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Anders Behring vor Gericht in Oslo am 24. August 2012.

Foto: ap

Sascha Soydan in der Garage X in Wien.

Schauspielerin Sascha Soydan tritt kaugummikauend in einem roten Hoodie und Jeans an das Rednerpult. Noch gibt es Unruhe in der Aula der Akademie der Bildenden Künste, Rascheln, Flüstern. Sie nimmt nur gelassen ihre Armbanduhr ab, legt die annotierten Zettel der Rede des größten Attentäters Nachkriegseuropas zurecht, und beginnt. Immer mit strengem Blick in die Kamera, ihr erbarmungsloser Ausdruck wird groß auf eine Leinwand hinter ihr projiziert.

Vor langer Zeit wurde hier Hitlers Bewerbung für ein Kunststudium abgelehnt. Und vor kurzer Zeit fanden noch die Flüchtlinge der Wiener Refugeebewegung hier Unterkunft und kämpften um ihre Rechte. Jetzt hallen die Worte Anders Breiviks nach. Was unmissverständlich und schmerzhaft schnell klar wird: Wir alle kennen diese Rede. Es ist die auf die Spitze getriebene Sprache konservativer und rechter Politiker, die Sprache fremdenfeindlicher und zynischer Journalisten und Leserbriefschreiberinnen, der ätzende Geifer der Kommentarsektionen von Online-Medien. Anders Breivik - mindestens rhetorisch - ein Symptom der aufkeimenden Rechtsradikalität in Europa. Es rauscht in den Ohren, nicht nur wegen der vorübergehenden Tonprobleme während der Rede.

Informierter, gebildeter, rhetorisch gewandter Bürger Europas

"Was mich interessiert und fasziniert hat, ist die Banalität dieser Rede. Die Langweiligkeit und Durchschnittlichkeit", sagt Milo Rau, der "Breiviks Erklärung" schon in vielen Städten im deutschsprachigen Raum konzipierte und inszenierte. "Diese Rede könnte von jedem sein, nicht ausschließlich vom als wahnsinnig dargestellten Attentäter." Und tatsächlich: Anders Breivik geht in seiner etwa einstündigen Verteidigungsrede nur in einer Handvoll Sätze überhaupt auf seine Tat und seine Person ein. Stattdessen nutzt Dozent Breivik sie als Kampfansage an den "Kulturmarxismus", die "Multi-Kulti-Diktatur", die "linken Eliten", die Europa seines Erachtens fest im Griff haben.

Breivik weiß seine Argumente mit Statistiken, Untersuchungen und Schlussfolgerungen zu bauen. Es wird nachvollziehbar, wieso er als vollkommen zurechnungsfähig erklärt wurde - hier steht ein informierter, gebildeter, rhetorisch gewandter Bürger Europas.

Anders Breiviks Verteidigungsrede vor dem Osloer Amtsgericht wurde in Wien in der Garage X auf die Bühne gebracht.

"Es ist ein Boykott der Demokratie, wenn die Meinungsfreiheit systematisch eingeschränkt wird. Wenn rechte Parteien als "Rassisten" beschimpft werden, wenn es eine Dauerverleumdungskampagne gegen die norwegische Fortschrittspartei, die SVP in der Schweiz oder die FPÖ in Österreich gibt", sagt Sascha Soydan gelassen für Anders Breivik. Schreiende Rückkoppelung zerrt an den Nervensträngen der Lautsprecher.

Dass Europa sich durch seine Einwanderungspolitik selbst abschaffe, das sei "der wahre Wahnsinn". Seine Tat sei nur ein "Präventivschlag im drohenden europäischen Bürgerkrieg", er, die NSU und alle "wertkonservativen Freunde" etwa "bringen das größte Opfer." Europa sei vor einer drohenden Islamisierung zu retten, Multi-Kulti und Wohlfahrtsstaat funktionierten einfach nicht und die "indigenen Völker" Europas sowie ihre Kultur verdienten den gleichen Schutz wie jene anderswo auf der Welt.

"Der Text macht mich wütend, weil er mich durch seine unschockierende Art so entwaffnet", sagt Sascha Soydan. Breiviks Rede vom 17. April 2012 wurde nicht im Fernsehen übertragen und vor dieser Inszenierung nur von den im Gerichtssaal Anwesenden gehört. Die Frage, ob man so einer Rede überhaupt in der Öffentlichkeit Raum bieten soll und darf, erübrigt sich: Wir hören Versatzstücke dieser Rede ohnehin tagein, tagaus. Wie enttäuscht man von den Worten Breiviks ist, weil man sie eigentlich schon so oft gehört hat, ist der wahre Skandal.

Anders Breiviks Rede endet mit der Aufforderung, in allen Punkten frei gesprochen zu werden. Niemand kann so der entsetzlich großartigen Sascha Soydan applaudieren. (Text: Olja Alvir, Video: Siniša Puktalović, daStandard.at, 16.12.2013)