Can, die neben Kraftwerk und Neu! historisch einflussreichste deutsche Band der frühen 1970er-Jahre. Von links: Irmin Schmidt, Holger Czukay, Damo Suzuki, Michael Karoli und Jaki Liebezeit.

Foto: spoon

Wien - Alle Welt blickt derzeit natürlich wieder einmal auf das Wiener Burgtheater. Immerhin wird dort im Mai 2014 die deutsche Band Kraftwerk im Rahmen ihrer losen Welttournee durch Hochkultur-Hotspots wie die Tate Modern, das Guggenheim Museum oder die Oper in Sydney an vier Abenden ihr schmales Gesamtwerk vorstellen.

Damit soll ihr musealer Ruf als zentraler deutscher Beitrag zur Geschichte der populären Musik verfestigt und elektronischer Retrofuturismus mit Kleiderpuppenrobotern zementiert werden. Das ist gut und schön, aber kein Musiker, der bei Sinnen ist, macht die Menschmaschinen nach. Das bleibt dankenswerterweise meist Pantomimen in Fußgängerzonen überlassen. Und Technoväter mögen Kraftwerk zwar dank kühler technoider Strenge sein, das Herzblut pumpt im Zweifel aber immer im Geist der deutschen Romantik, nicht für den Club.

Für Generationen nachrückender Musiker als Einfluss wichtiger, von der Masse selbst musikinteressierter Hörer allerdings unbeachteter verhält es sich dagegen mit Musikern aus derselben Generation. Der immer noch aktive Michael Rother etwa mit seinem Projekt Neu! sei hier stellvertretend für viele genannt - oder Manuel Göttsching, Kopf von Ash Ra Tempel, der 1980 mit E2-E4 früh heutige repetitive, flächige Elektronikmuster vorwegnahm.

Schon von 1968 weg aktiv und in der Kernbesetzung bis 1975 künstlerisch auf der Höhe muss die in Köln beheimatete Band Can genannt werden. Erst vor eineinhalb Jahren waren 30 Stunden jahrzehntelang verschollenen Studiomaterials entdeckt, vor der Vernichtung bewahrt und zur Kompilation Lost Tapes ediert worden. Diese zeigen, dass die einstigen Freistilexperimente der Band heute bei den Kindern der neueren Elektronik wichtiger denn je genommen werden.

Nun liegt als Draufgabe eine neu gemasterte Gesamtausgabe des offiziellen Werkkatalogs auf Vinyl vor, inklusive eines bisher unveröffentlichten Livekonzerts von 1975. Can Catalogue Vinyl Box Set (Spoon Records) lässt nicht nur Sammlerherzen höher schlagen. Auf 17 Alben, für deren Anschaffung sich das Ausborgen des Einkaufstrolleys der Oma empfiehlt, lässt sich auch nachvollziehen, wie modern sich Musik anhören kann, die zwischen den Stühlen sitzt.

Die Can-Musiker Irmin Schmidt und Holger Czukay etwa hatten in Köln während der 1960er-Jahre bei Karlheinz Stockhausen strenge Kammer studiert. Sie brachten ihren avantgardistischen Ansatz, zu dem auch serielle Musik, Tonbandexperimente und "Gruppenkomposition" gehörten, auf Kollisionskurs mit Rockgitarrist Michael Karoli. Freejazz-Schlagzeuger Jaki Liebezeit bockte und übte sich in minimalistischer Repetition und tribalistischer Rhythmik. Die Ergebnisse waren hypnotische, mitreißende, aus Jamsessions entstandene Tracks, die jederzeit aus den Nähten platzen konnten.

In den Ruinen der Rockmusik

Darüber improvisierte zuerst der bald auf Anraten seines Psychiaters die Band verlassende US-Bildhauer Malcolm Mooney am Gesangsmikrofon. Ab 1970 übernahm der nicht weniger exzentrische japanische Hippie Damo Suzuki. Elektronische Grenzlandforschung, japsende Neandertalgesänge, alles aufgenommen in den Ruinen eines noch immer druckvoll gespielten Rock. Es erschienen Wunderwerke wie die Alben Monster Movie, Tago Mago oder Ege Bamyasi. Für den Tatort schrieben Can Filmmusik. Mit Spoon als Titeltrack für den Fernsehfilm Das Messer gelang ihnen 1971 sogar ein Hit mit damals als Kinderspielzeug belächelter Rhythmusmaschine. Mitte der 1970er-Jahre, auch das lässt sich nun auf Can Catalogue Vinyl Box Set nachhören, blutete die Band kreativ aus. Abgänge und Umbesetzungen folgten noch bis 1979.

Die letzten Reste von Can sind heute in der Helmut Zerlett Band bei Harald Schmidt beschäftigt. Michael Karoli starb 2001. Holger Czukay ist wunderlich. Irmin Schmidt macht Filmmusik und verwaltet über Spoon Records das Erbe. Die Sänger? Unbekannt verzogen. Jaki Liebezeit veröffentlicht noch immer Musik auf der Höhe der Zeit. Heuer etwa mit dem Projekt Cyclopean, bei dem auch Irmin Schmidt mitmischt. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 19.12.2013)