Die ÖVP ist beleidigt. Da sagt doch die Unterrichtsministerin geradeheraus, dass sie in der Bildungspolitik mehr umsetzen will, als im Arbeitsübereinkommen der Bundesregierung festgeschrieben ist. Solcher Wille zur Mehrarbeit ist höchst verdächtig, schließlich weiß man ja bei Gabriele Heinisch-Hosek, wo diese Mehrarbeit passieren soll: Die Ministerin baut unverdrossen an einem Gebäude, das Gesamtschule heißt und auch nach mehr als 40 Jahren bildungspolitischer Diskussion, etlichen organisatorischen Korrekturen und sogar der Umbenennung in Neue Mittelschule in der ÖVP nicht mehrheitsfähig ist.

Die ÖVP ist aber nun einmal der Koalitionspartner der SPÖ - obwohl vielen Sozialdemokraten (und der Mehrheit der übrigen Bevölkerung sowieso) klar ist, dass die beiden Parteien schlecht zusammenpassen. Schon gar in der Schulpolitik.

Wenn man die Schule wirklich verändern, von Grund auf verbessern wollte, dann müsste man das ganze System aufbrechen, neue Bildungsziele für eine sechsklassige Volksschule (die ja schon immer eine Gesamtschule war) und für je eine dreiklassige Mittel- und Oberstufe definieren. Dass sie sich das nicht zutrauen, haben die Koalitionspartner implizit zugegeben, als sie den Plan fallengelassen haben, eine "Orientierungsphase" für die zehn bis zwölf Jahre alten Kinder einzuführen.

Wissen die Beteiligten denn nicht, dass Bildung unser höchstes Gut ist; dass sie die beste Chance auf individuelle Entwicklung (und volkswirtschaftlich: auf allgemeinen Wohlstand) bietet?

Ja, eh. Sie sagen es ja auch in Sonntagsreden, Montagsgesprächen und bei jeder anderen sich bietenden Gelegenheit. Und sie verwechseln dennoch immer wieder Schulpolitik mit Bildungspolitik.

Es ist ja so: Während sich Schul- und Hochschulpolitik verbissen mit von Partikularinteressen überlagerten organisatorischen Fragen herumschlagen, zu denen neben der Gesamtschule auch das Lehrerdienstrecht, die Lehrerbildung und die Organisation des Wissenschaftsministeriums gehört, reicht ein wohlverstandener Bildungsbegriff viel weiter.

Interessanterweise passiert dort, wo die öffentliche Aufmerksamkeit geringer ist, durchaus Bahnbrechendes. Das verpflichtende Kindergartenjahr hat (mit erstaunlich wenigen ideologisch gefärbten Nebengeräuschen) dafür gesorgt, dass Kindergärten heute als pädagogische Einrichtungen und nicht mehr nur als Kinderbetreuungsplätze zur Entlastung berufstägiger Eltern verstanden werden.

Einen vielleicht noch größeren Effekt hat womöglich, dass die Koalition in aller Stille vereinbart hat, die Schulpflicht in Form einer Ausbildungspflicht um satte drei Jahre zu verlängern. Kein Jugendlicher soll mehr zum Hilfsarbeiter werden. Kein Jugendlicher soll mehr nach Abbruch von Schule oder Lehre ohne Perspektive auf der Straße stehen. Umgekehrt: Kein Jugendlicher soll mehr scheitern, weil er eben keine freie Lehrstelle findet. Mit der paktierten Ausbildungspflicht gibt es bald auch einen Rechtsanspruch darauf, ausgebildet zu werden. Das sollte sich mittelfristig in besseren Arbeitsmarktdaten auswirken.

Hier scheint der Koalition also etwas zu gelingen. Vielleicht bringt sie ja doch auch im Schulwesen im engeren Sinn etwas zustande - wenn die Partner Fantasie entwickeln, statt aufeinander beleidigt zu sein. (DER STANDARD, 23.12.2013)