Sieht nur aus wie der junge Bill Gates: Peter (Patrick Riester, re.) mit Martin Beuscher (Wiley Wiggins), zwei Schachcomputerexperten, in Andrew Bujalskis einfallsreichem Film "Computer Chess". 

Foto: Viennale

Wien – Gleich die ersten Bilder von Computer Chess lassen an eine Zeitreise denken. Schlierige Schwarz-Weiß-Aufnahmen, in denen sich die Hell/Dunkel-Kontraste auflösen – so, als hätte man ein altes Band aus der Frühzeit der Home-Video-Ära aus dem Keller geborgen. Als der junge, etwas ungeschickte Mann mit der Kamera das Objektiv in Richtung Sonne rückt, wird er im Film sofort eindringlich gewarnt. Er solle dies unterlassen, ansonsten könne das Gerät ob der großen Lichtstärke kaputtgehen.

Der US-Amerikaner Andrew Bujalski hat ein "period piece" realisiert, das in die allzu nahe Vergangenheit, an die Schwelle der 1970er- zu den 1980er-Jahren führt. Form und Inhalt fallen dabei auf bemerkenswerte Weise zusammen: Computer Chess entwirft das Szenario eines Computerschachturniers in einem Hotel. Ein Wochenende lang wird das beste Programm ermittelt, gegen das dann wiederum ein menschlicher Spieler antritt.

Bujalski erzählt vom Tag X in der Babyphase des digitalen Zeitalters: einer Ära, in der bereits die ersten Home-Computer wie der Commodore VC20 in unsere privaten Wohnräume eindrangen, wir uns diesen klobigen grauen Dingern in der Regel aber noch überlegen glaubten.

Um einen zeitgemäßen visuellen Look bemüht, hat Bujalski, bisher notorisch dem Trägermaterial Film (sogar 16 mm) verbunden, erstmals mit Video gearbeitet. Sein langjähriger österreichischer Kameramann Matthias Grunsky griff dafür auf Kameras aus den späten 1960er-Jahren zurück. Eine Entscheidung, die auch ein Maß an Kontrollverlust bedeutete, denn das Bild ließ sich damit nur noch bedingt steuern.

Hornbrillen und Scheitel

Gemeinsam mit der unaufdringlichen Retroqualität von Produktionsdesign und Ausstattung – die Hornbrillen, Hemden mit breiten Kragen und Scheitelfrisuren trug man damals noch ganz unschuldig – liefert die Optik die perfekte Grundierung für eine Komödie über eine verschrobene Subkultur. Das Motiv des Ungefähren ist nicht nur visuell, auch erzählerisch gut verankert. So treten während des Turniers Störmomente in Form von merkwürdigen Anwandlungen der Computer auf. Sie halten sich nicht ans Programm, scheinen eigenmächtig zu agieren.

Wie schon in seinen früheren, der Mumblecore-Bewegung zugeschriebenen Filmen Mutual Appreciation oder Beeswax beweist der Independent-Regisseur auch in Computer Chess viel Gefühl für eigenwillige Dialoge und ebensolche Milieus. Im Nerd des frühen Computerzeitalters hat sein Universum einen Prototyp gefunden: Peter (Patrick Riester), einer der verklemmteren Programmierer, wird einmal mit dem Angebot eines Swingerpärchens konfrontiert, das im selben Hotel übernachtet. Eine ironische Schlüsselszene, in der die Spießervariante der 70er-Libertinage auf die primär rational ausgerichtete Nachfolgegeneration trifft.

Anstatt sich an der Dramatik des Turniers zu orientieren, öffnet Bujalski seinen Film wiederholt für solche szenischen Begegnungen. Die Bewegungen der Protagonisten gleichen dabei jenen von Schachfiguren, die ihre strategische Ausrichtung anpassen oder variieren – wie etwa der aufmüpfige Michael Papageorge (Myles Paige), der gleich einem Rössel durch das Hotel springt und jede Nacht woanders übernachtet.

Bujalski versetzt seine originelle Retrokomödie auch mit Anflügen von Science-Fiction, indem er mit einer Atmosphäre latenter Paranoia und Techno-Phobie spielt. Man denkt an WarGames, auch an Kubricks 2001, wenn in Computer Chess künstliche Intelligenz getestet wird, die sich möglicherweise schon sehr bald aus den Fesseln ihrer Erfinder befreit. Unter den Kombattanten herrscht Uneinigkeit, ob man mit dieser Pionierarbeit nicht Geheimdiensten zuarbeitet. Aus heutiger Sicht gibt es keinen Zweifel darüber, dass die Nebenfront der Geschichte, die dieser clevere, vielschichtige Film erfindet, zu einer großen Erfolgserzählung gehört, deren Auswirkungen uns morgen noch beschäftigen werden. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 31.12.2013)