Brüssel ordnet die Bestände seiner Kunstmuseen neu. Nachdem 2009 bereits dem wohl berühmtesten belgischen Maler, René Magritte, ein eigenes Haus gewidmet worden war, wurde jetzt im Dezember 2013 das Musée Fin de Siècle eröffnet. Für diese Epoche - 1868 bis 1914, wie sie das Haus definiert - besitzt die Stadt ja ohne Zweifel Kernkompetenz. Viele flandrische Künstler dieser Zeit prägten die gesamteuropäischen Entwicklungen entscheidend mit. Dadurch nennt Brüssel auch reichhaltige "regionale Schätze", etwa Werke von Fernand Khnopff, James Ensor oder Léon Spilliaert, ihr Eigen.
Wer sich aufgrund des klingenden Namens des Museums möglicherweise ein filigran-dekadentes Jugendstilmuseum erwartet, wird ein solches nicht vorfinden. Denn nicht nur deckt die Sammlung völlig unterschiedliche Stile - Impressionismus, Realismus oder auch Symbolismus - ab, sie befindet sich zudem in vier tiefgaragenähnlichen, tageslichtlosen Kellergeschoßen. Im gesamten Gebäudekomplex darüber, dem Palais des Beaux-Arts, glänzt dagegen die Art-Nouveau-Architektur von Victor Horta.
Eine etwaige Enttäuschung kuriert man in Brüssel dennoch sehr flott wieder aus - mit einem langen Spaziergang durch die an architektonischen Art-Nouveau-Juwelen nur so überquellende belgische Hauptstadt. Die Rede ist hier von rund 1.000 Objekten, die der Epoche zuzurechnen sind.
Halb Kulisse, halb Beilage
Als Erstes bietet sich die Einkehr im Café Le Cirio an, in dem einem vor lauter Marmor, Bronze und Spiegeln nur so die Augen übergehen. Und dort - schon von Jacques Brel genossen - ein Half- en-Half, eine Hälfte Champagner, die andere Weißwein, das fürs Erste einmal beruhigt. Wer größeren Hunger verspürt, findet im gegenüberliegenden Restaurant Falstaff eine nicht minder prächtige und authentische Kulisse als Beilage.
Dermaßen gestärkt begebe man sich in das ehemalige Privathaus des bedeutendsten belgischen Jugendstilarchitekten Victor Horta, heute ein leider nur an Nachmittagen zugängliches Museum. Und erfüllt vom Horta'schen Geist besichtige man dann gleich seine wichtigsten Schöpfungen: la Maison Autrique, die Hôtels Tassel, Solvay und van Eetvelde - alle nur von außen anzuschauen - sowie das frühere Textilkaufhaus Waucquez, jetzt Comicmuseum.
Auch wenn der große Meister viel über seine Nachahmer geklagt hat, schmälert das die Leistung der - nennen wir es: "von ihm beeinflussten" - Architekten keineswegs. Das von Jules Brunfaut gestaltete Hôtel Hannon etwa ist ein bezauberndes, einladendes und sonnendurchflutetes Juwel, in das man eigentlich sofort einziehen wollte. Das darin untergebrachte Fotografiemuseum erlaubt wegen der langen Öffnungszeiten immerhin die ausgiebige Nutzung.
Gerade renoviert wird das Haus des Malers Saint-Cyr am Square Ambiorix, das nach der Fertigstellung als Bed and Breakfast dienen soll und somit zur berechtigten Hoffnung Anlass gibt, in Zukunft Art-Nouveau-Feeling auch im Bademantel erleben zu können.
Unikat mit Verbindungen
Derzeit ebenfalls noch vor verschlossenen Türen steht man - zum krönenden Abschluss einer solchen Brüsseler Epochentour - beim berühmten Palais Stoclet. Obwohl man schon viele Abbildungen gesehen hatte, wirkt die unmittelbare Begegnung dennoch überraschend: Das Palais an der Avenue de Tervueren / Tervurenlaan ist völlig freistehend und weitaus größer, als man sich das vorgestellt hatte. Und ein absolutes Unikat, trotz der stilistischen Verbindung etwa zum Sanatorium Purkersdorf. Es wirkt wie aus der Zeit und vom Himmel gefallen. Glücklicherweise kaum renoviert, trägt es noch einen Hauch herrlicher, grüner Patina. Architekt Josef Hoffmann, der sich hier ohne Budgetbegrenzung austoben konnte, hat ganze Arbeit geleistet. So ziemlich alle Fremdenführer Brüssels beten daher darum, dass das in Privatbesitz befindliche Palais endlich öffentlich zugänglich gemacht werde.
Und obwohl man nur allzu gerne das durchgestylte Innere samt Klimt-Fries zu Gesicht bekommen würde, wird man angesichts der Vorstellung von durchgeschleusten Reisebusinsassen unsicher, ob man diesen Wunsch wirklich teilen soll. Eine gepflegte Privateinladung würde es wohl auch tun. (Robert Quitta, DER STANDARD, Album, 28.12.2013)