Das Gespräch mit Michael Anhammer und Harald Höller führte Irene Brickner.
Standard: Um das Schubhaftzentrum im steirischen Vordernberg herrscht Aufregung wegen des Teilprivatisierens der Bewachung durch die Sicherheitsfirma G4S. Können Sie das nachvollziehen?
Höller: Ja, aber das ist kein architektonisches, sondern ein demokratiepolitisches Problem. Man sollte hoheitliche Aufgaben nicht auslagern.
Standard: Haben Privatisierungspläne bei Ihrer Gestaltung irgendeine Rolle gespielt?
Anhammer: Nein, wir haben Vordernberg eindeutig für Beamte konzipiert.
Standard: Die Vordernberg-Planungen waren Resultat jahrelanger Kritik von Menschenrechtsexperten an der Schubhaft, wie sie in Österreich sonst existiert. Wie war Ihr Ansatzpunkt?
Anhammer: Wir wussten, dass wir das Problem, wie Österreich mit Migration umgeht, als Gestalter nicht lösen können. Aber wir bemerkten einen innovativen Zugang des Innenministeriums - etwa im Vergleich mit den an Lagerarchitektur erinnernden Plänen für das Erstaufnahmezentrum in Eberau, das dann nicht errichtet wurde.
Standard: Was war diesmal denn anders?
Anhammer: Die Spielräume waren recht groß ...
Höller: ... sodass wir uns ernsthafte Gedanken über bessere Lösungen machen konnten. So herrschte etwa beim Raumprogramm ein Interpretationsspielraum: Nur die Größe der Wohngruppen war definiert, nicht, wie sie gestaltet werden sollten.
Anhammer: Also schlugen wir Transparenz vor. Statt Mauern gibt es in Vordernberg von außen einsehbare Freizeit- und Asylverhandlungsräume mit Fenstern ohne Gitter; statt ihrer haben wir ein Fenster-Aufklappsystem gewählt. Und wir haben hochwertige Materialien verwendet, etwa viel Holz: nicht, um das Projekt zu verteuern, sondern um eine Wohnsituation ohne Kasernencharakter zu schaffen.
Standard: In einer Schubhaft sitzen Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Trotzdem sind sie eingesperrt, so wie in Strafhaft, was den psychischen Druck für die Angehaltenen erhöht. Hat das Ihre Planungen beeinflusst?
Anhammer: Ja. Wir haben die Vordernberger Schubhaft als Herberge und Wohnunterkunft konzipiert. Die Bewacher sind permanent mit den Schubhäftlingen in Kontakt, während man etwa in der Wiener Roßauer Lände auf den Gängen fast niemand erblickt, weil die meisten in ihren Zellen oder Personalräumen sitzen. Auch sind die Räumlichkeiten für die neun Wohngruppen à 20 Personen viel größer als etwa der Justizanstalt Leoben.
Höller: Stopp, stopp, aus! Wir wollen das Vordernberg Projekt doch nicht mit einem Gefängnis vergleichen.
Standard: Wo liegt der Unterschied?
Höller: Dass sich die Bewohner in Vordernberg im Gebäude frei bewegen können. Wir meinen, dass sich Menschen, die Österreich aus fremdenrechtlichen Gründen verlassen müssen, in einer Ausnahmesituation befinden, es geht ihnen schlecht. Das muss sich nicht auch in den Anhaltegebäuden widerspiegeln.
Standard: Eines der größten Probleme in Schubhaft ist, dass die Insassen zur Untätigkeit verdammt sind - denn Resozialisierung wie in der Strafhaft gibt es keine. Wird das in Vordernberg anders sein?
Anhammer: Wir haben Räume für verschiedenste Aktivitäten konzipiert. Aber wie das konkret dann gelebt wird, können wir nicht beeinflussen.
Standard: In Schubhaft sind Hungerstreiks und andere aus Verzweiflung begangene Handlungen an der Tagesordnung. Sind Sie gestalterisch auf diese Problematik eingegangen?
Anhammer: Nein, das kann nur politisch gelöst werden.
Standard: Rechnen Sie angesichts der hochqualitativen Ausstattung mit Kritik?
Höller: Sicher. Dabei wird doch jeder, der sich in Menschen hineinzuversetzen versucht, die eingesperrt sind, erkennen: Ein Raum kann gar nicht schön genug sein, um dort als Gefangener freiwillig zu bleiben.
Standard: Gerade die Landschaft um Vordernberg ist wunderschön. Ist es nicht zynisch, Menschen kurz vor ihrem Abtransport einen Panoramablick auf das Land zu eröffnen, das sie nicht will?
Anhammer: Gegenfrage: Soll man den Zynismus durchbrechen, indem man sie an einem hässlichen Ort inhaftiert? Der idyllische Ort Vordernberg war vorgegeben. Wir fanden, man sollte das Beste daraus machen. (DER STANDARD, 21.12.2013)