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Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser setzt seit 15 Jahren Aktivitäten zur Prävention von Gewalt in der Familie. Der Verein ist nicht nur Dachverband und Interessensvertretung der autonomen Frauenhäuser Österreichs, sondern "beherbergt" auch die Informationsstelle gegen Gewalt, das Europäische Frauennetzwerk WAVE-Women Against Violence Europe und die Frauenhelpline gegen Männergewalt. Entstanden ist er 1988 aus dem Zusammenschluss der Mitarbeiterinnen der autonomen Frauenhäuser Österreichs zum Zweck der Vernetzung und des Info-Austauschs.

Maria Rösslhumer ist Geschäftsführerin des Vereins, Daniela Almer betreut die Öffentlichkeitsarbeit.

dieStandard.at: Vor 25 Jahren wurde das erste Frauenhaus in Österreich eröffnet – wie sehen Sie die bisherige Entwicklung der Frauenhäuser?

Daniela Almer: Einerseits können wir uns freuen, dass es diese Bewegung, die ja aus der Autonomen Frauenbewegung entstanden ist, jetzt schon so lange gibt und dass sie eigentlich auch erfolgreich ist, weil immer wieder neue Frauenhäuser eröffnet werden und die Länder sie finanzieren. Andererseits ist natürlich auch immer ein Wermutstropfen dabei, weil das natürlich heißt, dass es nach wie vor sehr viele Frauen gibt, die Frauenhäuser in Anspruch nehmen müssen, weil sie daheim nicht sicher sind.

dieStandard.at: Gibt es jetzt bereits in jedem Bundesland eines?
Almer: Fast - im Burgenland, in Eisenstadt, ist es gerade im Entstehen. Es hätte schon im September eröffnet werden, aber das wird sich verzögern. Der Spatenstich erfolgte letztes Jahr, wir warten nur mehr auf die Eröffnung.

dieStandard.at: Was ist der Unterschied zwischen autonomen und anderen Frauenhäusern?
Maria Rösslhumer: Autonome sind jene, die aus der Autonomen Frauenbewegung entstanden sind, wo unabhängige Vereine sagen, wir machen ein Frauenhaus auf und sich verpflichten, gewisse Standards einzuhalten. Diese sind dann bei uns vernetzt. Und dann gibt es in Österreich noch andere Einrichtungen von verschiedenen Trägern - katholische Träger, Caritas, Kolping,...- die auch Unterkunft und Schutz für von Gewalt bedrohte Frauen bieten.

dieStandard.at: Für welche Zielgruppe sind Frauenhäuser primär da?
Almer: Die autonomen Frauenhäuser schauen, dass die freien Plätze wirklich Frauen vorbehalten bleiben, die von Gewalt bedroht sind, weil die Platzsituation sehr eingeschränkt ist, die Häuser sind fast durchwegs voll. Aber Frauen mit anderen Problematiken werden beraten, welche andere Einrichtungen sie in Anspruch nehmen können. Meist erfolgt zuerst ein Anruf von Betroffenen und dann kann man gemeinsam abklären, was genau für ein Problem vorliegt.

dieStandard.at: Rufen die Frauen vorher an oder kommen sie gleich direkt ins Frauenhaus? Und wie erfahren sie, wo sie sich hinwenden können?
Almer: Sie rufen meistens an, denn die Adressen der Frauenhäuser sind anonym. Es wäre zu gefährlich, sie bekannt zu machen, weil man damit rechnen muss, dass Gewalttäter dann dort auftauchen können. Die Telefonnummern sind natürlich verbreitet, und dann gibt es noch ein Netzwerk an Hilfseinrichtungen bei uns, über die man die Nummern erfahren kann.

Rösslhumer: Dass eine Frau direkt ins Frauenhaus kommt, kommt aber auch immer wieder vor, gerade im ländlichen Bereich: Dort ist nämlich oft schon bekannt, wo das Haus ist – die Anonymität, die es im urbanen Bereich gibt ist in ländlichen Gegenden oft nicht gegeben. Da wissen meist auch die Taxifahrer und die Leute in der Ortschaft, wo sie sind. Aber in der Regel rufen sie schon an und erfahren dann über die Betreuerinnen, wo sie hinkommen sollen.

dieStandard.at: Nehmen betroffene Frauen in der Regel schon Hilfe und Beratung in Anspruch, bevor sie sich entscheiden, wirklich ins Frauenhaus zu gehen? Almer: Ja, denn meist ist es nicht das erste Mal, dass Gewalt passiert und dass die Frau sofort ins Frauenhaus geht, das sind oft schon ganz lange Geschichten, die bereits seit Jahre laufen können. Viele Frauen haben bei Beratungsstellen bereits immer wieder Information eingeholt, was sie tun könnten. Aber bis sie es dann wirklich tun, kann es manchmal dauern. Manchmal sind es dann auch wirklich akute Situationen, wo sie so gefährdet sind daheim, dass es einfach nicht mehr anders geht. Ins Frauenhaus geht man ja nicht einfach so, das ist ja wirklich ein großer Schritt.

Rösslhumer: In der Beratungsstelle wird gemeinsam ein Krisenplan entwickelt, auch wenn die Frau noch nicht vorhat, in ein Frauenhaus zu gehen. Wenn es wieder zu einer akuten Situation sollte sie etwa einen zweiten Autoschlüssel haben oder immer Kleingeld bei sich, ein Handy wo vielleicht auch schon die Nummer des Frauenhauses gespeichert ist.

Bevor sie den Schritt wagt, muss sie für sich viele Dinge entscheiden, klären und abwägen. Viele verlieren den Job, den Kindergartenplatz, die Kinder können ihre Schule nicht mehr besuchen – da hängen so viele Überlegungen dran. Gerade im ländlichen Bereich ist das nächste Frauenhaus oft irgendwo, in großer Entfernung zum Wohn- und Arbeitsplatz, die Frau hat vielleicht gar kein Auto, fährt vielleicht mit einer Freundin hin. Im Glücksfall hat sie die Möglichkeit, zunächst vier Wochen oder 14 Tage auf Urlaub zu gehen, um in Ruhe die nächsten Schritte zu überlegen, ohne ihre Situation zum Beispiel am Arbeitsplatz erklären zu müssen.

dieStandard.at:Wie lange kann frau im Frauenhaus bleiben?
Almer:Bis zu einem Jahr maximal.

dieStandard.at: Ist es für Frauen noch immer ein Tabu, wenn sie ins Frauenhaus gehen, über das frau nicht spricht?
Rösslhumer: Das ist schwer zu sagen, das ist bei jeder Frau anders und es kommt immer auch stark darauf an, wem sie es erzählt. Es kommt immer auch darauf an, wie es akzeptiert wird von ihrer Umwelt. Frauen fühlen sich meist sehr isoliert, schämen sich, über dieses Thema zu sprechen.

Viele hätten sich nie gedacht, dass sie einmal in eine solche Situation kommen, dass ihre Beziehung so wird. Die eine spricht aber mehr darüber, die andere will alles geheim halten. Das ist eher die Mehrzahl, weil viele von ihnen gemerkt haben, dass sie in ihrer Umgebung auf Unverständnis stoßen. Die meisten Menschen verstehen nicht, warum es Frauen in einer Gewaltbeziehung aushalten und sie ihren Mann nicht verlassen.

dieStandard.at: Wenn die Frauen ihre persönlichen Sachen von zuhause abholen kommen, für ihren Aufenthalt im Frauenhaus – werden sie da von Betreuerinnen begleitet?

Almer: Ja, auf Wunsch wird sie begleitet, auch bei Amtswegen und in Jobfragen, bei der Suche nach einer neuen Wohnung, bei Fragen, die die Kinder betreffen, etc. Die autonomen Frauenhäuser arbeiten außerdem nach dem Prinzip des „Empowerments“, also der Stärkung der Frauen: Sie sollen dort weiterleben und wieder die Kraft und den Mut sammeln, ihr Leben selbst zu organisieren ohne wieder von einem gewalttätigen Partner abhängig zu sein. Sie sollten, wenn es geht, auch weiter arbeiten und ihre Lebensschwerpunkte, wenn die Situation es erlaubt, weiter aufrecht erhalten. Der Aufenthalt soll sie nicht total heraus reißen aus ihrem Leben.

dieStandard.at: Kostet der Aufenthalt den Frauen etwas?
Almer: Je nachdem ob sie ein Einkommen haben oder nicht bezahlen sie einen kleinen Beitrag, der nach Verdienst gestaffelt ist. Das soll sie ermutigen, das Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen, denn draußen müssen sie sich ihren Lebensunterhalt ja auch finanzieren.

dieStandard.at: Kommen die betroffenen Frauen aus allen Bevölkerungsschichten oder betrifft Gewalt vor allem eine bestimmte soziale Schicht?

Rösslhumer: Das geht quer durch alle Bereiche, nur ist es so, dass es in höheren Bevölkerungsschichten einfach besser kaschiert werden kann. Frauen aus höheren Schichten, die Gewalt erfahren, haben oft andere oder bessere Möglichkeiten, als andere: Sie können vielleicht eher vorübergehend in ein Hotel ziehen, einen Kuraufenthalt machen oder bei Verwandten oder Bekannten geschützt unterkommen, suchen aber nicht in erster Linie das Frauenhaus auf. In den Frauenhäusern sind daher meistens Frauen aus Mittel- oder Unterschicht.

Besonders schwierig ist die Situation zum Beispiel für Frauen, wo die Männer in der Öffentlichkeit stehen, weil jede und jeder sie kennt – sobald sie sich an eine Beratungsstelle wenden, weiß jede/r, dass sie Gewalt erfahren hat. Am Land weiß das dann in kürzester Zeit die ganze Ortschaft. Und wenn sie sagt, sie geht in ein Frauenhaus, wissen natürlich überhaupt gleich alle, welches Problem sie hat.

dieStandard.at:Auch Migrantinnen sind sehr stark in Frauenhäusern anzutreffen...

Rösslhumer: Ja, allerdings nicht unbedingt deshalb, weil in Migrantinnenfamilien mehr Gewalt passiert, sondern weil sie in Österreich einen sehr schlechten Aufenthaltsstatus haben. Migrantinnen überlegen sehr stark, ob sie die Polizei holen, weil damit auch der Aufenthalt gefährdet ist: Wenn sie ihren Mann anzeigen, verlieren sie in der Regel oft auch ihre eigene Existenz und die ihrer Kinder, weil sie oft nicht selbst erwerbstätig sind, also suchen sie Zuflucht im Frauenhaus.

dieStandard.at: Wie kann man Frauen helfen, bei denen man weiß, dass Gewalt im Spiel ist?
Rösslhumer: Grundsätzlich ist es ganz wichtig, den Frauen Mut zu machen, sich an eine professionelle Einrichtung zu wenden. Dort können sie sich die Kraft holen, aus ihrer Situation herauszukommen. Und es ist wichtig, dass die Menschen um sie herum das Verständnis dafür entwickeln, dass es doppelt so schwierig ist, aus einer Gewaltbeziehung rauszukommen als aus einer normalen Beziehung. Das fordert viel Mut und da spielen viele Überlegungen mit.

dieStandard.at: Wo fängt Ihrer Meinung nach Gewalt in der Familie an – oft sind betroffene Frauen sehr unsicher, wann sie handeln müssen.
Rösslhumer: Jede Form der Verletzung ist eine Form von Gewalt, ob verbal, physisch oder psychisch. Frauen und Mädchen sollte schon bei verbaler Gewalt sehr sensibel sein. Wenn ihr Mann oder Freund sie vor anderen lächerlich macht, läuten meiner Meinung nach schon die Alarmglocken, das sind zumindest Anzeichen, dass es sich verstärken könnte. Da liegt ja schon sehr viel an Missachtung und Nicht-Wertschätzung drinnen. Und das kann im Laufe der Zeit immer stärker werden. Das vermitteln wir auch immer schon am Telefon, denn oft rufen Frauen bei unserer Hotline an und sagen: „Ich weiß nicht, ist das Gewalt?“.

dieStandard.at: Die Frauenhäuser sind nach wie vor sehr ausgelastet – hat sich trotzdem seit Beginn der Bewegung etwas an der Situation von Gewalt betroffener Frauen verbessert?
Almer: Ja, es hat sich auf jeden Fall einiges verändert. Mit der Frauenhausbewegung in Österreich hat ja auch die Präventionsarbeit begonnen. Die Frauenhausmitarbeiterinnen haben sich zusammengeschlossen und im Laufe der Zeit viele Maßnahmen entwickelt, um hier aktiv zu sein. Ein Bereich davon ist Sensibilisierung: Wir versuchen in der Öffentlichkeit sehr stark auf die Problematik aufmerksam zu machen und den Frauen auch zu signalisieren, dass sie sich nicht schämen müssen - schämen müssten sich eigentlich die Täter.

Und wir zeigen, dass es Hilfe gibt und wo sie diese finden. Da stellen wir schon fest, dass der Zulauf zu allen Hilfseinrichtungen sehr rege ist – also glauben wir, dass diese Maßnahmen auch wirken, dass sich immer mehr Frauen auch wirklich trauen, Hilfe in Anspruch zu nehmen und das ist auf jeden Fall eine Verbesserung.

dieStandard.at: Und das Gewaltausmaß in Partnerschaft oder Familien selbst? Hat sich da etwas zum Positiven verändert?
Almer: Das können wir leider in Österreich nicht feststellen, da müssten wir jedes Jahr eine Erhebung durchführen. Da gibt es viel zu wenig Studien. In anderen europäischen Ländern wird so eine Ausmaßstudie aber schon gemacht und es wäre dringend notwendig, dass wir in Österreich auch so eine haben. Das Know-how wäre ja da, man könnte eigentlich jederzeit beginnen, aber wir haben keine Finanzierung. So müssen wir uns immer auf Schätzungen berufen und haben keine repräsentativen Zahlen, die beschreiben, wie hoch das Ausmaß an Gewalt gegen Frauen ist. Diese Frage wird natürlich aber dauernd an uns gestellt. Das ist ein großes Problem für uns.

Rösslhumer: Wir orientieren uns deshalb an der Auslastung der Frauenhäuser. Oder am Gewaltschutzgesetz, das ist auch ein wichtiger Indikator. Das haben wir jetzt seit 1997 in Österreich und das war ein großer Meilenstein, weil Österreich als erstes europäisches Land so ein Gesetz eingeführt hat. Es beruht auf dem Wegweisungsprinzip, dass der Täter von der Wohnung weggewiesen werden kann - und die Wegweisungen steigen auch kontinuierlich. Das Gesetz wird also stark in Anspruch genommen, was für uns einerseits bedeutet, dass die Leute Bescheid darüber wissen und diese Maßnahme nutzen. Ob die Gewalt aber tatsächlich mehr oder weniger wird, können wir nur interpretieren.

dieStandard.at: Was müsste auf politischer Ebene noch passieren, um Frauen stärker vor Gewalt zu schützen?

Rösslhumer: Im Bereich der Frauenhäuser wäre es zunächst ganz enorm wichtig, sie gesetzlich abzusichern. Die Finanzierung ist ja Landessache, da bräuchte es gute Verträge und eine gesetzliche Absicherung, dass das Land diese Finanzierung auch sicher übernimmt. Aber dazu fehlt derzeit der politische Wille, das wurde bisher nur angedacht – die Frauenhäuser müssen immer noch jährlich Subventionsansuchen gestellt werden. Sehr gut funktioniert die Zusammenarbeit zum Beispiel in Oberösterreich, wo das bereits gesetzlich verankert ist, oder auch in Wien, wo ein Vertrag mit der Stadt besteht.

Weiters müsste in der Präventionsarbeit viel mehr passieren – mit Schulen, Kindergärten, Jugendorganisationen. Das Thema müsste vor allem geschlechtsspezifisch mehr behandelt werden. Und Beratungsstellen sollten - gerade in ländlichen Gebieten - flächendeckender ausgebaut und ebenfalls abgesichert werden. Die Frauenorganisationen leiden ja permanent unter finanziellen Druck, so dass sie oft nicht wissen, ob sie weiterarbeiten können. Und der Ausbau der Opferrechte im Strafverfahren wäre nötig - das ist auch ein Schwerpunkt, auf den wir immer wieder setzen.

Das Interview führte Isabella Lechner.