U-Haft-Zustände, die es nicht mehr gibt: Im Jugendtrakt des Wiener Landesgerichts leben jetzt pro Zelle höchstens zwei Häftlinge.

Foto: Corn

Wien - Jugendliche, die unter Straftatverdacht stehen, sollen tunlichst nicht in U-Haft kommen: Darüber waren sich die Justizvertreter und Experten am runden Tisch einig, der vom Justizministerium eingerichtet worden war, nachdem die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig von der Vergewaltigung eines 14-jährigen Gefangenen durch ältere Mithäftlinge im Mai berichtet hatte.

Als Alternative wurde Unterbringung in eigenen Wohngemeinschaften diskutiert. Mit drei möglichen Betreibern ist man dem Vernehmen nach schon in Verhandlung. Diese Woche boten sich als vierte Möglichkeit die SOS-Kinderdörfer an.

Doch noch herrscht kein Konsens darüber, ob als Gefängnisalternative einfache WG-Unterbringung ausreicht oder ob diese nicht doch mit teilweisem Freiheitsentzug einhergehen soll. Während etwa die Kinder- und Jugendhilfe und die Kinder- und Jugendanwaltschaften Einsperrplänen ablehnend bis skeptisch gegenüberstehen, sprechen sich die Vertreter der Jugendrichter in manchen Fällen dafür aus.

Besagter Meinungsaustausch wurde auch am runden Tisch ausgetragen. In dem am sechsten Dezember kommentarlos auf die Justizministeriums-Homepage gestellten Abschlussbericht ist dies nachzulesen.

Schweizer Vorbild

Jugendrichterin Matschnig etwa plädiert für Möglichkeiten zeitweisen Freiheitsentzugs, so wie in der Schweiz. Dort könne straftatverdächtigen unter 18-Jährigen als Schutzmaßnahme Hausarrest in einem Heim oder einer WG aufgetragen werden, erläutert sie im Standard-Gespräch.

Diese Einsperrung sei nicht als Strafe, sondern als "Beziehungsangebot" zu verstehen, sagt Matschnig. Nach "drei bis vier Wochen" hätten die meisten Jugendlichen verbindliche Kontakte aufgebaut: die Grundlage jedes Resozialisierungsversuchs.

Dem widerspricht die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits. Wohngemeinschaften als Alternative zur U-Haft würden nach dem Prinzip "Therapie statt Strafe" funktionieren, sagt sie. Also als Vergünstigung, die bei Missverhalten auch wieder rückgängig gemacht werden könne. Durch Freiheitsentzug, wie er auch im Gefängnis existiere, werde dies konterkariert.

Zwar schließt Pinterits bei "unter 18-Jährigen, die besonders gefährlich unterwegs sind" die Notwendigkeit von "Freiheitseinschränkung mit therapeutischer Begleitung" keineswegs aus. Aber nicht als Prinzip - "und schon gar nicht bei unter 14-Jährigen, auch wenn sie schwierig und sozial verhaltensgestört sind".

Über diese noch nicht strafmündigen Straftäter entbrannte am runden Tisch eine Kontroverse; ihre Zahl wird von Experten bundesweit auf rund 5500 geschätzt. Laut Justizministerium reichen die bestehenden Rechtsgrundlagen nicht aus, um sinnvoll mit derlei Kindern umzugehen. Die Jugendhilfe sei gezwungen, diese, bis sie 14 und damit strafvollzugsfähig sind, an ungeeigneten Orten wie Psychiatrien unterzubringen.

Daher plädieren die Ministerialvertreter laut Abschlussbericht für "Präventivmaßnahmen", die eine "im Einzelfall erfolgenden Einschränkung der persönlichen Freiheit" mit einschließen. Laut Jugendrichterin Matschnig wird im Familienministerium derzeit schon überlegt, wie das rechtlich umgesetzt werden könnte.

"Situation stark verbessert"

"Kinder einzusperren ist nicht in Ordnung. Auch Eltern dürfen das nicht" , meint dazu Nikolaus Tsekas, Leiter des Bewährungshilfe- und Kriminalitätspräventionsvereins Neustart Wien. Von derlei Unstimmigkeiten abgesehen, habe die Taskforce Jugend-U-Haft jedoch weit mehr als frühere Anläufe zu Neuregelung des Umgangs mit straffälligen Minderjährigen zusammengebracht.

Allem voran die im Schlussbericht als "Sofortmaßnahmen" aufgezählten Änderungen im Jugendtrakt des Wiener Landesgerichts: nur mehr zwei Personen pro Zelle, neuer Beschäftigungsraum, längerer Umschluss, regelmäßige Kontrollbesuche, täglicher Nachtdienst. "Natürlich kann niemand garantieren, dass es zu keinen Übergriffen mehr kommt. Aber die Situation hat sich stark verbessert", kommentiert Matschnig.  (Irene Brickner, DER STANDARD, 20.12.2013)