Ganz oben und ganz unten: Banker Voss vor Frankfurts Skyline in "Master of the Universe" und ...

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... der Einstieg zum Kellerloch der Kids in "Sickfuckpeople".

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Wien - Ein wenig sei es wie bei "Bill Gates in seiner Scheißgarage" gewesen, erzählt der ehemalige Banker Rainer Voss: Auch er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als die deutsche Ökonomie noch einigermaßen reguliert vor sich hin dämmerte, hat er das Tor in ein neues Zeitalter zu öffnen geholfen - inspiriert von US-Kollegen und ihrer Hedgefonds-Philosophie. In Marc Bauders Dokumentarfilm Master of the Universe hält der mittlerweile selbst entlassene Voss beredt Rückschau. Schauplatz sind leergeräumte Interieurs von Großbanken, gleichermaßen Projektionsflächen für die Hybris der Vergangenheit wie für die daraufhin einsetzende Krise.

Am ganz anderen Ende der gesellschaftlichen Leiter stehen die Jugendlichen aus Juri Rechinskys Sickfuckpeople, wie Bauders Film eine mehrfach preisgekrönte österreichische Koproduktion. Diese kriechen buchstäblich bäuchlings aus einem Kellerloch, in dem sie sich davor mit diversen Drogen vollgepumpt haben. Der Blick der Protagonisten will sich in der gesamten Dauer des Films nicht klären, dasig torkeln sie durch die Straßen von Odessa; umso geschärfter ist dafür die Aufmerksamkeit, die ihnen Rechinskys Kamera entgegenbringt. Es ist kein Blick, der sich am Elend weidet; die Bilder suchen eine schmerzhafte Nähe zu ihren Figuren, sie zeigen aber auch die Abwehr und Feindseligkeit, die ihnen aus ihrer Umwelt entgegenschlägt.

Ganz oben und ganz unten bewegt man sich in abgeschlossenen Welten. Voss kommt mehrmals auf die Exklusivität des Bankerlebens zu sprechen, und die Abgehobenheit, von der über diese Berufsgruppe oft symbolisch die Rede ist, wird durchaus konkret: Mit seinen alten Freunden hatte er bald keine gemeinsamen Themen mehr, auch die Familie wurde dem Unternehmen nachgereiht. Bauder lässt Voss bis zu einem gewissen Grad sein Aufschneidertum durchgehen; gleichzeitig wird klar, dass dessen Überzeugung, zu einem elitären Zirkel zu gehören, ein Coup der Bank ist, mit dem sie Mitarbeiter motiviert.

Kein Netz bremst den Fall

In Sickfuckpeople wird vor allem am Fehlen familiärer Sicherheitsnetze deutlich, wie tief die Protagonisten gefallen sind. Im zweiten Teil dieses Triptychons sucht einer der Burschen in einer Kleinstadt seine Mutter, die er vor eineinhalb Jahren verlassen hat. Aber er findet nur ihre Ex-Freunde, grobe Kerle, die sich über sie den Mund zerreißen. Und selbst wenn sich Angehörige hervortun, wie beim Fall einer schwangeren drogensüchtigen Frau, ist moralische Überheblichkeit bestimmend. Das Elend wird zu etwas anderem gemacht, damit man es von sich fernhalten kann: "Sie ist kein Mensch", sagt ihre Schwester, sie habe die Wahl gehabt und ihre Entscheidung gefällt.

Wen trifft die Verantwortung? Rechinsky will darauf keine Antwort geben. Er hält fest, was er sieht. Er blickt nicht weg und erstattet seinen Figuren damit einen Rest von Würde zurück. Bauder dagegen interessiert sich für die Übersicht im Ganzen. Er möchte wissen, bis zu welchem Grad man sich in einem System verliert, wie aktiv (und wissentlich fahrlässig) man an der Front der Banken agiert. Eindeutig lässt sich dies jedoch auch in den Aussagen von Voss nicht bestimmen, und dies erhöht den Reiz des Films noch, macht ihn ambivalenter.

Deutlich wird, dass die riskantesten Deals nur mit Kunden möglich waren, die über den wahren Charakter des Unterfangens nicht ausreichend informiert waren. Umgekehrt begreift sich der Banker selbst als Teil eines Spiels, dessen Dimensionen die Vorstellungskraft eines Einzelnen übersteigen. Eine als Reaktion auf die Krise eingeforderte Transparenz sei etwa kaum zu gewährleisten, sagt Voss: "Niemand versteht die Rechnungslegung der Deutschen Bank."

In Master of the Universe ist die Außenwelt nur in Form der Frankfurter Skyline zu sehen, die den Blick durch die Fenster des Firmengebäudes dominiert. Für die Abkopplung der Wirtschaftsprozesse von der Realwelt ist dies ein fast schon zu griffiges Bild; indirekt zeigt es jedoch auch, wie schwer sich der Dokumentarfilm mit der Darstellung spätkapitalistischer Arbeitswelten tut.

Sickfuckpeople dagegen - auch dieser Vergleich lohnt sich - ist ein Exzess des Realen. Man will sich abwenden, wenn sich dieses Junkie-Paar ohne Zukunft seiner Liebe vergewissert; oder wenn ein Jugendlicher in dem Kellerdrecksloch einen epileptischen Anfall bekommt. Hier hat das Kino von allem zu viel. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 12.12.2013)