Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um als Liberaler die Fahne der Freiheit hochzuhalten – mit einer solchen Geste hat sich der deutsche Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) schon einmal einen Eintrag in die Geschichts­bücher gesichert.

Diesmal wird es vergleichsweise nur zur Fußnote reichen – aber dennoch ist dem 86-jährigen Genscher mit der Reiseunterstützung für den begnadigten Kremlkritiker Michail Chodorkowski nach Deutschland ein Coup gelungen. Sogar zum Flughafen Berlin-Schönefeld hat er sich aufgemacht, um Chodorkowski zu begrüßen und abzuholen.

Wer sich nun fragt, wie die Bande zwischen dem deutschen Politiker und dem ehemaligen russischen Ölmagnaten zustande gekommen sind, der stößt auf das Jahr 2003. Im September, einen Monat vor seiner Verhaftung, prangerte Chodorkowski in einer Rede im Berliner Hotel Adlon Korruption, Parteienfinanzierung und fehlende Rechtssicherheit in Russland an.

Nicht nur Genscher war anwesend, sondern auch Ulrich Bettermann, ein sauerländischer Unternehmer (Elektro- und Gebäudeinstallationstechnik), mit dem Genscher gut bekannt ist. Er stellte jetzt den Privatjet zur Verfügung, der Chodorkowski ausflog.

Apropos Ausreise. Um diese ging es auch, als Genscher am 30. September 1989 seinen berühmten Auftritt am Balkon der deutschen Botschaft in Prag hatte. "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise ..." , sagte er zu den 4000 DDR-Bürgern, die im Garten Zuflucht gefunden hatten. Weiter kam er nicht, der Rest ging im Jubel unter, die Ostdeutschen wussten, dass ihr Weg in die BRD damit frei war.

Genscher selbst stammt aus Halle (Sachsen-Anhalt) und arbeitete zunächst als Anwalt in Bremen, bevor er 1965 in den Bundestag einzog. Insgesamt drei Kanzlern diente er als Minister. Das Außenamt übernahm er 1974, obwohl er keinerlei außenpolitische Erfahrung hatte, weder Englisch noch Französisch spricht.

Dennoch blieb er 18 Jahre lang Außenminister – länger als jeder seiner Vorgänger und Nachfolger. Von 1974 bis 1985 war er auch noch FDP-Vorsitzender. Seine Name prägte sogar eine eigene Form der Politik: Genscherismus. Gemeint ist damit, Ausgleich und gute Beziehungen in alle Richtungen zu suchen, was bei den Verhandlungen über die deutsche Einheit half. Legendär sind seine gelben Pullunder, sie werden heute noch zu wohltätigen Zwecken versteigert.  (Birgit Baumann /DER STANDARD, 21.12.2013)