1984 ist ein Klassiker, den jeder mit einem Funken an politischem Interesse gelesen haben sollte. George Orwell entwarf 1949 das furchterregende Hybrid eines nazistisch-stalinistischen Staates mit totaler Überwachung. Wenn nun Edward Snowden, der Aufdecker der NSA-Überwachung, in einer Art Weihnachtsbotschaft meint, die Überwachung sei bereits weiter vorangeschritten als in 1984, so stimmt das auf der technischen Ebene: "Wir haben alle Sensoren in unseren Taschen, die uns verfolgen, wohin wir auch gehen."

Die Kinder von heute würden groß, ohne zu wissen, was es bedeute, einen nicht aufgezeichneten, privaten Augenblick zu haben. "Big brother is watching you" ist Realität, auch in den Demokratien. Nur dass die Konsequenzen meist doch nicht wie in 1984 systemimmanent auf "Verdacht, Verhaftung, Vernichtung" hinauslaufen.

Das Problem ist, dass wir den "Der Sensor in der Tasche" ja lieben. Nicht so wie in den Schlusssätzen von 1984 ("Er hatte den Sieg über sich selbst errungen. Er liebte den Großen Bruder."). Aber doch genug, um uns relativ gleichgültig zu lassen, wenn unsere Daten auch kommerziell gesammelt, analysiert und verwendet werden. Snowden setzt trotzdem seine Hoffnungen in eine Bürgerbewegung, die den Regierenden - und den Großkonzernen? - klarmacht, dass das so nicht geht. 1984 endet allerdings in vollkommender Hoffnungslosigkeit. (RAU, DER STANDARD, 27.12.2013)