht das Problem, weil Oper von den Sängern her nicht so teuer ist. Die Orchester sind sehr teuer, weil so viele Leute spielen. Das Problem ist das Publikum - ob es kommen würde. Auch wenn das Haus klein ist. Wo findet man die Unterstützung? In den USA ist die Unterstützung privat, in Europa staatlich. Ist es auch hier schwieriger geworden?
STANDARD: Es ist schwieriger geworden.
Fleming: Nicht in Wien, würde ich sagen, weil es touristisch ist.
STANDARD: Auch die Staatsoper braucht Sponsoren. Würden Sie sagen, dass privates Geld auch ein Vorteil ist? Wir hier in Europa sind der Meinung, der Staat müsse die Kultur finanzieren, aber wenn man mit Amerikanern spricht, hört man manchmal, dass private Finanzierung auch gute Seiten hat.
Fleming: Früher hat der Staat vielleicht mehr Vorgaben gemacht. Wenn es eine politische Seite bekommt, ist es aber schwierig, doch das ist hier nicht der Fall. Direktor Dominique Meyer ist ziemlich frei, nehme ich an. Bei uns ist es so schwierig, jedes Jahr so viel Geld zu bekommen. Und es wird immer schwieriger. In dem Moment, wenn klassische Kunst - Orchester, Oper und Ballett - kein großes Publikum mehr findet, ist es vielleicht auch unmöglich.
STANDARD: Was sind vor diesem Hintergrund Ihre Überlegungen, wenn Sie eine neue CD machen? Das Publikum zu gewinnen?
Fleming: Schwer zu sagen. Ich singe überall in der Welt, und es ist immer schön, neues Repertoire singen zu können. Wenn man so viele CDs aufgenommen hat wie ich, werden die normalen Titel langweilig. Nach Poème, die so ernst gewesen ist, wollte ich eine CD nur mit schönen Sachen machen, die ich persönlich liebe. Das ist eher Latein mit Spanisch und Französisch, aber auch slawische Sachen. Deswegen ist es Guilty Pleasures (Universal, Anm.) geworden.
STANDARD: Ist das Ihr persönliches Projekt?
Fleming: Total. Seit langem sind alle Platten mein Projekt, genauso wie auch das Festival American Voices im Kennedy Center Washington, D.C. (im vergangenen November, Anm.), das ich persönlich zusammengestellt habe, mit vielen Genres, aber auch mit Vorträgen von Ärzten, Gesangsprofessoren und Geschäftsleuten. Das Programm hat von Klassik bis Rock, Pop und Jazz gereicht.
STANDARD: Jazz war ja auch bei Ihnen der Anfang. Gibt es von diesen Erfahrungen noch etwas, das Sie auf die Opernbühne mitnehmen?
Fleming: Ich habe früher mehr davon benützt, bei Belcanto, bei Händel z. B., weil es eine Art von Improvisation ist, wenn man ein Dacapo singt, im Belcanto ist man auch freier darin, eine Linie persönlich zu gestalten. Manche haben geschimpft und haben gesagt: Sie geht zu weit. Andere haben gesagt: Nein, bitte mach weiter, es macht dich besonders.
STANDARD: Gibt es für Sie selbst allgemein gesehen genug Freiheit in Ihrem Beruf?
Fleming: Für mich ist es jetzt wirklich perfekt. Es gibt nie genug Zeit, um alles zu machen, was ich will. Ich reise überall in der Welt herum, etwa nach Südamerika, das Publikum in China ist sehr interessant, sehr jung, meist unter 30 Jahre, die meisten schreien wie verrückt. Als ich das erste Mal dort war, wusste ich, dass das Land sehr groß ist, aber dass es so viele Sopranistinnen gibt? Es gibt viele fantastische Stimmen - das wird die nächste Welle sein.
STANDARD: Kommen wir nochmals in die USA. Wie sehr ist aus Ihrer Sicht die offene Gesellschaft in Gefahr, sich selbst zu stark zu regulieren? Wie ist das, wenn man in die Met geht? Kann man einfach hinein oder muss man zuerst Sicherheitskontrollen durchlaufen?
Fleming: Man geht einfach hinein, sie ist ganz offen. Man kann nur nicht mit dem Auto in die Nähe der Met fahren, das wird kontrolliert. Aber man wird nicht durchsucht. Auch das Kennedy Center ist ganz offen, es gibt auch kostenlose Veranstaltungen. Hoffentlich bleibt es so. (Daniel Ender, STANDARD, 4./5./6.1.2014)