Sänger Franco Fagioli über den Sieg beim Bertelsmann-Wettbewerb: "Ich war 22 und dachte: Jetzt beginnt etwas Großes."

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Wien - In San Miguel de Tucumán, stolze 1500 Kilometer von Buenos Aires entfernt, machte sich ein junger Argentinier in den späten 1990ern einen Spaß daraus, hohe Stimmen zu imitieren. Er war an sich ein Tenor, der einen Chor gegründet hatte, da er überlegte, Dirigent zu werden. "Da, wo ich herkam, kannte man das Countertenorfach überhaupt nicht. Für mich war es immer eine Art Scherz, so hoch zu singen und Soprane zu imitieren. Ich wusste nicht, dass das ein Vokalfach ist und dass damit auch eine Karriere verbunden sein könnte."

Franco Fagioli entdeckte schließlich anhand einer Aufnahme von Pergolesis Stabat Mater (mit Emma Kirkby und James Bowman), dass der hohe Männergesang als ernstzunehmende Kunst existiert. Und fortan "wollte ich diesen Weg gehen", wobei auch die spätere Reise nach Buenos Aires, ans Instituto Superior de Arte des Teatro Colon, nicht zu den klassischen Countertenor-Partien führte. Fagioli nennt das allerdings ein großes Glück.

"Das Studium war schwer, jedoch gerade deshalb toll. Dort war ich ja ein Exot - sie hatten nie einen Countertenor gehabt, kannten das übliche Repertoire nicht und hatten auch die entsprechenden Noten nicht. Von Händels Rinaldo wusste niemand etwas - und ich bin dankbar dafür, da es mich zunächst daran hinderte, den normalen Weg zu beschreiten. Eine der ersten Partien, die ich studierte, war Cherubino aus Mozarts Figaro." Das sei gut für seine Entwicklung gewesen. "Ein Lehrer sagte mir zudem, meine Stimme wäre ideal für Rossini-Partien. So sah also mein Beginn aus, und er hatte etwas mit der Belcanto-Schule zu tun. Das gab mir Offenheit und die Fähigkeit, mehr zu interpretieren als nur Barock."

Sehr lustig findet Fagioli, der italienische und spanische Wuzeln hat, seinen ersten Opernauftritt. "Die erste komplette Oper, die ich auf der Bühne sang, war Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel. Ich machte einfach bei den Auditions mit, sie mochten, was ich tat, und so wurde ich Hänsel. Auch mein Bühneneinstand war also ungewohnt für einen Countertenor."

Und selbst bezüglich jener Künstler, die als Vorbilder fungierten, ist Fagioli nicht typisch. "Die bekannten Countertenöre waren wichtig, um diese Art des Singens zu entdecken. Ich muss jedoch sagen, dass ich immer Mezzosoprane bewundert habe; ich bin ja von der Stimmlage her Mezzosopran. So habe ich vor allem den Sound von Cecilia Bartoli, Anne Sofie von Otter, Vesselina Kasarova und Marilyn Horne bewundert - das waren meine Lehrerinnen."

Und offenbar sehr gute. Wenn man Fagiolis neue CD hört, Arias for Caffarelli (bei Naive), staunt man über die Klangfülle dieser Stimme ebenso wie über die Leichtigkeit der Koloraturen. Fagioli (Jahrgang 1981) ist zweifellos einer der Großen seines Faches, was sich auch anhand gewonnener Preise verdeutlichen lässt. 2011 bekam er in Italien den Premio Abbiati als "bester Sänger des Jahres"; schon viel früher (2003) gewann er beim Bertelsmann-Gesangswettbewerb "Neue Stimmen" in Gütersloh, "was die Tür zu meiner Karriere in Europa öffnete. Ich war sehr froh. Zugleich erwuchs daraus aber Verantwortung - ich war erst 22 und dachte, jetzt beginnt etwas ganz Großes."

Das Große fand statt; auch mit den üblichen Händel-Partien. Aber Fagioli will aus der Barockschublade raus. Er peilt Mozart und Rossini an, die Hosenrollen also, die mit Countertenören eigentlich heutzutage nicht besetzt werden. "Ich will nicht verallgemeinern, nicht jeder Countertenor könnte das. Aber bevor man es als unmöglich abtut, sollte man hören. Ich sage zu den Theatern: Gebt mir die Möglichkeit! Wenn es euch nicht gefällt, ist das in Ordnung. Aber urteilt erst, nachdem ihr mich gehört habt." Mozarts Idamante wäre so eine Partie - oder Sesto. Auch Cherubino wäre er wieder gerne, wie damals in Buenos Aires. Mozart sei ein Spaßmacher gewesen, so Fagioli, ihm würde das gefallen. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 27.12.2013)