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Ihre Eltern starben an Aids - ob diese Kinder aus Uganda überleben, wird die zukünftige Aidspolitik weisen.

Foto: REUTERS/Jason Reed

Von einer "Aidshysterie", die auf falschen Annahmen über die Situation in Afrika beruhe, war im letztwöchigen Kommentar von Christian Fiala an dieser Stelle zu lesen: eine äußerst umstrittene Ansicht, der ein Vor-Ort-Vertreter von Ärzte ohne Grenzen widerspricht.

Es ist sicher legitim, Prioritätensetzung und Sinnhaftigkeit von Aidsprojekten in Afrika kritisch zu hinterfragen, jedoch darf das nicht zu einer kompletten Verneinung und Verdrängung von Tatsachen führen – auch vor dem Hintergrund, dass nun selbst die südafrikanische Regierung angekündigt hat, HIV-Therapien im öffentlichen Gesundheitswesen anzubieten.

Das Hauptproblem der internationalen Aidspolitik der letzten Jahre war wahrscheinlich die starke Betonung von Prävention bei gleichzeitiger totaler Verweigerung, HIV-Infizierte oder bereits an Aids Erkrankte zu behandeln. Dies geschah trotz zunehmender Verfügbarkeit hochwirksamer, lebenswichtiger und mittlerweile auch preisreduzierter HIV-Medikamente. Als Folge dieser Politik, die Behandlung vorzuenthalten und gleichzeitig aufwändige Aidskampagnen zu betreiben, entstand ein Glaubwürdigkeitsproblem in der Bevölkerung betroffener Länder.

Stigma und Diskriminierung ließen sich nicht ausreichend reduzieren, und der Erfolg vieler reiner Aufklärungsprogramme war in der Tat oft bescheiden. Die WHO trägt dem nun Rechnung und empfiehlt Prävention und Behandlung von HIV als unbedingt notwendige Komponenten für zukünftige HIV-Interventionen. Richtlinien zur Behandlung der HIV-Infektion in Ländern mit begrenzten Ressourcen wurden von der WHO, unter Mitwirkung von Ärzte ohne Grenzen, erarbeitet.

Täglich 600 Tote

Als Mitglied der "Expertenkommission" des südafrikanischen Präsidenten ist Christian Fiala sicher bekannt, dass in Südafrika einer von fünf bis sechs HIV-Tests positiv ist und dass dort täglich 600 Menschen an Aids sterben. Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und UNAIDS waren Ende 2002 weltweit ca. 42 Mio. Menschen mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV) infiziert. Diese Schätzung beruht auf Hochrechnungen auf Basis länderweise durchgeführter Querschnittsanalysen repräsentativer Bevölkerungsteile. Das System der HIV-Erfassung ist allgemein anerkannt und internationaler Standard.

Die Behauptung, HIV-Antikörpertests seien in manchen Regionen Afrikas nicht geeignet für die Diagnose einer HIV-Infektion, ist nicht belegt. Auch werden Statistiken nicht "aufbereitet" und Aids "entsteht" nicht in Genf, vielmehr wird dort versucht, die globale Situation mit den zur Verfügung stehenden Mitteln korrekt einzuschätzen. Die WHO unterscheidet in ihren Veröffentlichungen sehr genau zwischen HIV-Infektion und Aids. WHO-Fehlprognosen der HIV-Gesamtentwicklung kamen durchaus vor, jedoch wurde die jährliche Zunahme der weltweiten HIV-Infektionen anfänglich meist zu gering eingeschätzt. Der natürliche Verlauf der (unbehandelten) HIV-Infektion ist sehr gut untersucht und der Zusammenhang zwischen HIV und Aids bewiesen.

Da viele afrikanische Länder (wie Uganda) mit Gesundheitsbudgets von unter einem US-Dollar/Kopf/Jahr operieren, ist es diesen Ländern unmöglich, opportunistische Infektionen (Aids) mit unseren teuren diagnostischen Methoden festzustellen.

Die WHO empfiehlt daher die Benutzung vereinfachter Falldefinitionen für die Aidsdiagnose: Das sind Symptomkonstellationen, die für das Vorliegen von Aids sprechen. Voraussetzung ist jedoch immer das Vorhandensein eines positiven HIV-Testergebnisses beim entsprechenden Patienten sowie der Ausschluss möglicher nicht HIV-assoziierter Ursachen für seine Beschwerden (z. B. Malaria). Es ist schlicht unzutreffend, dass in publizierten Daten der WHO Patienten mit Fieber oder Juckreiz ohne vorher durchgeführten HIV-Test als Aidsfälle bezeichnet werden. Warum aber ist im Allgemeinen die Darstellung von Daten in Bezug auf HIV/Aids oft so verwirrend?

Begriffe vermischt

Definitionsgemäß liegt zwischen der Ansteckung mit dem HIV und dem Auftreten von Aids ein Zeitraum von mehreren Jahren. Aidsfälle reflektieren daher HIV-Ansteckungen, die Jahre zurückliegen. In Fachkreisen unterschieden werden HIV-Inzidenz (die Anzahl der jährlichen Neuansteckungen mit HIV) und die HIV-Prävalenz (Prozentsatz von HIV-positiven Personen in einer Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt) und entsprechend Aids-Inzidenz und Aids-Prävalenz.

Diese Begriffe werden in den Medien, aber auch in der wissenschaftlichen Diskussion oft vermischt. Liest man von "HIV-Rate", ist gewöhnlich die Prävalenz der HIV-Infektion gemeint. Liest man von "Aids-Rate", bezieht sich dies auf die Inzidenz der Aidserkrankungen.

Auch bei den Uganda-Daten ist hier vieles fehlinterpretiert worden. So ist etwa die Wirksamkeit von Aufklärungskampagnen in Bezug auf HIV kaum durch einen Rückgang der HIV-Prävalenz oder der Aids-Inzidenz messbar. Dazu müsste die HIV-Inzidenz untersucht werden, was aber organisatorisch und ethisch problematisch ist.

Auch ist es, wie Fiala richtig anmerkt, keineswegs bewiesen, dass Aidskampagnen zu einer Veränderung des Sexualverhaltens führen. Allerdings ist die Verknüpfung dieser Dinge mit Bevölkerungswachstum, Fruchtbarkeit und Sterblichkeit in Uganda, wie im Artikel dargestellt, schwer nachvollziehbar.(DER STANDARD, Printausgabe, 13.8.2003)