Eigentlich sind sie für den Ehemann gedacht, aber die raffinierten Speisen von Ila erreichen nicht ihn, sondern Witwer Saajan (Irrfan Khan): "Lunchbox".

Foto: Filmladen

Wien - In der Megacity Mumbai können Arbeitnehmer mittags den Service der Dabbawalla in Anspruch nehmen: Diese bestens organisierten traditionellen Speisenträger holen das praktisch in Stapelgeschirr portionierte Essen in Privatwohnungen und Restaurants ab. Über diverse Verteilerknoten legen die individuellen Mahlzeiten weite Strecken zurück, werden per Fahrrad, Zug und zu Fuß weitergereicht, bis sie zuverlässig beim vorgesehenen Empfänger einlangen.

Ein solches Versorgungsarrangement hat auch Rajeev (Nakul Vaid) mit seiner Ehefrau Ila (Nimrat Kaur). Diese versucht, mit besonders raffinierten Speisen seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. Als die fünf Schüsselchen nachmittags leer und blank an die Köchin retourniert werden, fasst sie Hoffnung. Aber am Abend muss sie feststellen, dass es ganz offensichtlich nicht ihr ahnungsloser Gatte war, der ihr Essen verputzt hat.

Am nächsten Morgen steckt Ila einen Zettel zur neuen Lieferung - der Unbekannte, der ihre Kochkunst sofort erschmeckt hat, antwortet. Eine Korrespondenz beginnt. Der Austausch bringt Bewegung in die festgefahrenen Lebensroutinen von Ila und Witwer Saajan (Irrfan Khan), der vor der Pensionierung steht und ebenfalls mit seiner Lage hadert.

Kein Arthouse-Feelgood-Kino

Der indische Autor und Regisseur Ritesh Batra hat Lunchbox mit Partnern aus Frankreich, Deutschland und USA produziert und im Mai in Cannes vorgestellt. Die Beziehungs- und Entwicklungsgeschichte war schnell ein Publikumsliebling, weitere Einladungen folgten. Dabei hat Batra mit folkloristisch und kulinarisch aufgepepptem Arthouse-Feelgood-Kino sichtlich nichts am Hut.

Lunchbox ist an einem spezifischen Schauplatz und in einem spezifischen Milieu verortet, dabei verhältnismäßig zurückhaltend und sorgfältig komponiert. Filmemacher und Darsteller arbeiten langsam an der Profilierung der beiden Hauptfiguren; visuell wird das in Schärfe-Unschärfe-Relationen übersetzt, vor allem Saajan erscheint in den Breitwandbildern häufig zart akzentuiert, während sein Umfeld leicht verschwommen bleibt.

Die Beziehung von Ila und Saajan beginnt als Gegenüberstellung von traditionell geschlechterkonformen Gegensatzpaaren: Ihre Sphäre ist der Innenraum der Wohnung. Sie erzählt aus dem Familienleben. Einzig zu ihrer Nachbarin, die nur akustisch präsent ist, hat sie engeren Kontakt. Er dagegen macht seine Beobachtungen draußen, beschreibt das öffentliche Leben, das sich verändert - überall gebe es zu viele Menschen. Die Wege zur Arbeit und zurück verbringt Saajan in überfüllten Zügen, meist im Stehen. Nun hat man ihm auch noch eine vertikale Grabstätte angeboten.

Während Saajan kleine Kämpfe mit seinem designierten Nachfolger ausficht, entdeckt Ila, dass ihr Mann eine Affäre hat. Dass Lunchbox daraus keine simplen erzählerischen Schlussfolgerungen baut, macht ihn sehr sympathisch. Die Anmutung des leicht Thesenhaften und Betulichen wird er aber auch nicht ganz los. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 13.12.2013)