5774 Jahre ist es her, dass, buchstäblich aus dem Vollen schöpfend, die Welt zur Welt gebracht wurde. Und auch in diesem Jahr - das seit Rosch ha-Schana am 5. September auch schon wieder nächstes Jahr ist, 5775 also - hat sie deutliche Anzeichen gegeben, dass sie keinesfalls mehr sehr lange stehen will.
Das war in den vorangegangenen Jahren zwar nicht anders, aber die vorangegangenen Jahre waren eben nicht das heurige 5774 seit Erschaffung der Welt, jenes Jahr also, in dem Mattersburg, der große SV Mattersburg, der 92 Jahre zuvor auf die damals erst 5682 Jahre alte Welt gekommen ist, sich verabschiedet hat aus der obersten Fußball-Spielklasse, nach zehn wunderbaren Jahren - und damit in jenes große Loch hineingefallen ist, in welchem körperbetonter Hader, knochenbrechende Schuldzuweisung und oberg'scheites Besserwissen eine Art ballesterisches Inferno, die Heute für Morgen Erste Liga - bilden.
Es mag ein wenig anmaßend - oder auch abartig - klingen, eine harmlose Rückschau auf das Jahr 2766 ab urbe condita mit dem sportlichen Abstieg der pannonischen Edelfüße zu beginnen. Andererseits muss aber halt irgendwo mit dem Schauen angefangen werden.
Ganz abgesehen davon, dass die markanten Ereignisse, die Bremsspuren und Schrammen im Jahreslauf, sich ja nie - oder praktisch nie - im großen Großen und Ganzen ereignen, sondern stets in dem kleinen Ein und Alles. Dort ist der Ort der Merkwürdigkeiten.
Nichts zu jammern
Kaum ein Mensch kann sich zum Beispiel mehr daran erinnern, dass wir im Großen und Ganzen einen langen, schneereichen Winter hatten, dem dann ein feuchtes Frühjahr folgte, sodass die Bauern schon fürchten mussten, nichts zu jammern zu haben beim Minister, ehe dann doch noch ein heißer Sommer kam mit förderwürdiger Trockenheit. Das alles - und mehr noch (Hochwässer!) - vergisst man ja, unbetroffen, im Handumdrehen. Nicht aber eben den 26. Mai, als ganz Mattersburg aus allen Wolken gefallen war. Ein Jahrzehnt ging zu Ende. Was heißt: eine Zeitrechnung! Die Welt deutete an, sich nunmehr wirklich vertschüssen zu wollen. Nur der Präsident, Martin Pucher, erhielt sich einen Rest von Contenance. "Für uns", erklärte er tapfer, "ist das nicht der große Weltuntergang." ("Obwohl es ganz danach ausschaut." Das sagte er auch, aber leiser.)
Unten das Chaos
Für jemanden, dessen Herz nicht am Sechzehnereck des Wulkatores begraben ist, gelten klarerweise andere Ereignisse als Jahreszäsuren. Niemand aber hat keine. Zusammen ergeben sie dann das Bild des abgelaufenen Jahres, in dem doch auch außerhalb des Pappelstadions einiges vonstattengegangen ist, das zur Bildung einer sich gewaschen habenden Untergehenstheorie herangezogen werden könnte. Dass zum Beispiel nämlich, wenn schon oben keine Ordnung herrscht, unten gleich ganz das Chaos ausbricht. Und oberste bis öberste Unordnung war reichlich. (DER STANDARD, 28.12.2013)
Wann wäre es, nur zum Beispiel, je gehört worden, dass hintereinander zwei benachbarte Königreiche es zugelassen haben, dass die Gekrönten sich aufs Altenteil zurückziehen? Könige haben doch von jeher als Könige zu sterben. Und Königinnen erst recht, sonst könnte ja gleich Prinz Charles - wovor Gott die Queen hüte! - kommen. Aber heuer brachte Herrin Beatrix die Niederländer schon am 18. Jänner um den 30. April, der doch seit 1980 ausgelassen als "Koninginnedag" gefeiert, ja regelrecht begangen wurde mit reichlich Getränk, orangen Leiberln und hässlichen Mützen. Im Juli zog sich dann Nachbar Albert vom belgischen Thron zurück. Und dazwischen - am 11. Februar - hat Joseph Ratzinger, horribile dictu, für Benedikt XVI. das Handtuch in den "circulus ecclesiae" geworfen.
Papst! Zurückgetreten! Da aber hat - um jetzt mit dem großen, für Nichtkenner höchst googelnswerten Peter Hammerschlag zu sprechen - "das liebe Gott gepfeift, hat sich gebäumt der Maros". Vier Tage nach der benedektinischen Unerhörtheit zeigte der Himmelvater mit seinem gefährlichen Finger auf das russische Tscheljabinsk. Der Komet kam, wenn auch vorderhand nur quasi und wie zur Mahnung. Aber immer, wenn Kometen kommen, hat man mit dem Schlimmsten zu rechnen.
Butz und Stingel
Kann nämlich ganz gut sein, es "richt' a so a Vagabund uns die Welt bei Butz und Stingel z'grund", wie Nestroy einst hat singen lassen. Man hat sich in einschlägigen Theoriekreisen viel gefragt, warum der Grant über den Papstrücktritt gerade das nichtkatholische Russland getroffen hat. Die wahrscheinlichste Erklärung ist wohl, dass auch die Himmlischen mit der Zeit gehen. In den Weiten Russlands treiben, so hört man, raffgierige Streifenpolizisten ihr Unwesen. Um dieses durch filmisches Dokumentieren wenigstens ein bisserl hintanzuhalten, haben sich viele Autofahrer mit versteckten Kameras bewaffnet. Und aus diesem Grund kann man den Finger Gottes, zu welchem die Ungläubigen fälschlich "Meteor" sagen, bis heute auch auf Youtube sehen. Lord goes digital.
Wenn der Herrgott net will ...
Dafür hat er seine Aufmerksamkeit von woanders ein wenig abgewendet. Nicht nur, aber eben auch von Mattersburg, das dann den jahrelang in Russland (sic!) tätig gewesenen Alfred Tatar als Trainer verpflichtete zwecks Herumreißens des Ruders. Aber Tatar musste, wie zuvor und in anderen Zusammenhängen woanders andere auch schon, die wohl fundamentalste Conditio sine qua non zur Kenntnis nehmen: Wenn der Herrgott net will, nutzt des gar nix!
Am 20. Jänner war es diesbezüglich bei Norbert Darabos so weit. In Verkennung der Tatsache, dass an diesem Sonntag das Volk nicht über die "milites Christi", sondern bloß übers österreichische Bundesheer befragt wurde, holte sich der damalige Verteidigungsminister einen sogenannten Denkzettel ab. Darabos, den "glücklos" zu nennen in fast unverantwortlicher Weise euphemistisch wäre, lief am Anfang des Jahres - es hieß, mit dem Schwung der gewonnenen Volksbefragung wolle die SPÖ in vorgezogene Neuwahlen noch vorm Sommer reiten - in einen Bracholder Häupl'schen Ausmaßes. Der Wiener Bürgermeister hatte sich ja so sehr ei- ne Freiwilligenarmee gewünscht, dass auch die Kronen Zeitung nicht anders konnte, als gegen die Wehrpflicht zu sein. Dumm gelaufen: Es wurde nicht vor, sondern nach dem Sommer gewählt. Der Schwung war nämlich ein Schwinger. Norbert Darabos ist jetzt nicht mehr Verteidigungsminister. Deshalb konnte er aber auch - ein Paradebeispiel für das Tante-Jolesch'sche "noch ein Glück" - nicht mehr den im Juni begonnenen Abzug des österreichischen Uno-Kontingents vom Golan anschaffen, der dem Land den Ruf einbrachte, gern den Schwanz einzuziehen und, gravierender noch, Israel im Stich zu lassen.
Der Nachruf mag ungerecht sein nach 40 Jahren und mehr als 20 Toten auf dem Golan, von ungefähr kommt er allerdings nicht. Dass die EU-Partner mit der Aufhebung des Waffenembargos für die syrischen Rebellen Österreich in eine ziemliche Neutralitätsbredouille und die Vereinten Nationen einen der ältesten und verlässlichsten Soldatenbereitsteller mit dem Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Mandat in echte Gefahr gebracht haben, ging in der sprichwörtlich gewordenen Kommunikationsmächtigkeit österreichischer Außenpolitik ein wenig unter. Die klingt ja, nicht nur in diesem Fall, als hätte maschek drübergeredet.
Man schaue sich diesbezüglich nur ein wenig (beim Googeln nach Peter Hammerschlags "Ungarischer Schöpfungsgeschichte") auf Youtube um: Papstbesuch! Alles wartet auf den 16. Benedeier, plötzlich quatscht es hundsbezüglich unter dem Bundespräsidenten. "Na geh", ärgert sich Heinz Fischer, "jetzt bin i in Kot g'stiegen." Ein Satz von allgemein-heimischer Gültigkeit, das AEIOU der moderneren Zeit. Die Versammlung der Welt am Grab des Nelson Mandela? "Na geh ...!" Und da soll sich - wie von vielen schnöselig geunkt - die Nation davor fürchten, ab nun von einem bloß 27-Jährigen repräsentiert zu werden?
Kein Snowden an Bord
Auch Sebastian Kurz kann doch sicherlich den urgeilen Evo Morales im coolen Schwechater Transitraum besuchen. Der war dort bekanntlich am 3. Juli. Warum, das wurde wohl auch Heinz Fischer nicht ganz klar, obwohl der eine freiwillige Nachschau hat halten lassen im Flieger, die so diskret - oder österreichisch - abgelaufen ist, dass der von Moskau heimreisende bolivianische Präsident, davon nichts mitbekommen hat. Die US-amerikanischen Dienste waren dennoch zufrieden. Ein gewisser Edward Snowden war nicht an Bord, alles, auch die Aufregung, flog wieder weg. Zurück blieb ein wenig Verdutztheit: "Na geh ...!" Und das waren jetzt bloß ein paar außenamtliche Beispiele.
Das maschek'sche Syndrom ist vor vielen Jahrzehnten schon vom Erzählsolitär Klaus Hoffer auf den pannonischen Punkt gebracht worden mit dem Verb "ablaken". Herrührend vom ungarischen Wort für Fenster, beschreibt es einen zutiefst österreichischen Vorgang, der beim Volksstamm der Bieresch in besonderer Ausprägung zu finden war und immer noch ist. "Die Kinder spielen das. Wir nennen es 'ablaken'", gibt der wortgewaltige Ethnologe die Erzählung eines Probanden seiner Feldforschung wieder, "ein anderer in mir zieht eine Durchreiche zu meinem Mund auf und zu und sagt, was ich sage. Er nimmt meine Stimme, spricht ein paar Worte und macht die Durchreiche wieder zu. Und bevor ich noch etwas sagen kann, weil ich ausbessern möchte, was da gerade mit meiner Stimme gesagt worden ist, geht ein anderes Fenster, ein anderes 'ablak' in mir auf, und eine andere Stimme sagt einen Satz. Und so weiter."
So funktioniert Politik
So und nicht anders funktioniert Politik. Spindelegger, Faymann, Strolz, Stronach, Strache, Glawischnig: Er, sie, es ablakt.
Apropos Stronach und die mit ihm zusammenhängende Frage, was wohl die Tante Jolesch, welche über die Männer bekanntlich eine sehr dezidierte Meinung gehabt hat, zu Monika Lindner gesagt hätte. Wahrscheinlich Obiges: So und nicht anders funktioniert Politik. Und was für den Mann äußerlich gilt (Schönheit - Aff' - Luxus), gilt für die Frau halt innerlich. Und Stronach? Für Bunga-Bunga ist hohes Alter allein zu wenig. Dazu bedarf es schon auch reichlich Dreistigkeit, Unverfrorenheit und Infamie. Bei allen einschlägigen Bemühungen im öffentlichen Leben: Dazu reichte es dann doch nicht ganz ...
... obwohl: 14. Jänner, 17. Jänner, 18. Jänner. Also, der Reihe nach: Ernst Strasser (vier Jahre wegen Bestechlichkeit, retour zur ersten Instanz), Alfons Mensdorff-Pouilly (Freispruch vom Vorwurf der Geldwäsche, zwei Monate bedingt wegen Beweismittelfälschung), Kurt Scheuch (diversionäre 6500 Euro wegen Richterbeleidung). So ganz ohne ist man hierzulande also doch nicht, obwohl die diesbezügliche Krone schon immer noch dem Italiener gehört, der im August des Jahres 2766 nach Gründung der Stadt Rom zu vier Jahren Haft und Verlust der politischen Ämter verurteilt wurde. Italien stürzte sich darob nicht in revolutionäre Umtriebe, was bei Silvio Berlusconi bis heute für ungläubiges Erstaunen sorgt. Dieser erstaunte Unglauben ist es allerdings auch, der den Bunga-Bungaisten immer noch unterscheidet von den Tea-Partyisten, die das Altwiener "Lecktsmiolleinoasch" in die allerlichtesten Höhen getrieben haben. Im Oktober schlossen die Vereinigten Staaten deshalb für zwei Wochen alle ihre Schalter, die rechtsradikalen Spinner hatten sich untereinander auf eine urösterreichische Formel geeinigt: "Verkaufts mei G'wand, i fahr in Himmel!"
Wie weiter? Wird's wieder?
Dort aber - so darf man glauben oder zumindest hoffen - zerbricht man sich hauptsächlich über Mattersburg den Kopf. Wie weiter? Wird's wieder? Derrappelt man sich? Fragen, deren polymorphe Antworten nicht nur in diesem Zusammenhang in Gottes Ohr gelegt werden zum Jahreswechsel. Neben all den anderen, die ein jeder für sich dort hinlegt. So wie die verschüttete Milch des Rückblicks ist auch das gegossene Blei der Vorschau ja ein höchst intimer Vorgang. Jene gleicht dem Wünschen, dieses dem Verwünschen, und in Gottes Ohr klingt beides wie Verschreien.
2014? Gott behüte! Sotschi zum Beispiel droht unmittelbar. Im Februar wird an der russischen (sic!) Schwarzmeerküste winterolympisch gespielt. 2013 gab es dagegen eine alpi- ne Ski-Weltmeisterschaft im steirischen Schladming, von der immerhin die Eröffnungszeremonie in Erinnerung geblieben ist, die, wie Skipräsident Peter Schröcksnadel richtigerweise angemerkt hat, jedes aufrechten Österreichers Herz höherschlagen lasse, weil des aufrechten Österreichers Ohren wie die des Präsidenten sind: "Auf Pseudointellektuelle horche ich nicht. Wir sind nun mal die Oper, die Lipizzaner, der Mozart, die Schuhplattler."
Siebeng'scheite können uns
Apropos: Gewählt wurde auch, danach schnitt man sich vom Präsidenten eine ordentliche Scheibe ab und horchte auch nicht auf Pseudointellektuelle, die - anstatt der Oper, den Lipizzanern, dem Mozart und den Schuhplattlern zu huldigen - Wissenschaftsminister urgieren. Am Ende des Jahres 2013 haben sich die oberen und öbersten Geablakten endlich dazu durchgerungen, die Durchreiche zu schließen und endlich Klartext zu reden: Die siebeng'scheiten Patschachter können uns alle buckelfünferln.
Das erste Wort? "Bumsti!"
2014? Am Sankt-Veits-Tag wird es erst 100 Jahre her sein, dass die Sarajevo'sche Zeitrechnung begonnen hat. Das erste und prägendste Wort dieses dann abgelaufenen Jahrhunderts war "bumsti!". Erzherzog Friedrich - Feldmarschall, Heerführer etc., etc. - ist damit hinterrücks geablakt worden, als er mit dem deutschen Kaiser Filmaufnahmen des 30,5-Zentimeter-Mörsers der Firma Skoda betrachtete. Ein bis heute gültiges Wort, das ein ganzes Jahrhundert umfasst: "bumsti!"
Also: 2014? Mattersburg wird nicht aufsteigen, aber (wie gesagt: an der Abrisskante des Jahres, wenn die Zeit durchhängt zwischen Heiligabend und Dreikönig, ist die Zeit des Wünschens) den Grundstein dafür legen.
Dummerweise aber wird der Ort der diesbezüglichen Vor- und Nachbesprechung - dort, wo die dritte Halbzeit stattfindet - dann vom Erdboden verschwunden sein. Die hochlöbliche Martinischenke lädt am Silvestertag zum endgültigen Noagerlsaufen. Dabei aber wird - versprochen! - mehrmals und lauthals in altphilologischer Referenz dem scheidenden Wissenschaftsminister die Reverenz erwiesen werden. Pseudointellektuelle, die wir sind. Kein schlechter Jahresabschluss, kein schlechter Jahresbeginn: "Sic transit gloria mundi!" (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 28./29.12.2013)