"Man soll sein krankes Nierenbecken nicht mit kalten Bieren necken, auch sollte man bei Magenleiden den Wein aus sauren Lagen meiden", lautet eine Volksweisheit. "Hier ist wie bei den meisten Volksweisheiten Wahrheitsgehalt vorhanden, aber dass kalte Getränke negative Auswirkungen auf den Harnbereich haben, kann ich ausschließen", sagt Wolfgang Tillinger, Oberarzt für Innere Medizin und Gastroenterologie im Wiener Hartmannspital.
Die Nieren seien mit Sicherheit keinem inneren Kältereiz ausgesetzt. Kälte von Außen schwächt dagegen die Abwehrkräfte im Unterbauch und prädestiniert für Harnwegsinfekte, insbesondere wenn dieser Bereich auch noch mit Nässe und Zugluft konfrontiert ist. Im ungünstigsten Fall können urologische Infektionen in das Nierenbecken aufsteigen und eine schwere bakterielle Entzündung verursachen, die antibiotischer Behandlung bedarf. "Dass so etwas durch kalte Getränke begünstigt wird, würde ich aber dem Bereich der Mythen zuordnen", sagt Tillinger.
Sensibel auf saure Nahrungsmittel
Ein Funken Wahrheit steckt dagegen im zweiten Teil des Sinnspruchs. Saurer Wein ist bei Magenleiden nicht zu empfehlen. Vor allem aufgrund ihrer Ernährungsgewohnheiten seien in der industrialisierten Welt zahlreiche Menschen von Refluxkrankheit und chronischer Gastritis betroffen, erklärt der Gastroenterologe, umso mehr zu Feiertagen wie Weihnachten und Neujahr.
In dieser Zeit falle zum einen der Anteil an fettreichem Essen höher aus, zum anderen würden mehr alkoholische Getränke konsumiert. Diese Nahrungsmittel belasten den Magen-Darmtrakt. "Menschen, die bereits an einer Erkrankung leiden, sind besonders sensibel auf saure Lebensmittel, wozu der Wein, und generell Spirituosen zählen", so der Experte. Die Beschwerden äußern sich meist in "Sodbrennen", saurem Aufstoßen, einem Druckgefühl hinter dem Brustbein oder Schluckbeschwerden.
Besonders ungünstig sind säurebetonte Weißweine. Konkrete Rebsorten seien schwer festzumachen, außer vielleicht Grüner Veltliner, "aber es hängt immer davon ab, wie sie ausgebaut sind", weiß der Gastroenterologe. Im Großen und Ganzen könne man sagen, dass Rotweine ein bisschen harmloser sind. "Das heißt aber nicht, dass Menschen, die an einer Refluxkrankheit leiden, ohne Folgen ungehemmt säurearme Weine zu sich nehmen sollten", sagt Tillinger.
Alkohol kann auf den Magen gehen
Doch nicht nur die Säure selbst, der Alkohol generell kann auf den Magen gehen. "Alkohol öffnet den Verschlussmechanismus zwischen Speiseröhre und Magen", erklärt der Gastroenterologe. Die Öffnung dieses "Schließmuskels" führt dazu, dass saurer Mageninhalt in die Speiseröhre zurückfließen kann. Es ist also einerseits die Säure, andererseits der Alkohol selbst, der Beschwerden verursachen kann. Auch eine erhöhte Zufuhr von Fett, Frittiertem, Bäckereien kann zur Erschlaffung des Muskels führen.
Eine Behandlung der Refluxbeschwerden mit Hausmitteln wie Samarin oder Natron bezeichnet Tillinger als "nur mäßig effektiv". An erster Stelle stehen für ihn diätische Maßnahmen: das Vermeiden saurer Getränke - allen voran Weißwein – aber etwa auch von Zitrusfrüchten, die in der kalten Jahreszeit gerne zwecks Gesundheitsvorsorge konsumiert werden.
Vorsicht vor Kohlensäure
"Orange, Zitrone und Grapefruit sind nicht zu empfehlen. Danach kommt gleich der Kaffee", sagt Tillinger. Sind die diätischen Maßnahmen nicht zielführend, empfiehlt er eine medikamentöse Behandlung. Hier stehen an erster Stelle Antazida, die die Säure im Magen binden und eine Schutzfunktion bilden. Die weitere und laut dem Experten effektivste Stufe bei massiveren Beschwerden ist eine Therapie mit Säureblockern.
Ob für Menschen mit einem Magenleiden Bier vielleicht bekömmlicher ist? "Bier ist von seinem Säuregehalt her für Reflux-Patienten eher harmlos", sagt Tillinger. Doch bei Refluxbeschwerden oder akuten Magenreizungen solle man wiederum mit kohlesäurehaltigen Getränken zurückhaltend sein. Dennoch: "Im Ranking, würde ich sagen, ist Bier - maßvoll konsumiert - sicherlich harmloser als Wein, insbesondere Weißwein", meint der Gastroenterologe. (Eva Tinsobin, der Standard.at, 18.12.2013)