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Clemens Hellsberg über die Wahl des Neujahrskonzert-Dirigenten: "Eine Entscheidungshilfe ist auch immer die Musik von Franz Schubert."

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Clemens Hellsberg hat ein gutes Gefühl bezüglich des anstehenden Neujahrskonzerts mit Daniel Barenboim: "Ich habe bei Proben zugehört - da ging schon einiges weiter", konstatiert der Philharmoniker-Vorstand, wobei das nicht unbedingt eine sensationelle Überraschung darstellt. Wer für das begehrte erste Konzert des neuen Jahres infrage kommt, muss längst ausgiebige Erfahrung mit dem Wiener Kollektiv gemacht haben. Barenboim sammelte selbige in 25 Jahren an.

"Ein Dirigent, der infrage kommt, sollte auf jeden Fall das Abonnementkonzert dirigiert haben. Wir streben ja langfristige Bindungen mit den Maestri an. Die Bindungen sind zwar nicht so intensiv wie bei Orchestern, die einen Chefdirigenten haben. Sie sind jedoch viel länger. Mit Zubin Mehta arbeiten wir seit 52 Jahren, mit Lorin Maazel 51 Jahre, bei Georges Prêtre sind es auch schon 50 Jahre, und mit Riccardo Muti sind wir bei 42 Jahren."

So man das Gefühl habe, es "gehört jemand zu diesem Kreis, ist es schon ein zureichender Grund, ein Neujahrskonzert in Erwägung zu ziehen". Es gibt allerdings auch andere Talentsignale: "Manchmal macht man bei Konzerten Zugaben, bei denen etwas zu erkennen ist. Ein gutes Kriterium, eine Entscheidungshilfe ist immer auch die Musik von Franz Schubert. Da spürt man in jedem Fall, ob dieses Repertoire einem Dirigenten liegt. Vater Strauß wurde ja 1804 geboren, Josef Lanner 1801 - sie sind echte Zeitgenossen Schuberts." Wenn der Eingeladene dann zusagt und sich an die Arbeit macht, landet er allerdings gleich in einer Ausnahmesituation.

"Die ganze Atmosphäre ist dichter als sonst, es gibt ein weltweites TV-Publikum. Außerdem weiß der Dirigent nicht, ob und wann er wieder eingeladen wird - das ist womöglich ein zusätzlicher Stressfaktor." Bei Georges Prêtre etwa war zu bemerken, dass dessen zweites Konzert energetischer war als sein Einstand.

Auch Prêtre zögerte

"Ein Dirigent muss auf viele Dinge achten, zudem kommen die drei Konzerte inklusive 1. Jänner hinzu. Beim zweiten Mal wusste Prêtre schon, was ihn erwartet, und er hat sich die Energie gut eingeteilt." Wie Barenboim habe übrigens auch Prêtre gezögert, noch einmal anzutreten. "Das Neujahrskonzert war ein Traum von ihm, was er diskret quasi in Nebensätzen formuliert hat. Dann hat es sich verwirklicht; verständlich, dass er Überlegungen angestellt hat, ob er das ein zweites Mal machen soll."

Ja, in den nächsten Jahren würde es neue Namen geben; so war es schließlich im vergangenen Jahrzehnt auch, meint Hellsberg. Simon Rattle ist aber jetzt kein Thema, er ist ja Chef der Berliner Philharmoniker, "wobei keiner ewig Chefdirigent bleibt". Andere wie etwa Gustavo Dudamel müssen aus anderen Gründen zuwarten. "Er hat eine tolle Karriere hingelegt. Wenn er allerdings jetzt schon drankäme - was sollte dann noch kommen? Und geht es schief, was ist dann? Man sollte schon auf einige Erfahrungen zurückblicken können, und mit 40 hat man dann schon wieder eine andere Perspektive. Wobei: Das Sommernachtskonzert mit Dudamel war sehr gut, ist aber etwas komplett anderes."

Anders ist die Lage heuer auch für Clemens Hellsberg. Er wird nicht mitspielen können, eine gebrochene linke Hand sorgt für die Zwangspause. Für die Beurteilung des Konzerts allerdings muss es kein Nachtteil sein, nicht mitten im Walzertrubel zu sitzen. "Dabei sitze ich innerhalb des Orchesters mittlerweile relativ privilegiert. Ich habe in der Staatsoper bei den zweiten Geigen begonnen. Wenn man da vor dem Schlagwerk saß oder neben den Trompeten, hatte man einen völlig anderen Eindruck von Opern. Ich habe die Werke, mit denen ich schon vertraut war, fast nicht wiedererkannt. Als ich bei den ersten Geigen landete, wurde es besser."

Als nicht mitspielender Hörer hat Hellsberg jedenfalls seine Gewohnheiten, um zur tragfähigen Impression zu gelangen. "Im Wiener Musikverein höre ich mir auch ziemlich viele andere Orchester an und bin dabei in der Direktionsloge. Oft fordert man mich auf, mich in die erste Reihe zu setzen. Ich bleibe aber immer an der Wand, sitze immer auf demselben Platz. So lässt sich vergleichen. Ein und dasselbe Konzert kann, je nachdem, wo man sitzt, ganz anders klingen."

Sicher ist auch: "Das TV-Gerät bei uns zu Hause ist nicht ernst zu nehmen, wenn man das Neujahrskonzert adäquat hören will." (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 31.12.2013)