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Wenn Jeff Koons' "Puppy" sein winterfestes Blumenkleid verpasst bekommt, ist es wieder Zeit, die Bars von Bilbao zu frequentieren.

Foto: EPA / Alfredo Aldai

Was für ein Glück, dass Iurdana dabei ist. Es ist Freitagabend, ganz Bilbao scheint auf den Füßen zu sein - und Hunger zu haben. Die Bar ist winzig, die Auswahl an Pintxos riesig. Aber wie rankommen an die kunstvoll auf Weißbrotscheiben drapierten Essenstürmchen? Wir schicken Iurdana vor. Die baskische Weltenbummlerin wohnt erst seit kurzem wieder in Bilbao, aber in Sachen Durchsetzungsfähigkeit steht sie ihren Landsleuten um nichts nach. Sie boxt und ruft, drei Minuten später halten wir Pintxos und Cañas, Essen und Bier im Miniaturformat, in der Hand. Iurdana staunt ob des vorsichtig vorgebrachten Wunsches, sich an einen Tisch zu setzen, ignoriert ihn gekonnt. Runter mit den Pintxos und dem Bier, ab in die nächste Bar. Willkommen im Baskenland.

Dass das ein bemerkenswertes Stück Spanien ist, dämmert den Ankommenden schon am Flughafen. "Exit - Salida - Irteera" steht über den Köpfen der Passagiere. Englisch - Spanisch - Baskisch. Die ultrakomplizierte Sprache, die mit keinem anderen Idiom der Welt verwandt zu sein scheint, ist erst in den letzten Jahren in den Alltag der Stadt zurückgekehrt. Iurdana, die Mitte-30-Jährige mit dem typisch baskischen Vornamen, spricht nur ein paar Brocken; zu ihrer Schulzeit wurde es noch nicht unterrichtet. Heute kann man vom Kindergarten bis zum Doktorat alles auf Baskisch absolvieren.

Effektvolle Metamorphose

Euskara, wie sich die Sprache nennt, ist die Basis für das eigenwillige Selbstverständnis der Region. Die Zeiten des ETA-Terrors sind vorbei, in den Köpfen und Herzen vieler Menschen ist Madrid aber keinen Millimeter näher als vor zehn oder 20 Jahren. Bilbao selbst hat in dieser Zeit einen Wandel mitgemacht, dessen Name mittlerweile ein stehender Begriff für eine urbane Metamorphose ist: der Guggenheim-Effekt.

Tatsächlich bleibt einem beim ersten Blick auf das futuristische Museum am Rio Nervión erst mal nur eines übrig: mit offenem Mund zu staunen. Es dauert, bis man alle äußerlichen Facetten des Gebäudes erfasst hat, von seinem Innenleben ganz zu schweigen. Am Haupteingang findet man das Kunstwerk, das zum Wahrzeichen der Stadt wurde: ein Welpe von Jeff Koons, mehrere Stockwerke hoch und je nach Jahreszeit mit bunten Blumen bepflanzt.

Koons' Werk sollte nur temporär vor dem Guggenheim stehen, doch die Stadtbewohner machten sich für den Verbleib des Puppy stark - mit Erfolg. Überhaupt scheinen sie die modernen Attribute der Stadt ins Herz geschlossen zu haben. "Fosteritos" nennen sie etwa die Ausgänge der U-Bahn-Stationen, die wie Raupen aus dem Boden kommen - nach ihrem Schöpfer Norman Foster.

Kräftiger Puls am Nervión

Der Puls der Stadt, er schlägt nicht mehr in der historischen Altstadt am kräftigsten, sondern am Ufer des Nervión, das zum Schaufenster der internationalen Architekturszene geworden ist. Bilbao will die Stadt aus der Zukunft sein, hier trotzt man der Krise. Derzeit wird nach den Plänen von Zaha Hadid die Halbinsel Zorrozaurre umgestaltet - vom abgewrackten Industrieviertel zur schicken Wohngegend.

Wer eine baskische Stadt vor der Verwandlung sehen will, für den empfiehlt sich eine Reise durch die malerische, grüne Hügellandschaft ins nahegelegene San Sebastián. 2016 ist Donostia, wie die Stadt auf Euskara heißt, Europäische Kulturhauptstadt, davon erhofft man sich zumindest einen kleinen Guggenheim-Effekt. Einstweilen lebt San Sebastián auch ganz gut von seinem Ruf als Surferparadies, dessen Nukleus die Playa de la Concha ist. Außerdem ist die Dichte der Spitzenköche in San Sebastián besonders hoch, ein Faktor, der sich in den Preisen kräftig niederschlägt.

Zurück am Flughafen Bilbao: Málaga, Barcelona, Palma de Mallorca - obwohl die Destinationen großteils spanisch sind, muten sie so gar nicht wie Inlandsflüge an. Mit dem Gassengewirr lieblicher andalusischer Kleinstädte, mit der schaurig-schönen Atmosphäre im Barri Gòtic von Barcelona oder gar mit Inseltourismus hat Bilbao nichts am Hut. Es scheint mehr als nur ein Spanien zu geben, so widersinnig die heftigen Autonomiebestrebungen der einzelnen Regionen von außen auch erscheinen mögen. Ein Thema, das man in einer baskischen Bar übrigens tunlichst vermeiden sollte. Sonst wird's nix mit den Pintxos. (Andrea Heigl, DER STANDARD, Album, 4.1.2014)