Bild nicht mehr verfügbar.

Joan Laporta (51, im Bild links) war von 2003 bis 2010 Präsident des FC Barcelona. Unter seiner Präsidentschaft gewann die Mannschaft zweimal die Champions League, viermal die Meisterschaft und einmal den Cup. 2010 gründete der Rechtsanwalt die Partei Democracia Catalana, mit der er als Abgeordneter in das katalanische Parlament einzog.

Foto: AP

Inhalte des ballesterer Nr. 88 (Jänner/Februar 2014) – seit 11. Dezember im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk

SCHWERPUNKT: Barcelona

MEHR ALS EINE STADT
Barca, Espanyol und der Fußball Kataloniens

KATALONIEN IM ZEITRAFFER
Von der Römersiedlung bis zur Unabhängigkeitsbewegung

ZU GAST BEI EUROPA
Der kleine Klub von Barcelona

WAS WURDE AUS PETER WURZ?
Der Ex-Espanol-Stürmer im Porträt

Außerdem im neuen ballesterer

PUNKTABZUG UND FÜHRUNGSKRISE
Die Probleme der Admira

KEINE PERSPEKTIVE
Ende der Innsbrucker Fanarbeit

PROSA, POESIE UND LEIDENSCHAFT
Pier Paolo Pasolini und der Fußball

DIE FARCE VON SALERNO
Italiens neuer Fußballskandal

AUFSCHWUNG UND WIDERSTAND
Die Rolle des Fußballs im Iran

WINHEIMS WEG
Der Sportjournalist im Porträt

GUTE ALTE FÖRSTEREI
Bei Union reden die Fans mit

STREIT UM STRUKTUR
Ausgliederung beim HSV

DAS HERZ ENGLANDS
Die Fotos von Stuart Roy Clarke

KRAFTWERK
In eigener (Rechts-)Sache

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Deutschland, Martinique und Ungarn

Foto: ballesterer

Kein anderer Präsident hat in so kurzer Zeit so viel mit dem FC Barcelona gewonnen wie der ehemalige Klubchef Joan Laporta. Unumstritten war seine Präsidentschaft trotzdem nicht, Laporta betonte die katalanische Identität des Klubs stark und musste sich vorwerfen lassen, zu viel Politik ins Stadion zu tragen. Beim ballesterer-Interview in seiner Rechtsanwaltskanzlei, die gleichzeitig Sitz seiner Partei Democracia Catalana ist, spricht Laporta über die Bedeutung des FC Barcelona für Katalonien, eine iberische Liga und die vielen Fehler seines Nachfolgers Sandro Rosell, der nicht einmal Messi zu würdigen wisse.

ballesterer: Wenn Sie sich heute ein Spiel des FC Barcelona anschauen, sehen Sie dann die Mannschaft, die Sie aufgebaut haben?

Joan Laporta: Ja, diese Mannschaft ist unser Vermächtnis. Als mein Präsidium und ich den Klub verlassen haben, hat sie unter Trainer Pep Guardiola einen exzellenten Fußball gespielt und war in einem Alter, das ihr auch zukünftige Erfolge erlaubte. Unser System hat sehr gut funktioniert, und der FC Barcelona hat der Welt einen einzigartigen Fußballstil gezeigt.

Derzeit gibt es viel Kritik. Die Mannschaft gewinne zwar, überzeuge aber nicht mehr. Braucht Barcelona einen Neubeginn?

Ich fürchte, dass der neue Vorstand nicht die Dinge tut, die die Mannschaft braucht. Offenbar sind sie mit unserem Vermächtnis nicht zufrieden und glauben nicht an diese Spielphilosophie, sonst hätten sie in einigen Fällen andere 
Entscheidungen getroffen.

Welche Entscheidungen meinen Sie?

Sie wissen, dass Messi der Anführer des Teams ist. Er ist der beste Spieler in der Geschichte des Fußballs und hat trotzdem verstanden, dass das Team immer Vorrang hat. Wir müssen ihn glücklich machen. Man darf keine Entscheidungen treffen, die seine Stellung gefährden.

Sie spielen auf die Verpflichtung von Neymar an.

Neymar ist ein exzellenter Spieler, aber Messi ist besser. Sowohl als Spieler 
als auch als Anführer. Man sollte an diesem System festhalten und es weiter verbessern. 
Der Vorstand hätte die Möglichkeit dazu gehabt, weil wir einen wirtschaftlich sehr 
starken Klub hinterlassen haben. Er hat sich dazu entschieden, Spieler zu kaufen, statt auf Neuzugänge aus dem Nachwuchs zu setzen. Obwohl diese Spieler auch nicht besser sind als unsere Talente.

Aber mit dem Aufdruck Neymar lassen sich vermutlich mehr Trikots verkaufen.

In unserer Jugendabteilung werden die Spieler zu Stars. Das beschränkt sich nicht auf Katalanen wie Busquets, Pique, Puyol und Xavi, sondern gilt auch für Spieler wie Iniesta, Messi und Pedro. Viele Spieler kommen von außerhalb in unsere Jugendabteilung, ihr Traum ist es, einmal in unserer Kampfmannschaft zu spielen. Das müssen wir fördern. Das ist nicht nur eine sportliche, sondern auch eine wirtschaftliche und philosophische Frage. Unsere Philosophie hat auf vier Säulen beruht: auf dem einzigartigen Spielstil, auf der Nachwuchsschule, auf Katalonien und auf Solidarität. 
Sie wissen, dass der neue Vorstand den Unicef-Schriftzug durch Katar ersetzt hat.

Aber Sie haben mit Unicef überhaupt erst einen Schriftzug auf das Trikot des FC Barcelona drucken lassen.

Ich glaube, dass der Unicef-Deal – neben dem sportlichen Bereich – die beste Entscheidung meiner Präsidentschaft war. Der Klub hat sich so als Pionier in der Corporate Social Responsibility positioniert. Zusätzlich haben sich die Spieler, die Sponsoren und die Fans sehr wohlgefühlt. Ein kommerzieller Sponsor kann so ein Image nicht transportieren.

Kritiker haben damals aber schon gemeint, dass Sie mit dieser Entscheidung den Boden für spätere Sponsoren aufbereiten.

Die Kritik, die ich am häufigsten gehört habe, war, dass wir uns damals nicht für das Geld entschieden haben. Wir haben ein Angebot von bwin abgelehnt, obwohl sie uns fünf Jahre lang 22 Millionen Euro pro Saison gezahlt hätten. Wir haben uns für Unicef entschieden und zusätzlich noch gespendet. Der Klub ist damals gut geführt worden: Unsere Einnahmen waren hoch genug, um konkurrenzfähig zu bleiben. Heute sieht es offenbar anders aus.

Was denken Sie über die Stimmung im Stadion? Es ist doch eher ruhig – bis auf ein paar Hundert Fans, die singen.

Der Vorstand hat vor kurzem mit einer alten Tradition gebrochen, er hat 
verboten, dass Mitglieder ihre Kinder gratis ins Stadion mitnehmen können. Das hat für das Team, die Atmosphäre im Stadion und das Image des Vereins sehr negative Folgen. Nachdem wir die Gewalttäter aus dem Stadion entfernt hatten, war die Stimmung großartig. Jeder hat sich wohlgefühlt. Jetzt sagen sie, dass die Kinder nicht mehr ins Stadion dürfen, weil es zu gefährlich sei. Das heißt also, wenn sie sich zwischen den Kindern und den Gewalttätern entscheiden müssen, wählen sie Letztere.

Sie haben zu Beginn Ihrer Präsidentschaft die rechtsradikale Fangruppe "Boixos Nois" aus dem Stadion gedrängt. Wie haben Sie das gemacht?

Als ich die Präsidentschaft übernommen habe, ist ein Vertreter der Gruppe 
zu mir gekommen und hat pro Spiel 300 Freikarten und 9.000 Euro gefordert. Ich habe mich geweigert, und daraufhin haben sie damit begonnen, Bengalen aufs Spielfeld zu werfen, um Strafen zu provozieren. Wir haben ihnen dann die Privilegien bei Auswärtsfahrten gestrichen und ihren Raum im Stadion geschlossen. Wir haben alle Beziehungen zwischen dem Klub und dieser Gruppe gekappt, danach haben sie mich und meine Familie bedroht. Dank der Unterstützung der Polizei haben wir die Gruppe aus dem 
Stadion schmeißen können.

Wie sieht es unter dem neuen Vorstand aus?

Ich weiß es nicht im Detail, und ich kann nachvollziehen, dass das persönlich eine belastende Situation ist, wenn deine Familie bedroht wird. Der neue Vorstand hat Vereinbarungen mit ihnen getroffen, sie haben diesen Kriminellen Karten um zehn Euro verkauft. Das war ein richtiger Skandal in der Presse.

Hinter Ihnen hängt die katalanische Fahne. Was bedeutet der FC Barcelona für Katalonien?

Der FC Barcelona ist die wichtigste Sportinstitution unseres Landes, er war immer der Klub Kataloniens. Während der Diktatur war unser Stadion ein Forum, wo Katalanen ihre Identität, ihre Fahnen, ihre Sprache und ihr Nationalbewusstsein pflegen konnten. Hier werden Tradition, Demokratie und Emotionen hochgehalten. Heute ist der FC Barcelona sehr wichtig, um die katalanische Identität in die Welt zu tragen. Und zugleich ist unser Land sehr wichtig für den Klub. 85 Prozent unserer Mitglieder sind Katalanen.

Ist es Barcas Verdienst, dass die Unabhängigkeitsbewegung heute so stark ist?

Das hängt davon ab, ob der Vorstand diese Idee nach vorn treibt. In meinem Modell war Katalonien eine der tragenden Säulen, weil die Identität ein wichtiger Erfolgsfaktor für einen Fußballklub ist. Die Spieler müssen unsere Institutionen, unsere Sprache und unsere Geschichte respektieren.

Dennoch sprechen die Spieler wenig über Katalonien.

Das ist ihre Privatangelegenheit. Sie leben hier, arbeiten hier und haben hier Fans. Aber sie haben nicht die Verantwortung, unsere Identität zu entwickeln. Das liegt bei den Funktionären – und natürlich bei den Fans, die wirklich sehr engagiert sind. Sie fordern immer in Minute 17.14 die Unabhängigkeit, ich natürlich auch.

Sie haben also kein Problem mit einem Spieler wie Oleguer Presas, der seine katalanische Identität stark betont hat und nicht für das spanische Nationalteam spielen wollte.

Ich war mit Oleguer sehr glücklich. Seine Entscheidung müssen wir respektieren, er ist Katalane. Aber auch hier liegt die Verantwortung nicht bei ihm, das ist eine politische Frage. Wichtiger als eine individuelle Entscheidung ist, dass wir eine katalanische Nationalmannschaft bekommen. Barcelona übernimmt historisch diese Rolle. Darüber bin ich aber nicht sehr glücklich, weil wir eigentlich ein Nationalteam bräuchten, das 
in offiziellen Turnieren mitspielen darf. Zum Glück weiß die katalanische Bevölkerung, dass wir dazu einen Staat brauchen.

Nicht immer. Schottland ist auch ein eigener Verband.

Ja, weil Großbritannien das akzeptiert hat, aber der spanische Staat will nicht, dass wir ein UEFA- oder FIFA-Mitglied werden. In Spanien wird sogar die Legitimität unserer Volksabstimmung infrage gestellt, obwohl die Mehrheit der katalanischen Bevölkerung beschlossen hat, dass sie über die Unabhängigkeit entscheiden will. Wenn die Abstimmung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht erlaubt werden sollte, heißt das, dass die Verfassung nicht demokratisch ist. Hier geht es um das Wahlrecht, doch offenbar halten die Spanier nichts vom Recht auf Selbstbestimmung.

Verfolgen Sie die Weltmeisterschaften?

Ja, ich liebe Fußball.

Wen unterstützen Sie?

Traditionell gefallen mir die Niederlande und Brasilien, weil sie einen guten Fußball spielen. 1974 hat das "Clockwork Orange" um Johan Cruyff die Leute begeistert, obwohl sie nicht gewonnen haben. Ich unterstütze das Team, das besser spielt als die anderen.

Auch wenn es Spanien heißt?

Bei der WM in Südafrika war Spanien das beste Team und hat verdient 
gewonnen. Sie haben wie Barcelona gespielt, ich musste dieses Team also unterstützen. Ich habe auch ein paar Freunde im spanischen Verband, für die ich mich gefreut habe. Ich will, dass die Leute glücklich sind. Wenn die Spanier glücklich sind, freue ich mich für sie – obwohl ich es als Katalane lieber sehen würde, wenn mein Volk glücklich wäre: mit einem Nationalteam und einem Staat.

Wann kommt es zur Unabhängigkeit?

Ich hoffe, dass wir die Volksabstimmung 2014 abhalten werden. Dabei wird sicher die Mehrheit für die Unabhängigkeit stimmen. Ich hoffe, dass diese Entscheidung dann vom spanischen Staat anerkannt wird. Wenn nicht, muss ihn die internationale Gemeinschaft dazu zwingen, die Katalanen zu respektieren. Die Unabhängigkeit ist für unsere Zukunft ganz wesentlich, denn der spanische Staat funktioniert nicht – weder für die Katalanen noch für die Spanier.

Wollen Sie Teil der EU werden?

Natürlich. Ein unabhängiges Katalonien wird ja nicht von der Landkarte 
ausgeschnitten und nach Australien transferiert. Wir erfüllen alle Anforderungen der europäischen Gemeinschaft. Wir werden die Währung nicht ändern und keine Grenzen bei der Freizügigkeit von Kapital und Arbeit setzen.

Was heißt das für den Fußball? Wird es eine katalanische Liga geben?

Eine katalanische Liga wäre sicher sehr stark, vielleicht wäre es aber auch interessant, eine Liga der iberischen Staaten zu gründen – mit Katalonien, dem spanischen Staat, dem Baskenland und Portugal, falls sie das wollen.

Glauben Sie wirklich, dass der spanische Verband das akzeptieren würde?

Die Dinge werden sich ändern müssen. Es gibt Beispiele für Teams aus einem Land, die an der Meisterschaft eines anderen Landes teilnehmen – etwa Monaco. Ich wäre gerne in der Situation, mir darüber Gedanken zu machen, aber zunächst braucht es die Abstimmung.

Hans Krankl hat einmal gesagt, dass er Katalane sei. Erinnern Sie sich so an ihn?

Er ist ein perfektes Beispiel für einen Spieler, der unsere Identität verstanden und respektiert hat. Über die Katalanen heißt es, dass sie sich nur schwer öffnen, dann aber sehr solidarisch sind. Hansi hat diese Liebe der Katalanen gespürt, als seine Frau einen schweren Autounfall hatte. Aber auch sportlich war er wichtig. Ich war als Jugendlicher ein großer Fan von ihm, die damalige Mannschaft hat uns 1979 mit dem Sieg im Cup der Cupsieger einen wichtigen Titel geschenkt. (Klaus Federmair & Jakob Rosenberg, ballesterer/derStandard.at, 11.12.2013)