Wien - Über Sidney Poitier kann man beim Familienessen in Streit geraten. Während der Vater den populären Schauspieler bewundert und in ihm einen Botschafter für die Rechte der Schwarzen sieht, verachtet der Sohn dessen angebliche Andienung an das weiße Establishment. Lyndon B. Johnson ist soeben im Begriff, das Bürgerrechtsgesetz von 1964 gegen die Diskriminierung der Afroamerikaner zu verabschieden, doch dem radikalen Sohn, der einen Anschlag des Ku-Klux-Klans überlebt hat, ist das nicht genug: Für echte Gleichberechtigung müsse man bewaffnet kämpfen, ansonsten sei man bloß ein Nachfahre des Onkel Tom - und damit so unterwürfig wie der Vater.
Dieser arbeitet allerdings in keiner Hütte, sondern im Weißen Haus und somit im Zentrum der weißen Macht. Seit vielen Jahren dient Cecil (Forest Whitaker) dem jeweiligen Amtsinhaber, nach Eisenhower und Kennedy ist Johnson mittlerweile der dritte Präsident, dem er Tee einschenkt. Seine Kindheit hat er auf einer Sklavenfarm verbracht, wo er die Ermordung seines Vaters durch den Plantagenbesitzer mit ansehen musste. "Wir haben zwei Gesichter", erklärte ihm nach seiner Flucht sein Lehrherr in North Carolina. "Unseres und das andere, das wir den Weißen zeigen." Als ob die traumatische Kindheit keine Spuren in ihm hinterlassen durfte, um keine weiteren Verletzungen zu erleiden, beherrscht Cecil dieses andere unbewegte Gesicht heute perfekt: Es hat ihm den Aufstieg zum ersten Butler Amerikas ermöglicht.
Dass The Butler, inszeniert vom Afroamerikaner Lee Daniels, sich für diesen inneren Konflikt seines Protagonisten jedoch kaum interessiert, liegt paradoxerweise ausgerechnet an dessen Nähe zur Macht: The Butler möchte veranschaulichen, wie die jeweilige Amtsführung der insgesamt sieben Präsidenten, unter denen Cecil dient, zwar keine unmittelbaren Auswirkungen auf sein Pflichtbewusstsein hat, das Leben und die Rechte der Schwarzen in den Vereinigten Staaten jedoch maßgeblich beeinflusst.
So werden Bürgerrechtsbewegung, Black Panther Party und Martin Luther King zu Ideen aus einer Welt, die Cecil nur aus der Ferne kennt und der er sich nur im ideologischen Clinch mit seinem Sohn Louis (David Oyelowo) stellen muss. Mittels einfacher Parallelmontage zeigt Daniels, wie dieser an der historisch wichtigsten schwarzen Universität politisches Bewusstsein entwickelt, während Cecil goldenes Essbesteck für die hohen weißen Herren auslegt und seine Frau (Oprah Winfrey) zuhause vereinsamt.
Weg der Mitte
Welcher Weg der richtige ist, glaubt dieser Film aus heutiger Sicht genau zu wissen: Weder die arrogante Radikalität des Sohnes noch die beflissene Dienstfertigkeit des Vaters führen zum gewünschten Ziel, sondern der Weg der gemäßigten Mitte.
The Butler greift auf einen anlässlich der Wahl von Barack Obama erschienenen Artikel in der Washington Post über Eugene Allen zurück, der dreißig Jahre lang als Butler mehrerer US-Präsidenten arbeitete. So ist Obama auch jener Präsident, dessen Einzug ins Oval Office dieser Film als Sieg der Gerechtigkeit feiert. Das ist ein Stoff, der - mit Reminiszenz an Forrest Gump - gemeinhin zu Oscar-Träumen verleitet, zumal Stars wie Robin Williams (Eisenhower), John Cusack (Nixon) und Alan Rickman (Reagan) präsidiale Auftritte absolvieren.
Doch mit dem Anliegen einer möglichst versöhnlichen Botschaft macht The Butler über weite Strecken die sozialen Umwälzungen Nachkriegsamerikas zum illustrativen Hintergrund eines Vater-Sohn-Konflikts. "Wir tolerieren Politik nicht im Weißen Haus", bekommt Cecil bei seinem Dienstantritt mit auf den Weg. Eine Vorgabe, die auch dieser Film gewissenhaft erfüllt. (Michael Pekler, DER STANDARD, 18.12.2013)