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Held oder Kriegsverbrecher: Ariel Sharon, ehemaliger General, hat polarisiert, wurde gefeiert und angefeindet. Er hinterlässt ein höchst umstrittenes politisches Erbe.

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Ariel Sharon weist als General israelische Soldaten an.

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Sharon auf seinem Bauernhof in Shikmim.

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Ariel Sharon (links) als Verteidigungsminister mit dem damaligen Premier Menachem Begin.

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Die Meldungen über die dramatische Verschlechterung von Ariel Sharons Zustand versetzten die ­Israelis im neuen Jahr fast genau acht Jahre zurück. In den langen Tagen und Nächten des Jänner 2006, in denen man um den da­maligen Premierminister bangte, wurde in Israel ständig beinahe andächtig über "Ariel Sharons Vermächtnis" gesprochen. Respektlose Geister wiesen aber auch darauf hin, dass nicht klar ist, wor­in dieses Vermächtnis eigentlich besteht.

Sind es die Siedlungen, die er gebaut hat, oder jene, die er abgerissen hat? Ist es jene Likud-Partei, zu deren Erfindern Sharon zählte, oder jene, die er in Trümmern zurückließ, oder die von ihm gegründete Zentrumspartei Kadima, die dann auch ohne Sharon einen überlegenen Wahlsieg einfuhr? Anders als damals der Zusammenbruch hat nun der Tod Sharons natürlich keine politische Bedeutung, und er löst weniger Emotionen aus als damals der plötzliche Ausfall des Mannes, der als unersetzliche Führungspersönlichkeit galt. Was aber nun wirklich als sein Vermächtnis zurückbleibt, das ist auch mit der zeitlichen Distanz nicht klarer geworden.

Verglichen mit Jizchak Rabin

Umstritten waren seit Jahrzehnten seine Person und seine Taten, unbestritten waren seine ungewöhnlichen Talente. Für den Ex-General Matan Vilnai, zur Arbeiterpartei gehörend und damit ein politischer Gegner, war Sharon "der beste Feldkommandant, den Israel je hatte", und viele meinten, dass Sharon nach dem legendären Staatsgründer David Ben-Gurion jener Premierminister war, der Israel am stärksten geprägt hat. Weil Sharon seine Pläne, die eben begannen, die Geschichte zu verändern, nicht mehr zu Ende führen konnte, wurde er mit anderen großen Gestalten verglichen: mit Moses, der das Gelobte Land nicht betreten durfte, und Jizchak Rabin, der ermordet wurde, als gerade der Oslo-Prozess anlief.

"Sharon war wichtig, wegen dem, was er getan hat, und wegen dem, was er noch tun wollte", sagte der nunmehrige Staatspräsident Shimon Peres, früher erbitterter Wider­sacher, zuletzt politischer Partner und über viele Jahre ein persönlicher Freund. Und dass Sharon, die längste Zeit ein Außenseiter, sich in den Augen von großen Teilen des Volkes in seinem letzten Lebensabschnitt zu einer Mischung aus Großvater der Nation und übermenschlichem Messias entwickelt hatte, das war von einem Schild am Hadassa-Krankenhaus abzulesen, wo die Ärzte damals um sein Leben kämpften. "Es gibt noch viel Arbeit", stand darauf, "wach bitte auf."

Wenn der Mann, der als ­"Bulldozer" gefürchtet und als "Schlächter" gehasst worden war, von der westlichen Welt ab 2004 plötzlich als Nahost-Hoffnungsträger und "Friedenspolitiker" ans Herz gedrückt wurde, dann deswegen, weil er es ähnlich wie ­Rabin fertigbrachte, im vorgerückten Alter zur allgemeinen Verblüffung radikal umzudenken. Rabin riss einen Damm nieder, als er die PLO anerkannte, Sharon ging aber im Inhalt wesentlich weiter: Von der Auflösung von Siedlungen, wie sie Sharon im Sommer 2005 vorexerzierte, und von einem palästinensischen Staat, wie ihm der "rechte" Sharon prinzipiell zugestimmt hat, hatte der "linke" Rabin nie etwas hören ­wollen.

Zwischen links und rechts

Von der Rechten trennte Sharon zuletzt die Einsicht, dass Israel, schon allein aus demografischen Gründen, den Großteil der 1967 eroberten Gebiete nicht ­behalten kann, von der Linken unterschied ihn die Erkenntnis, dass es unrealistisch ist, in überschaubarer Zeit eine Verhandlungslösung zu erwarten.

Mit seinem Konzept der "einseitigen Abtrennung" von den Palästinensern wurde Sharon zur Integrations­figur eines Konsenses, der eine breite israelische Mitte einte. Dazu gehörte auch der "Sicherheitszaun", der mit Sharons Politik assoziiert wird. In Wirklichkeit wurzelt die Idee aber in der linken Denkschule, und sie wurde vom "nationalen Lager" traditionell abgelehnt, weil sie einem Verzicht auf Territorium gleichkommt. Unter dem Druck der israelischen Öffentlichkeit, die ab 2001 immer dringlicher Sofortmaßnahmen gegen den Selbstmordterror forderte, hat Sharon sie dann nach langem Zögern übernommen. 

In den acht Jahren seit Sharons "Verschwinden" gab es viele Krisen, in denen viele Israelis sich bei seinen Nachfolgern Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu schlecht aufgehoben fühlten – gerade jetzt, hörte man da immer wieder, hätten wir "Arik" mit seiner Kaltblütigkeit und Erfahrung gebraucht. Zugleich bemerkte man aber auch, dass Sharon vielleicht das Fundament zu manchen Verwicklungen gelegt hat.

Die "einseitige Lösung" mit dem Abzug aus dem Gazastreifen erwies sich nicht gerade als Erfolg, wurde dieser doch mit ständigem Raketenbeschuss und dem Höhenflug der Hamas belohnt. Und die Jahre, in denen die Hisbollah im Südlibanon vor der Nase der Israelis ihr Raketenarsenal und ihre Bunkerstellungen ausbaute, waren genau jene Jahre, in denen Sharon regierte. Jeder andere israelische Premier hätte vielleicht früher im Libanon eingegriffen, lautete eine Spekulation, Sharon aber musste wegschauen, weil er durch seine Libanon-Vergangenheit belastet war. Die Kadima-Partei ist mittlerweile beinahe in die Bedeutungslosigkeit versunken.

Private Tragödien

In seinem Privatleben musste Sharon Tragödien verkraften, die schwächere Naturen aus der Bahn geworfen hätten. Seine erste Frau Margalit, genannt Gali, kam 1962 bei einem Autounfall ums Leben und ließ ihn mit dem fünfjährigen Gur zurück. Fünf Jahre später wurde der Bub getötet, als sich beim Spielen mit einem alten Gewehr ein Schuss löste.

Sharons zweite Frau Lily, die Mutter der Söhne Omri und Gilad, war Margalits jüngere Schwester. Sie starb 2000 an Krebs und ist auf der ­"Sykomoren-Farm" in Südisrael begraben, die seit 1972 im Familienbesitz ist.

Auch als er schon Regierungschef war, blieb die entlegene Farm Sharons Refugium, und die Söhne, besonders der schweigsame Omri, der auch einmal ins Parlament gewählt wurde, gehörten zu den einflussreichsten politischen Beratern. Die späten Jahre des politischen Höhenflugs waren überschattet von polizei­lichen Ermittlungen gegen die mächtige und beharrlich mauernde Familie.

Popularität ungebrochen

Der Verdacht, dass Schmiergelder geflossen seien, konnte nie erhärtet werden und hat der Popularität des Vaters letztlich keinen Abbruch getan. Doch ein Verfahren wegen einer illegalen Wahlkampffinanzierung endete mit einer Verurteilung Omris, der die ganze Schuld auf sich genommen hatte.

Die Möglichkeit, dass sein Sohn für ihn vielleicht sogar ins Gefängnis wandern würde, hatte der Vater offenbar als notwendiges Übel hingenommen – mit der typischen Mischung aus Sendungsbewusstsein, Eigensinn, Bauernschläue und Rücksichtslosigkeit, die Ariel Sharon zu einer historischen ­Figur gemacht hat. (Ben Segenreich aus Tel Aviv, DER STANDARD, 11.1.2014)