Andrew Ridgeley und George Michael als fröhliches Weihnachtsgespann. Dabei hat "Last Christmas" einen traurigen Inhalt.

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Seit bald 30 Jahren gehört es zum guten Ton, dieses Lied nicht nur schlecht zu finden. Man muss es obendrein aus vollem Herzen hassen. Das bietet sich natürlich an. "Last Christmas" von George Michael und Wham! tschingelbellt seit 1984 Jahr für Jahr nicht nur gefühlt von Anfang November bis kurz vor dem Pfingstfest gemeinsam mit dem Ski-Weltcup aus sämtlichen Kanälen. Besonders perfid wird es, wenn pfiffige Radiomoderatoren betonen, das Lied eigentlich läppisch bis unerträglich zu finden, um es dann - wie lustig ist das denn?! - zu spielen. Merke: Man soll nicht betrunken in der Kanzel gegen Drogenmissbrauch predigen. Apropos: "Last Christmas" weht auch jedesmal von den Weihnachtsmärkten herüber auf die Straße der Einsamkeit, wenn wir uns mieselsüchtig wie der Weihnachtshasser Grinch an fröhlich die stillste Zeit des Jahres herbeitrinkenden Menschenkindern und Weihrauch-, Myrrhe- und Orangenpunschgestank vorbeischleichen. Daheim kaufen wir dann, beleuchtet nur vom Bildschirm, nicht von den Kerzen der Hoffnung, online Geschenke, die niemand braucht, um sie Menschen zu schenken, die wir nicht mögen.

Wir haben keine Chance

Im Supermarkt um die Ecke von uns allen läuft übrigens die "Last Christmas"-Instrumentalversion in Endlosschlaufe, weil die Angestellten trotz ihrer prekären Arbeitsbedingungen mit Arbeitsniederlegung gedroht haben, wenn noch einmal "Rudolph das rotnasige Rentier" oder "Jingle Bells" selbst läuft. Manche Irre summen mit, wenn sie in der Obstabteilung die Äpfel betatschen, bis sie braune Flecken bekommen - aber was willst du machen: Gegen die Welt da draußen haben wir keine Chance. Möglicherweise ist ja ein Weihnachtslied nicht an sich schuld, dass es speziell im innerstädtischen christenfernen Milieu so sehr abgelehnt wird. Die meisten Lieder haben sich ihren guten Ruf immerhin behalten, weil die Getragenheit von Songs wie "Stille Nacht", "Es wird scho glei dumpa" oder "Ihr Kinderlein kommet" ein umfassendes Beschallungsbombardement unmöglich macht. Diese Lieder machen nachdenklich und andächtig. Schwermut dämpft die Kaufwut. Niemand will aber im Kaufhaus eine Krippe bauen und Esel beten machen.

Waren Sie einmal auf einem Berliner Weihnachtsmarkt? Dort kommt der Weihnachtsmann mit dem Coca-Cola-Laster. Hinten auf dem Anhänger spielen die deutschen Techno-Rocker Scooter ihren vor allem auch in den ehemaligen Ostblockstaaten gern gehörten Welthit "Hey you, tanz mit mir. Now. Jawoll. It's motherfucking Christmas time, make some noise!".

Zwischen Besinnungslosigkeit und Besinnung muss es einen Kompromiss geben. George Michael gibt sich heute längst als von der Welt abgekehrter, abgeklärter Schmerzensmann des Soul. Er veröffentlicht im Zehnjahrestakt Bekennerballaden im Stile von Edith Piafs "Non, je ne regrette rien". 1984 aber gelang ihm in jungen Jahren mit dramatischer, in diesem Jahrzehnt gern gesehener Bad-Hair-Day-Frisur "Last Christmas". Ein tragisches Liebeslied zu beschwingter Melodie im Schlittenfahrtrhythmus. Es erzählt von einer verflossenen Liebe und davon, dass das Leben dennoch weitergehen muss. Ein Lied, zu dem man tanzen, lachen und weinen kann: "Last Christmas I gave you my heart / But the very next day you gave it away / This year, to save me from tears / I'll give it to someone special ..." Besser ist über Weihnachten nie wieder gesungen worden. In einem Jahrzehnt, in dem alles auf Konsum ausgerichtet war, hatte es gegen das zeitgleich erschienene Band-Aid-Lied "Do They Know It's Christmas?" und sein Pathos keine Chance. Aus dem ewigen Zweiten der frühen Jahre ist heute ein Klassiker geworden, den man zwar vordergründig "hassen" kann. In dem Song steckt aber mehr, als Ablehnung zu verbergen vermag. Es geht um nichts weniger als das Glück im Unglück - und umgekehrt. Das billige Synthesizerpop-Arrangement mag heute etwas läppisch wirken. An der Größe seines Inhalts ändert es nichts. So, das musste einmal gesagt werden. Weinen kann ja auch eines, es kann helfen. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 20.12.2013)