Es ist meist wenig zielführend, dem amerikanischen Präsidenten gute Ratschläge zu geben. Aber manchmal liegt die richtige Handlungsweise für die Führungsfigur der westlichen Welt so sehr auf der Hand, dass man sie einfach aussprechen muss.

Nach dem so klugen und versöhnlichen Interview, das Edward Snowden der Washington Post gegeben hat, sollte auch im Weißen Haus die Erkenntnis reifen, dass der Aufdecker der NSA-Praktiken nicht weiter in Moskau sitzen, sondern unter Straffreiheit in die USA zurückkehren sollte.

Eine umfassende Amnestie für Snowden wäre nicht nur moralisch richtig, sondern auch für Obama politisch höchst vernünftig.

Wichtige Debatte ausgelöst

Snowden hat seinem Land tatsächlich einen großen Dienst erwiesen. Er hat höchst umstrittene Überwachungspraktiken ins Licht gezerrt und eine notwendige Debatte über das richtige Gleichgewicht zwischen dem Streben nach Sicherheit und Schutz der Privatsphäre ausgelöst.

Snowden hat die US-Regierung zwar blamiert, indem er etwa aufgedeckt hat, dass die NSA die Regierungschefs befreundeter Staaten abhört. Aber in keinem bisher dokumentierten Fall hat er der nationalen Sicherheit der USA tatsächlich Schaden zugefügt. Denn darauf hat er auch nach eigenen Angaben sorgfältig geachtet.

Und auch das jüngste Urteil eines US-Gerichts über die NSA-Praktiken zeigt, dass Snowden ein echter Whistleblower ist, der illegale Tätigkeiten offenlegt - nicht ein Landesverräter, der irgendwelchen äußeren Feinden in die Hände spielt.

Obamas NSA-Reformen

In den USA könnte Snowden die Diskussion über die die Rolle der NSA und anderer Geheimdienste weiter beleben. Er mag einen Extremstandpunkt vertreten, der von der Mehrheit der Amerikaner nicht geteilt wird. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die von Obama angekündigte Reform der NSA einiges von dem beinhalten wird, wofür Snowden sich einsetzt.

Und wie Snowden zu Recht sagt, hat er durch seine Enthüllungen bloß einen Dienstvertrag mit seinem früheren Arbeitgeber Booz Allen Hamilton verletzt und könnte daher von der Beratungsgesellschaft zivilrechtlich geklagt werden. Die strafrechtlichen Vorwürfe, vor allem jener der Spionage, stehen hingegen auf wackeligen Beinen. Es ist höchst unsicher, ob ein Staatsanwalt vor einem US-Gericht damit durchkommt.

Aufrichtiger Patriot

Snowden ist ein unbequemer, schwieriger aber aufrichtiger Patriot, der nicht in Wladimir Putins Russland um Asyl betteln soll. Dieser Zustand ist eine Schande für die USA.

Anders als Putins Amnestie für Michail Chodorkowski und die Pussy-Riot-Sängerinnen wäre eine Begnadigung Snowdens durch Obama kein zynischer Akt eines Autokraten, sondern ein Signal für Rechtstaatlichkeit und Anstand. Es würde Obama gut zu Gesicht stehen, sein internationales Ansehen heben und ihm auch innenpolitisch eher nützen als schaden. (Eric Frey, derStandard.at, 25.12.2013)