Kinder, o ja, die werden noch beschenkt, so reich, dass sie am Weihnachtsabend zwischen und unter ihren Paketen ganz verloren dasitzen.

Foto: heribert corn
Foto: christian fischer

Jessasmaria

Von Vea Kaiser

"Ich bringe sie um", sagte Tobis Mutter, als sie aus der Küche kam, wo die Oma väterlicherseits nörgelte, die Gans sähe viel zu trocken aus. Rund um den Christbaum diskutierte Tobis Opa mit dem Vater: "Der is zerfledert und hat zwei Wipfel! Zwei Wipfel!"

Die Oma mütterlicherseits war bereits betrunken, der Hund auch, weil ihn die Oma zur Feier des Tages am Eierlikör hatte mitschlürfen lassen, und apathisch wie ein Gespenst streifte seine Schwester Anna-Marie durch die Räume, naschte Schokolade und wandte ihre Augen keine Sekunde vom Smartphone ab. Als die Mutter Anna-Marie zum vierten Mal aufforderte, sie solle sofort Erdäpfel aus dem Keller holen, begann sie schließlich zu heulen.

"Ich hasse mein Leben. Und Weihnachten ist sowieso voll scheiße", schrie sie und knallte die Tür so heftig, dass eine Christbaumkugel zu Boden fiel, was der Opa Tobis Vater ankreidete: "Das liegt nur an deinem Christbaumkreuz! So a Schmarrn."

Tobi saß vor dem Fernseher und machte sich Vorwürfe – all das war seine Schuld, denn heute Morgen hatte er das Friedenslicht gelöscht. Er hatte es beaufsichtigen sollen, während der Pfadfinderleiter mit den anderen Kindern am Klo war, doch dann hatte er husten müssen, und plötzlich war es weg gewesen. Zuerst hatte er es nicht glauben können, immerhin war dieses Licht unbeschadet aus Betlehem eingeflogen, dann jedoch hatte er geistesgegenwärtig reagiert und die Kerze wieder angezündet, bevor die anderen zurück waren. Nun dämmerte ihm: Er hatte nicht nur das Friedenslicht ruiniert, sondern dem ganzen Dorf ein ganz normales Bic-Feuerzeug-Licht als Original-aus-der-Geburtskirche untergejubelt. All die Streitereien zu Hause waren wahrscheinlich die Rache des Jesus-Babys.

Beim Abendessen wurde es auch nicht besser. Anna-Marie verweigerte zu essen, und seine Mutter krallte ihre Finger in das Tischtuch, während die Oma väterlicherseits in einer Tour den Karpfen als das einzig richtige Weihnachtsmahl pries: "Wie dein Papa klein war, hat es immer Karpfen gegeben, und guuuut hat er ihm geschmeckt", erklärte sie Tobi, ohne dabei seine Mutter aus den Augen zu lassen.

Als dann der Vater Anna-Marie ihr Smartphone wegnahm, woraufhin Anna-Marie den Vater beschimpfte, setzte Tobi an, vom Friedenslicht zu erzählen, und dass er Weihnachten ruiniert habe, und es ihm leidtue, doch der Hund torkelte Eierlikör-trunken herein, er wollte Anna-Marie mit Hände-Ablecken beruhigen, achtete allerdings nicht auf seinen Schwanz und erwischte einen Christbaumast, auf dem bereits die Kerzen brannten. Tobis Mutter hatte den Baum heuer mit Scherenschnitten geschmückt, weil das in ihrerbevorzugten Frauenzeitschrift so schön ausgesehen hatte, den Hinweis, das Papier mit Brandschutzimprägnierung zu bearbeiten, allerdings überlesen.

"Jessasmaria", schrie die Oma mütterlicherseits, die schlagartig wieder nüchtern die Flammen als Erste bemerkte. Tobis Vater überlegte, wo er den Feuerlöscher gelagert hatte, doch Tobi reagierte schnell, indem er den Suppentopf zu Hilfe nahm. Was folgte, war andächtige Stille, bis Anna-Marie feststellte: "Super, Kleiner, du hast mein Geschenk eingesaut!" "Das schöne Windgebäck", der Oma väterlicherseits kamen die Tränen. "Mein Perserteppich", bemerkte die Mutter und stürzte ihr Rotweinglas hinunter.

Tobi jedoch zuckte mit den Schultern und war ziemlich stolz auf sich, Feuerlöschen hatte auch etwas Gutes! Und sollten sie ruhig auf ihn böse sein – besser, es gab einen handfesten Grund dafür, als die Rache des Jesus-Babys, das nun in seiner Krippe in der Suppe schwamm.

Vea Kaiser, geb. 1988, studiert Klass. und Dt. Philologie und lebt in Wien. 2012 erschien ihr Roman "Blasmusikpop" (Kiepenheuer & Witsch).

Indischer Predigtdienst

Von Doron Rabinovici

Es wird schon gleich dumpa. Seit einigen Monaten bereits ... In Toronto und in Tokio leuchten Christbäume, in Córdoba und in Colombo schwanken aufblasbare Weihnachtsmänner vor Kaufhäusern. In den Flughäfen von Dubai bis Durban prangen Glitzerketten. Weltweit, auch abseits aller Kirchen, auf Skipisten und auf Tropenstränden dröhnt das Lied von der Stillen Nacht aus den Lautsprechern. Gleichzeitig finden überall immer mehr Menschen zusammen, die Heiligabend nicht feiern. Manche, weil es ihrer Tradition nie entsprach. Einige wollen nichts mehr mit dem Heiland zu tun haben. Andere haben einfach Besseres vor und lassen Gott einen lieben Mann sein.

An einem 24. Dezember vor etlichen Jahren suchte ich mit der Liebe meines damaligen Lebens ein Wiener Programmkino auf. Ein Film aus Bollywood war angekündigt. Wir hatten ihn uns zum großen Teil bereits in Sri Lanka angeschaut. In einem Lichtspieltempel für Hindi-Produktionen war er vorgeführt worden. Die Zuschauer dort hatten ihre Stars angefeuert und ihnen applaudiert. Der Schmachtfetzen mit prächtigen Tanzeinlagen und opulenten Massenszenen dauerte über vier Stunden. Wir waren gezwungen gewesen, frühzeitig aufzubrechen, und hatten den Schluss verpasst.

Nun hofften wir, im tiefverschneiten Wien das Ende zu sehen. Nur wenige waren im Saal. Eine kleine Gemeinde unchristlicher Cineasten. Das Kino war ihre Katakombe. Kaum hatte der Vorspann begonnen, waren der Frost und der Matsch draußen vergessen. Wir tauchten ein in den Farbenrausch Indiens und in die Rhythmen des Orients, doch dann gerann die Musik, das Bild blieb stehen und warf Blasen. Filmriss. Der Vorführer kam. Es tue ihm leid. Der Schaden ließe sich nicht beheben.

Was für eine Frechheit, schrien die Zuschauer. Er habe, so der Angestellte kleinlaut, noch einen anderen Film. Verschollen im ewigen Eis. Das könne doch nicht sein, brüllte einer. Dazu brauche heute niemand ins Kino zu gehen. Verschollen im ewigen Eis, das waren wir seit Wochen.

Sollten wir beide das Happy End wieder nicht erleben dürfen? Meine Freundin fand einen Ausweg. Da der indische Streifen aus neun Rollen bestand und nur die vierte gerissen war, möge ich nach vorne zur Leinwand gehen und das tun, wovon ich ohnehin nie lassen könne, nämlich reden. Ich solle erzählen, was in der nächsten Viertelstunde geschehen würde, danach könnte weitergeschaut werden. So stellte ich mich vor die anderen im Saal hin, schilderte die nächsten Szenen, und nach diesem Predigtdienst konnte das Lichterfest aus Bollywood fortgesetzt werden.

Der Schluss des Films enttäuschte mich: eine allzu schöne Bescherung. Wir hatten uns in Colombo, nachdem wir wegen eines Termins gezwungen gewesen waren, das Kino vorzeitig zu verlassen, verschiedene Varianten ausgedacht, wie die Geschichte ausgehen könnte. Das wirkliche Ende reichte indes nicht an unsere Erwartungen heran, doch vielleicht passte es umso mehr zur Weihnacht, die – meinen christlichen Bekannten zufolge – immer schon mehr zu verheißen weiß, als zu halten.

Doron Rabinovici, geb. 1961 in Tel Aviv, ist Schriftsteller, Essayist und Historiker. Zuletzt erschien "Andernorts" (Suhrkamp, 2010).

Das Weihnachtslamm

Von Barbara Frischmuth

Erzurum, Ostanatolien, 1960

Die Glöckchen der Droschkenpferde mit den gefrorenen Nüsternhaaren. Kleine Pferde, bepelzte Pferde. Der bröselnde Schnee kitzelt sie an den Ohren. Ihre Hufe tragen Stollen, die sich ins Eis bohren.

Weihnachten, der Baum. Ein Kümmerling, sagt der Honorarkonsul. Was will man an der Baumgrenze. Der Konsul ist deutsch, die Frau des Konsuls ist deutsch, der Dozent ist deutsch. War in Österreich Assistent bei den Archäologen, hier ist er Dozent für Deutsch. Ich bin Studentin der Türkologie. Die Universität heißt Atatürk. Atatürk lehrt hauptsächlich Agronomie und ein bisschen Türkologie für die, die im nächsten Jahr die Aufnahmeprüfung in die Agronomie wiederholen müssen.

Weihnachten, die Arbeit. Wir sind eingeladen, der Dozent und ich. Die Frau des Konsuls hat weder Gans noch Karpfen auf dem Markt gefunden. Wir essen Lamm, sagt der Konsul, Lamm mit Pilav. Die Kartoffeln sind auf dem Transport erfroren. Was will man bei minus 30 Grad. Pilav geht genauso. Emine hat vorgekocht. Ich sehe sie noch mit ihren weißen Haaren, die mit Henna gefärbt sind. Sie wickelt sich in den schwarzen Umhang, zieht den Saum vors Gesicht, bevor sie geht. Merry Christmas. Sie hat früher bei den amerikanischen Offizieren von der Raketenabwehrstation gekocht und geputzt. Sie wird erfrieren, sagt der Konsul, wenn sie nicht schnell macht. Es riecht nach Knoblauch und Zimt.

Weihnachten, das Fest. Ich trage armlange durchsichtige Handschuhe und ein Kleid ohne Ärmel mit Schalkragen. Die Lichter brennen. Auf dem Foto halte ich eine Zigarette zwischen den Handschuhfingern, in der anderen Hand ein Glas. Wahrscheinlich Wein, den die Botschaft aus Ankara geschickt hat. Für besondere Anlässe. Wir singen, dass einem die Ohren abfallen.

Weihnachten, das Essen. Der Konsul versucht, mich mit dem gesottenen Schafskopf zu erschrecken, die Augen extra in einem Schüsselchen. Ich nehme das eine Auge und schlucke es. Als Kind habe ich gegen Bezahlung Regenwürmer gegessen. Die Suppe ist stark gesalzen. Sie habe sich an die gekochten Lammschädel mit den hellen Augen erst gewöhnen müssen, sagt die Frau des Konsuls. Dafür gibt es als Nachtisch Baklava aus der besten Bäckerei in der Stadt. So drückt sie sich vorm Kochen, sagt der Konsul, er ist erst am Morgen aus dem Militärkrankenhaus gekommen. Diese Höhenlage (2000 m) sei schlecht für seine Hämorrhoiden, sie würden immer wieder bluten.

Militärkrankenhaus? Weil hier alles Militär ist, Mädchen. Der Putschgeneral stammt ebenfalls aus der Gegend. Ich habe ihn gesehen, sage ich, als er zu Besuch kam und sie den Schwertertanz getanzt und sich dabei verletzt haben. Folklore. Die Jungs haben zu viel geraucht und sich in die Finger geschnitten. Aber wenn es zum Kampf kommt, wissen sie, was zu tun ist.

Mal sehen, was der Putsch bringt. Der Dozent erinnert sich ungern an die zwei Wochen Ausgangssperre, als er vergessen hatte, rechtzeitig ein paar Flaschen Wodka einzulagern. Denken Sie an Spanien, Ende der Dreißiger. Spanien? Der Dozent hebt sein Glas. Der Konsul räuspert sich, bevor er in sein Stück Hammelbraten schneidet. Legion Condor, sagt er und schaut dem Dozenten in die Augen. Ich war da, als Kampfpilot. Aber auch wir wussten Feste zu feiern, egal wie sie fallen.

Mir ist damals noch nicht klar, was Legion Condor bedeutet. So wie der Konsul das sagt: blauer Blick, dass das Eis bröckelt. Also dann, frohe Weihnachten! Der Dozent lässt es gluckern, wenn er hinunterschluckt.

Sollen wir die Bescherung jetzt oder erst nach dem Dessert machen? Die Frau des Konsuls räumt die Fleischteller ab. Ich helfe ihr, die Reis- und Gemüseschüsseln zurück in die Küche zu tragen. Sie öffnet das Fenster. Nur einen Spaltbreit, damit der Hammelmief hinauszieht. Draußen ist ein einzelner Wolf zu hören, der Stille Nacht heult.

Barbara Frischmuth, geb. 1941 in Altaussee, ist Schriftstellerin und Übersetzerin. Zuletzt erschien: "Woher wir kommen" (Aufbau-Verlag, 2012).

Foto: Regine Hendrich

Sich nichts schenken

Von Peter Rosei

Wenn die einzeln stehende Birke im Hof alle ihre Blätter verloren hat, weiß ich, Weihnachten kommt bald. (Die Linden oder Kastanien etwa verlieren ihr Laub viel früher.) Wenn die ersten Punsch-Hütten aufgestellt werden. Wenn vor den Rathäusern, wenn im Fernsehen. Wenn die aus blauem Flitter gebastelten Gebilde, die an Schäfchenwolken oder Comic-Sprechblasen erinnern, die Einkaufsstraßen schmücken – oder goldene Sterne auch, überdimensionale Kugeln oder Ähnliches.

Auf Flughäfen ist zu Weihnachten besonders viel Betrieb. Es empfiehlt sich, sich doch ein wenig früher auf den Weg zu machen. Dann ist die Schlange beim Check-in nicht gar so lang. Man trifft auch schon auf die Ersten, die ihren Anschlussflug verpasst haben und am Flughafen Weihnachten feiern werden müssen.

Die einen wollen Weihnachten feiern (was immer das ist und sein soll), die anderen nicht. Das erinnert an Zeiten, als die Gaststätten zu Weihnachten spätestens um fünf am Abend schlossen. Da fanden sich denn immer seltsame Runden zusammen: frisch verlassene Ehemänner, Söhne, die Mutter oder Vater hassten, chronische Säufer, die sich nicht heimzugehen getrauten und noch einen letzten Schnaps zur Stärkung nahmen. "Verlassen stehen Markt und Straßen / still, erleuchtet jedes Haus", hieß es damals (oder so ähnlich). Für manche galt eben nur der erste Teil.

Wenn ich anfange, Weihnachts- oder Neujahrbriefe zu schreiben, dann ist Weihnachten bestimmt nicht fern. Ich verschicke keine Billets, ich schreibe guten Freunden oder telefoniere mit ihnen. Und da kommt es manchmal doch vor, dass in diesem Sich-hineinfinden-Mögen in den Freund oder die Freundin, in diesem freilich illusionären Wunsch, eine Verbindung herzustellen, doch etwas aufblitzt oder aufleuchtet, das man einen Funken von Liebe nennen könnte. Vielleicht ist das "Weihnachten"?

Seit langem schenken wir uns untereinander nichts mehr. Lauter Erwachsene. Kaufhäuser und Mariahilfer Straßen werden gemieden. Halbwüchsige sehen am liebsten Bares. Kinder, o ja, die werden noch beschenkt, so reich, dass sie am Weihnachtsabend zwischen und unter ihren Paketen, Päckchen und den Eselsohren aus zerrissenem Weihnachtspapier ganz verloren dasitzen, gerührt betrachtet von den Erwachsenen.

Ja, Weihnachten ist schon was. Aber was? Vielleicht ist es der große Vorteil von Weihnachten, dass der gewöhnliche Ablauf, das normale Geschäft einmal unterbrochen ist. Vorher, gut, darf man sich dafür doppelt und dreifach austoben. Dann aber kommt der Moment, wo nichts mehr geht. Und du fragst dich. Nein, du wirst gefragt.

Letzthin war ich zu Weihnachten stets unterwegs. Flughafen. Bahnhof. Hotel. Macht es denn einen Unterschied aus, ob ich mich in glücksverheißende Transiträume inseriere oder im österreichischen Bergwald einen Tannenbaum umschneide, um ihn als Christbaum dann heimzutragen? Gewiss. Selige Erinnerungen? Kitsch? Harmoniewahn?

Liebe ist ein Projekt. Das erledigt sich nicht an einem Tag, das braucht seine Zeit. Freilich, manchmal wird man mit Liebe beschenkt, ohne dass man weiß, wie einem geschieht. Die grotesken, knallbunten Weihnachtsmänner, die man jetzt da und dort über Hausfassaden kraxeln sieht, den Gabensack auf dem Buckel – die stören dann auch nicht mehr.

Nachts schaue ich zum von den Lichtern einer Stadt diesig erhellten Himmel auf, und vielleicht schiebt sich hinter einer Wolkenbank unvermutet der Mond hervor, hart und grell, und er scheint und strahlt, wie er immer gestrahlt hat.

Peter Rosei, geb. 1946 in Wien, studierte zunächst Jus und ist seit 1972 freier Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Roman "Geld" (Residenz, 2011).

Foto: Standard/Heribert Corn

Elterliches Magieprojekt

Von Andrea Dusl

Wir waren Kinder, und wir glaubten alles. Wir glaubten, dass man mit Raketen zum Mond fliegen konnte, wir glaubten an Dinosaurier und an Beuteltiere und daran, dass Musik aus einem kleinen Kästchen kommen konnte namens Transistorradio. Die Welt war voller Zauber, und die Welt war ausschließlich dazu da, uns zu überraschen. Weihnachten war so eine Überraschung. Die Welt (also unsere Eltern) hatte sich das Fest ausgedacht, einzig für uns. Das Lichterfest. Raffiniert. Ausgeklügelt. Um das Ganze spannend anzulegen, wurde es langsam dünkler in der Stadt. Aus früheren Epochen wussten wir, Kerzen lodern schöner, wenn es düster ist!

Dass es nach Weihnachten langsam wieder heller wird, war ebenso Teil des ausgeheckten Kalküls. Unser Vater war Diplomingenieur, war ein Planer. Wer so große Sachen zusammenbauen konnte wie Häuser und Schulen und Pensionistenheime, war verdächtig, auch hinter dem Kürzerwerden der Tage zu stecken! In den späten Tagen der Adventkranzzeit, zwischen dritter und vierter Kerze, ein paar Fensterchen im Schokoladekalender waren noch zugeklappt, wurde der Vater hektisch. Er organisierte jetzt den Baum. Teil des Unternehmens war strikte Heimlichkeit. "Die Kinder sollen ihn nicht sehen", lautete der wichtigste Elternsatz in diesem Arkanvorhaben, und meist gelang das dem Vater auch. Wenn auch nicht sehr gut, denn Tannennadeln fanden wir auf der Treppe, und das kühle Gartenräumchen hinter seinem Büro war verschlossen. Solche Indizien deuteten darauf hin: Der Baum war schon im Haus. Außerdem konnte man ihn riechen. Riechen konnte man auch die Pepparkakor der Mamma, riechen konnte man die Vanillekipferln der Mussima, so nannten wir die Großmutter. Beide waren in die Pläne unseres Vaters eingebunden. Das Keksbacken war Teil eines komplizierten Ablenkmanövers. Am 24. Dezember war es schließlich so weit. Das Fernsehen strahlte schon ab Vormittag Programm aus! Stundenlang klebten wir am Schirm und sogen fern. Zogen uns Märchensendungen aus einem Land rein, in dem sie seltsames Deutsch sprachen (die Existenz der DDR war uns noch nicht bekannt), verschlungen die hölzernen Abenteuer von Lolek und Bolek, hörten brav gescheitelte Kinderchöre, Zithermusik, Gedichte von Waggerl. Derweil arbeitete der Vater in der Bibliothek an einem Architekturprojekt. Es roch nach Nadelwald, es raschelte, es klirrte. Hin und wieder gab es einen Knall. Dann war eine der Christbaumkugeln am Boden zerplatzt. Längst war die Nacht über die Stadt gefallen, längst waren wir unter Schreien und Zetern vom Fernsehapparat entfernt worden, um "schöne Sachen" anzulegen, das Haar sehr schön zu bürsten, um fertiggemacht zu werden für die Ankunft des Christkindes. Das war Teil des elterlichen Magieprojekts. Uns das Christkind zu verkaufen. Wenn es nach dem Rasierwasser des Vaters zu riechen begann, war der Moment nicht mehr weit. Ein Windhauch fehlte noch, der kam aus dem geöffneten Fenster, dort hatten die Eltern Strähnchen weißblonden Kunsthaares aufgelegt, Beweis für die Ankunft des Christkindes! Jetzt läutete der Vater die Glocke, öffnete die Tür und hieß uns den kerzenleuchtenden Baum bestaunen! Pfoah! Nämen! Ui! Berge an Geschenken! Das Christkind ist gekommen, sagte der Vater! So ein schöner Baum, sagte die Mutter! Und sie waren glücklich dabei.

Andrea Dusl, geb. 1961 in Wien, ist Zeichnerin und Autorin. Zuletzt erschien: "Ins Hotel konnte ich ihn nicht mitnehmen (Metro-Verlag, 2012).

Foto: Standard/Heribert Corn

Terror unter der Tanne

Von Tex Rubinowitz

Weihnachten ist das schönste Fest des Jahres, nur wissen das die meisten nicht, weswegen sie melancholisch werden, traurige Lieder singen und sich unterm Nadelbaum streiten, weil es eben alle machen, das scheint seit 2000 Jahren Tradition zu sein: Terror unter der Tanne. Sie stemmen sich gegen Murphys Gesetz, dass schiefgehen muss, was schiefgehen kann. Je mehr man sich stemmt, desto eher tritt die Katastrophe ein. Deswegen werden sie nicht glücklich und versuchen ihr Unglück mit Alkohol aufzuweichen. Nichts gegen Alkohol, Alkohol löst Probleme, aber im Falle der Weihnachtsdepression macht er alles nur schlimmer, weil man sich einredet: "Los, Kiwilikör, hol mich hier raus", man erwartet zu viel, oder aber man setzt ihn bei einem gepflegten Wohnungsbrand ein, entweder als Brandbeschleuniger oder zum Löschen, das bringt dann wenigstens ein bisschen Stimmung in die Bude, und der eventuell später hinzukommende Löschschaum der Feuerwehr ersetzt den fehlenden Schnee des traditionell für die Jahreszeit zu warmen Winters.

Aber so was kann man nicht planen, und auch wenn man es forciert, hat es den schalen Geschmack der billigen Inszenierung derer, die mit einem Zuwenig an eigenen Ideen gesegnet sind. Wohnungsbrand kann jeder, sogar Kleinkinder.

Das größte Problem am Weihnachtsfest sind die Geschenke, hier tritt zutage, dass sich über die meisten kreativerseits auch nicht gerade die Feen gebeugt haben, weil ihr Horizont immer nur so weit geht, dass sie stets von sich ausgehen, missionarisches Motto: Was mir gefällt, muss anderen auch gefallen, mein Musikgeschmack ist besonders exquisit, das, was ich lese, müssen andere auch lesen, niemals schenkt jemand etwas, was er selbst nicht begreift, denn dann würde er ja als geschmacksresistenter Tölpel dastehen. Auf der Seite des Beschenkten nur falscher Dank, unterdrückte Ratlosigkeit, keiner, der beim geschenkten Weihnachtsoratorium aufstöhnt: "Bach? Thats fucking church shit!"

Und um diese Diskrepanz zu entzerren, hat ein kluger Mensch (ich) eine kleine Liste zusammengestellt, ein Fünf-Punkte-Programm, wie Geschenke glücklich machen.

1. Man empfindet mehr Befriedigung, etwas selbst zu kaufen und sich zu schenken, als es geschenkt zu bekommen.

2. Es macht einen glücklich, den Schenkenden wegen seines schlechten Geschmacks zu beschimpfen.

3. Man freut sich, wenn der Schenkende einsichtig ist und zugibt, dass er keine Ahnung und einen schlechten Geschmack hat, Buße tut, Besserung gelobt und anfängt zu heulen

4. Man begleitet den Schenkenden zurück in den Laden und macht den Verkäufer dafür verantwortlich, dass er etwas so gedankenlos verkauft hat.

5. Man schenkt sich selbst etwas, was einem nicht gefällt, verachtet sich dafür, geht reuig zurück zum Laden und genießt es, wenn sich der Verkäufer schuldig fühlt und zugibt, dass er einem den Schrott nur aus Kommerzkalkül verkauft hat, und anfängt zu weinen.

Tex Rubinowitz, geb. 1961 in Hannover, ist Zeichner und Autor. Er lebt seit 1984 in Wien. Zuletzt: "Die sieben Plurale vom Rhabarber" (Rowohlt, 2013).

(Album, DER STANDARD, 21./22.12.2013)