Es ist eh niemandem aufgefallen. Wenn an die hundert amtierende oder ehemalige Staats- und Regierungschefs Nelson Mandela, einer der größten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, die letzte Ehre geben, wer vermisst da schon einen Repräsentanten des unbedeutenden Österreich? So gesehen könnte man die Entsendung des Bundesratspräsidenten Reinhard Todt als Ausdruck angemessener Bescheidenheit interpretieren. Schließlich kennt ihn auch hierzulande kaum jemand. Da ist es dann auch schon egal, dass Todt wegen anderweitiger Verpflichtungen erst am Tag nach dem Höhepunkt der Trauerfeiern in Südafrika eintrifft.

Bundespräsident Heinz Fischer hat Mandela als "Lichtgestalt der Menschlichkeit, der Weisheit und der Toleranz" gewürdigt. Zur Zeremonie in Johannesburg ist er nicht gereist. Stattdessen nimmt er am zweitägigen Festakt zum 100. Geburtstag von Willy Brandt in Lübeck teil. Dort trifft er heute seinen deutschen Amtskollegen Joachim Gauck - der gerade aus Johannesburg zurückgekehrt sein wird.

Man kann natürlich akzeptieren, dass auch einem überparteilichen Bundespräsidenten das sozialdemokratische Hemd näher ist als der österreichische Staatsrock. Man kann auch der Meinung sein, auf formelle Repräsentation komme es gar nicht an; vielmehr gehe es darum, das Erbe Mandelas in der politischen Praxis wie im Alltag zu leben.

Der Name Mandela steht nicht nur für Unbeugsamkeit und Versöhnung, sondern auch für visionäres Denken. Insofern ist das Verhalten des offiziellen Österreich allerdings zutiefst symptomatisch. Weil die Koalitionsverhandlungen in der Endphase stehen, halten sich die Spitzen beider Parteien, die auch die jeweiligen Spitzen in der Regierung sind, für unabkömmlich. Dass es der künftigen Regierung indes um irgendeine Art von Vision geht, ist nicht einmal ein Gerücht. Und wenn es eines wäre, würde es nicht geglaubt.

Wo steht dieses kleine Land heute im globalen Wettbewerb? Wo sind seine Schwächen, die es zu beseitigen, wo seine - unzweifelhaften - Potenziale, die es zu nutzen gilt? Wo wollen wir in fünf, zehn Jahren stehen? Wie schaffen wir es, möglichst viele Menschen aktiv in eine gesamtösterreichische Entwicklungsstrategie einzubeziehen? Viele, auch kleine Gemeinden sind heute dabei, unter aktiver Bürgerbeteiligung Leitbilder für ihre Zukunft zu entwickeln. An der "großen" Politik geht dies spurlos vorbei.

Diesen inneren Verhältnissen entsprechen konsequenterweise die Darstellung nach außen wie das Agieren auf internationalem Feld. Von einer strategisch ausgerichteten, geschweige denn visionären Außenpolitik kann spätestens seit den Umwälzungen auf dem Balkan und der damals um- und weitsichtigen Diplomatie Wiens keine Rede mehr sein.

Außenpolitik ist, in welcher Partei immer, längst keine Chefsache mehr. Wenn jetzt der junge Sebastian Kurz als künftiger Außenminister gehandelt wird, ist auch dies bezeichnend. Bei aller Anerkennung für seine Leistungen als Integrationsstaatssekretär: Die Europa- und die internationale Politik sind eine andere Liga. Sollte das Kalkül dahinter stehen, in der Außenpolitik könne man nichts falsch machen, weil das den Leuten eh wurscht sei, dann wäre dies erst recht entlarvend. Kurz aber ins kalte Wasser zu stoßen, um zu sehen, ob er schwimmen kann, wäre nur ein anderer Ausdruck der gleichen Gesinnung.  (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 11.12.2013)