Alles, was gegen die vorhergesagte Katastrophe unternommen wird, führt sie letztlich nur herbei: Simon Neal (als tragischer Oedipe) in George Enescus Oper.


Foto: Frankfurter Oper

Zum Glück für das neugierige Opernvolk gehen Ehrgeiz und Selbstbewusstsein des Frankfurter Intendanten Bernd Loebe weiter als bis zum demonstrativ ausgestellten Verweis auf einen neuen, britischen Opera Award für sein Haus, während der heimische Titel "Opernhaus des Jahres" die Komische Oper in Berlin ziert.

Tatsächlich riskiert Loebe immer wieder Ungewohntes - wie nun George Enescus Oedipe mit dem Regieveteranen Hans Neuenfels. Der hatte hier 1981 mit seiner Putzfrauen-Aida nicht nur seinen Ruf als Polarisierer und Lieblingsfeind aller Regietheatergegner begründet. Quasi als inhaltliche Vorbereitung war hier vor zwei Jahren auch seine Basler Penthesilea von Othmar Schoeck zu erleben.

In der einzigen, 1936 in Paris uraufgeführten Oper des Rumänen Enescu geht es um den Königssohn, der seinen Vater umbringt und seine Mutter heiratet. Alles, was gegen die vorhergesagte Katastrophe unternommen wird, führt sie herbei. Selbstbestimmtes Handeln des Menschen auf der Basis von Wissen? Reine Utopie. Dass in dem Schuldlosen unwissentlich der Abgrund Mensch lauert, machte den antiken Helden nicht zufällig zum Namensgeber in der Psychoanalyse.

In Frankfurt findet er sich zunächst wie ein beobachtender Wissenschafter des Weltzusammenhangs in einem Labyrinth aus altmodischen Tafeln, die über und über mit Formeln bedeckt sind. In typisch Neuenfels'scher Manier wird er zum reflektierenden Mitspieler in einer szenischen Suche nach sich selbst. Die Ästhetik von Rifail Ajdarpasics Tafelwänden (die genauso gut Palastwände sein könnten) und die Opulenz der Kostüme von Elina Schnizler (zwischen gruftigem Punk fürs Volk, einem Glitzerfummel für Kreon und Revueeleganz für die Sphinx) öffnen für das Gedankenexperiment viele Richtungen.

Geburt aus dem Ei

Erzählt wird in der deutschen Übersetzung von Henry Arnold chronologisch von der Geburt aus dem Ei und der düsteren Prophezeiung. Auch vom Vatermord, der erotisch knisternden Begegnung mit der Theben bedrohenden Sphinx (virtuos: Katharina Magiera) und der Verbindung mit Mutter und Gattin Jokaste (Tanja Ariana Baumgartner). Es geht aber auch um den Schock der Selbsterkenntnis und die Selbstblendung. Bei Hans Neuenfels ist da nach 100 Minuten Schluss; der vierte Akt ist gestrichen. Mit der Einblendung "Es gibt keine Erkenntnis außer der Hoffnung" zieht Neuenfels sein Fazit.

Als Denkanstoß. Szenisch entfaltet diese intelligente und leicht distanzierte Eigenwilligkeit ihre Wirkung, weil das Ensemble mit einem überragenden Simon Neal in der Titelrolle und der Chor ebenso überzeugend mitziehen.

Das gilt auch für das Frankfurter Opernorchester unter Dirigent Alexander Leibreich. Er lässt die massiven Klangwolken des Rumänen, der sich von der Musikgeschichte inspirieren lässt, aber in seiner eigenwillig dunklen Schönheit keiner Mode verhaftet ist, erblühen. Ein paar matte Buhs für Hans Neuenfels. (Joachim Lange aus Frankfurt, DER STANDARD, 16.12.2013)