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Hirnforscher und Managementtrainer
Bernd Hufnagl

Foto: Archiv

STANDARD: Musterbrüche sind Klassiker zur Jahreswende. Was sagt die Hirnforschung: Wie wird man schlechte Gewohnheiten los?

Hufnagl: Das Ablegen alter Gewohnheiten beziehungsweise die Entscheidung zu treffen, Dinge in seinem Leben zu verändern, hängt mit unserem Gedächtnis und – verkürzt gesagt – mit dem Belohnungszentrum in unserem Gehirn zusammen.

STANDARD: Wie?

Hufnagl: Unsere Gedächtnislogik funktioniert analog zu dem, was wir von Computern kennen. Wir legen ständig Ordner an, auf die wir zugreifen können. Allerdings mit zwei Unterschieden zum Computer: Wir können Ordner  neutral, also nicht unemotional  anlegen. Wir kategorisieren sie von positiv bis hin zu Angst-besetzt, von grün bis rot, wenn man es in Farben ausdrücken möchte. Wir bewerten jede Situation sozial-affektiv und jeder Mensch hat ein anderes Spektrum an Ordnern verschiedener Farben. Es gibt Menschen, die prozentuell mehr grüne oder mehr rote Ordner haben – optimistischer sind oder pessimistischer.

STANDARD: Und von der Anzahl der jeweiligen Ordner hängt die Veränderungsbereitschaft ab?

Hufnagl: Ja, und das Spannende dabei ist, dass die Anzahl der roten Ordner zum Beispiel nicht ausschließlich davon abhängt, wie viel Schlimmes wir in unserem Leben erleben mussten. Und das ist der zweite Unterschied zum Computer: Wir verändern permanent die Farbe unserer Ordner. So ist erwiesen, dass etwa Menschen, die eine dramatisierende Sprache verwenden, die gestresst sind und in einem Umfeld leben, das von Jammerkultur und Zynismus geprägt ist, dass diese Menschen von Neuem oder Anderem keine Herausforderung, sondern eine Überforderung erwarten und die Veränderung daher zu vermeiden versuchen. Das funktioniert auch in die andere Richtung des Spektrums, wo Optimismus, Lösungsorientierung, Eigenverantwortung und Veränderungsbereitschaft häufiger anzutreffen sind.

STANDARD: Und da kommt das Belohnungszentrum ins Spiel?

Hufnagl: Auch. Sie entscheiden alles, was Sie freiwillig tun, danach, wie viel Dopamin Sie dafür zu erwarten hätten. Das klingt egoistisch, ist es aber nicht. Weil wir auch dann belohnt werden, wenn wir etwas für andere tun. Je nach Sozialisierung aber, ist die Ausschüttung von Dopamin unterschiedlich. Manche haben gelernt, mehr Dopamin zu bekommen als andere. Wichtig ist zu wissen, dass es sich hier um eine Erwartungshaltung handelt.

STANDARD: Je weniger ich mir von etwas erwarte, umso weniger Dopamin produziere ich generell?

Hufnagl: Ja. Man erwartet oder befürchtet, dass man wenig Dopamin bekommt und entscheidet sich gegen das Vorhaben. So wurde biologisch sichergestellt, dass wir Energie nur dort investieren, wo Aussicht auf Erfolg besteht.

STANDARD: Welche Motive bewegen dann dazu, etwas zu verändern?

Hufnagl: Die, biologisch betrachtet, stärksten Veränderungsmotive sind Angst und Panik. Das ist aber keine Empfehlung, die wir in der Berufswelt brauchen, da dieses Motiv Vermeidungsreaktionen auslöst. Dort brauchen wir andere Motive.

STANDARD: Nämlich?

Hufnagl: Neugierde, Bindung und Sicherheit. Dabei gibt es einen wichtigen Zusammenhang: Nur Menschen, die sich gebunden und sicher fühlen, können Neugierde aktivieren, sich Neuem öffnen, Dinge akzeptieren und sich verändern. Möchtte ich andere zu Veränderung motivieren, ist es wichtig, zu erklären, warum. Es hat aber keinen Sinn, ausschließlich auf rationale wortreiche Erklärungen zu setzen. Wichtig ist die Beziehung zu Menschen zu stärken. Das sage ich auch Führungskräften: Change macht noch keinen Sinn, wenn vorher nicht sichergestellt ist, dass sich die Mitarbeiter sicher und gebunden fühlen können. Wenn Menschen verunsichert, dann machen sie nur die Dinge, die sie schon hunderte Male getan haben, weil sie wissen, dass die funktionieren.

STANDARD: Auch wissend, dass diese schlecht sind?

Hufnagl: Ja. Denn es spendet trotzdem ein gewisses Maß an Sicherheit. Und sicher ist, dass Veränderung nicht in einem Umfeld passieren kann, in dem permanent Angst, Stress und Hektik verbreitet wird. Wir beobachten jetzt schon, dass viele Menschen – auch aufgrund ihrer Arbeitsweisen und -umfelder – zu wenig Dopamin produzieren. Viele arbeiten nicht hirngerecht.

STANDARD: Was heißt das?

Hufnagl: Bei der Dopaminausschüttung sind wir davon abhängig, zeitnah zu sehen, wofür wir uns anstrengen. Diese Greifbarkeit ist uns durch die Digitalisierung ein wenig abhanden gekommen. Wir betreiben Multitasking – und dieser Prozess macht alles, was wir tun, intransparent für das Belohnungssystem. Die Aufmerksamkeitsstörungen auch bei Erwachsenen nehmen auch deshalb  enorm zu. Das ist ein Zeichen von Überlastung. Wenn wir lernen, uns besser auf eine einzige Sache  zu konzentrieren, eines nach dem anderen tun, dann werden wir mehr Dopamin produzieren, motivierter und resilienter sein. Es ist ein Kampf gegen unsere Angst und Ungeduld, die Fülle an Aufgaben nicht bewältigen zu können. (Heidi Aichinger, Der Standard, 28./29.12.2013)