Seit einer Viruserkrankung hat Erika Raich starke Lähmungserscheinungen. Damit sie zu Hause bleiben kann, braucht sie 24 Stunden am Tag Betreuung.

Foto: Uwe Schwinghammer

Innsbruck - Jeden Morgen die gleiche Prozedur, fast, als hätte der Körper den Vortag vergessen. Natália streicht sanft über die Hand der alten Frau. "Jetzt zeig mal, was du kannst", sagt sie und schiebt einen kleinen roten Ball zwischen deren Handflächen. Langsam und zittrig hebt Erika Raich ihn hoch. Natália lächelt stolz. Es ist nicht zuletzt ihr Verdienst, dass das inzwischen so gut klappt. Seit fast zwei Jahren übt sie mit ihrer Patientin. Am Nachmittag ist Erika am beweglichsten, über Nacht wird sie dann wieder steif.

Natália wird das jetzt noch für ein paar Tage machen. Dann reist sie wieder ab. Sie ist im 14-Tages-Rhythmus bei Erika und Alfred Raich, wohnt und isst dort, geht einkaufen, kocht, macht mit Erika die Morgentoilette, übt mit ihr, Arme und Beine zu bewegen. Nach zwei Wochen wird sie abgelöst und fährt zurück zu ihrer eigenen Familie, zu ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Slowakei. Bis vor zwei Jahren hatte sie dort als Krankenschwester gearbeitet. Doch der Verdienst ist in Österreich wesentlich besser.

Wildwuchs seit Legalisierung

"Die meisten unserer Betreuerinnen kommen aus der Slowakei, Tschechien oder Ungarn. Dort verdient eine Krankenschwester 300 bis 400 Euro im Monat, hier bekommen die Frauen mehr als das Doppelte für 14 Tage Arbeit", sagt Susanne Thaler vom Verein St. Elisabeth, der Pflegepersonal im Ausland rekrutiert und vermittelt. Die Organisation fordert nun gemeinsam mit der Liste Fritz die Einführung von Qualitätskriterien und eine eigene Landesförderung in Tirol. "Seit die 24-Stunden-Betreuung im Jahr 2007 legalisiert wurde, gibt es einen enormen Wildwuchs. Jeder kann eine Vermittlungsagentur eröffnen, und jeder kann pflegen. Das Wohl des Patienten steht dabei oft nicht im Fokus", kritisiert Thaler.

Erika Raich hat seit einer Viruserkrankung im Jahr 2012 starke Lähmungserscheinungen. Sie ist in der Pflegestufe sieben, braucht also Hilfe bei allem, was im Alltag anfällt. Ihr Mann hat einen dicken Ordner, in dem er alles dokumentiert und Rechnungen sammelt. Mehr als 50.000 Euro habe ihn die Erkrankung seiner Frau bisher gekostet - die monatlichen Ausgaben ausgenommen. Die Familie musste das Bad umbauen, die Türstöcke für den Rollstuhl verbreitern und Rampen installieren lassen, ein Übungsrad, einen Stehstuhl, einen Klostuhl und ein Krankenbett kaufen - die Kosten dafür seien zum größten Teil selbst zu tragen gewesen.

"Unser angespartes Geld ging dafür drauf, inzwischen beginne ich, unser Hab und Gut zu verkaufen. Uns ging es nie schlecht, aber jetzt kommen wir kaum noch über die Runden", sagt Alfred Raich. Er und seine Frau sind mit ihren Sorgen kein Einzelfall. Fast achtzig Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause gepflegt. "Geht man ins Heim, zahlt man in Höhe von Pension und Pflegegeld, den Rest übernimmt das Land. Die 24-Stunden-Betreuung wird hingegen nur mit einem sehr geringen Betrag gefördert, der etwa einem Drittel oder Viertel dessen entspricht, was der Staat bereit ist, für einen Heimaufenthalt zu zahlen", sagt Thaler.

Erika Raich bekommt Pflegegeld und einen Bundeszuschuss. Gemeinsam mit ihrer Pension würde damit etwa die Hälfte der Kosten für Betreuung und Medikamente gedeckt werden. "Noch schwieriger haben es Pflegebedürftige, die niedriger eingestuft sind - die müssen oft auch ganztägig betreut werden, bekommen aber noch weniger", sagt Thaler.

In der Vermittlungsagentur erlebe man auch, dass Menschen daheim betreut werden wollen, die für die Pflegerinnen eigentlich keinen Platz haben, sie in fensterlosen Kellerkammern unterbringen würden. Natália sagt über ihren Arbeitsplatz, dass sie es "gut erwischt" habe. "Natürlich ist es trotzdem nicht einfach, so lange von der Familie getrennt zu sein." Und anstrengend: Schließlich sei sie zwei Wochen lang 24 Stunden am Tag Pflegerin und dann zwei Wochen lang ganztägig Mama. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 31.12.2013)