Der Schriftsteller Martin Prinz und die Gerätschaft seiner Träume, eine "Bezzera unica".

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Es fing alles mit dem Wort "Siebträger" an. Es gibt solche Wörter. Sie verstellen den Blick. Auf einmal ist da nur noch das Wort, wo vorher ein Wunsch oder eine Vorstellung war. In meinem Fall ging es um eine Maschine. Seit langem war sie mein Wunsch gewesen. Sie sollte Espresso erzeugen, wie man ihn in Italien im Stehen trinkt.

Einmal in meinem Leben wollte ich eine derartige Maschine. Näher beschäftigte ich mich damit nicht. Schließlich verdiente ich mein Geld nicht mit Credit Default Swaps, sondern bloß mit Geschichten aus Buchstaben. Weshalb ich jene tausend Euro, die eine solche Maschine kostete, nicht einfach so aus der Tasche ziehen konnte, ohne dass sie mir sonst wo auf grundsätzliche Weise fehlten.

Schwarzer Espresso

Also blieb ich bei meinem Kocher von Bialetti, wobei ich über all die Jahre nie eine "Moka-Express" verwendete, sondern immer die "Brikka", deren zusätzliches Ventil beinahe Espresso-ähnlichen Druck und stets eine schöne Crema erzeugt. Zum ersten Mal erworben hatte ich sie in einem Geschäft, in dem es nicht nur die besten Kaffeesorten für die Brikka gab, sondern auch jene einzigen Maschinen, mit denen man auch zu Hause richtigen Espresso erzeugen konnte - sogenannte Siebträgermaschinen mit "Faema-Brühgruppe".

All die Jahre hatte ich diese Begriffe nicht gekannt und sah auch an den chromblitzenden Geräten stets geflissentlich vorbei. Bis mir zum Geburtstag ein Gutschein geschenkt wurde, auf dem eine Maschine aufgezeichnet war, aus der dicker, schwarzer Espresso herauskam.

So landete ich im Internet vor dem Wort "Siebträgermaschine" sowie Beschreibungen der Funktionsweise und Geschichte der "Faema-Brühgruppe". Ähnlich jener Internet-Recherchen aber, bei denen man anstatt eines Arztbesuches all die Symptome eingab, die einen seit Monaten bereits stille Furcht einjagten, bevor man dann vor der elektronischen Diagnose von Krebs oder einer bislang unbekannten Autoimmunerkrankung saß, war auch das Ergebnis bei meinen Erkundigungen eher schrecklich.

Espresso zu Hause

Die Krankheiten im Zusammenhang mit meiner Wunschmaschine hießen: fehlende Crema, tröpfelnder Ausfluss, bitterer Kaffee, schaler Geschmack - alles, was man sich an Enttäuschungen nur vorstellen wollte. Ich wollte es nicht glauben, tat im Nichtglauben auch mein Möglichstes und war trotzdem erschreckt. Sollte mein so lange unerfüllbarer, ja im Grunde beinahe undenkbarer Wunsch nach einem Espresso zu Hause, gerade jetzt, da er zum Greifen nah schien, zu einer einzigen Enttäuschung werde

Denn gänzlich fremd war mir das nicht, was ich über die jeweiligen Odysseen zu richtiger Kaffeeauswahl, Mahlstärke, zu Füllmenge sowie Fülldruck las. So hatte ich etwa vor ein paar Jahren - ich wohnte damals am anderen Ende des Landes, an dem die Leute alles nur zu genau nahmen - vom Lebensgefährten einer Bekannten erzählt bekommen, dass dieser aus der Erzeugung eines guten Espresso eine richtige Wissenschaft mache.

Heimlich hatte ich mir angesichts eines solchen Aufwandes damals noch gedacht, wie froh ich um meine Brikka war. Schließlich sollte ein Espresso nicht mehr als zwei, drei schlafwandlerisch sichere Handgriffe benötigen. Nur so passte es zu diesem kleinen, zauberhaft starken Getränk, bei dem schon das Wort "trinken" irreführend war.

Nun starrte ich auf das Wort "Siebträgermaschine" und andere Fachbegriffe, und meine damalige Häme holte mich schon ein. Also tat ich das einzige mir Mögliche, trat die Flucht nach vorn an und ging stante pede in das Geschäft meines Kaffee-Vertrauens.

Eine nach der anderen, so standen sie hier, entlang der Wand. Endlich musste ich nicht mehr wegsehen, das Chrom der Maschinen blitzte in meine Augen, und es gab nicht viel zu sagen.

Traumhafte Handbewegung

Ich benötigte keine zwei Wasserkreisläufe, wie es bei regelmäßiger Herstellung von Cappuccini hilfreich war, war jedoch froh, als ich von der digitalen Temperatursteuerung und -anzeige bei einer der beiden zur Auswahl stehenden Maschinen hörte. Zusammen mit einer verlässlichen Mühle blieben damit nur die Menge des Kaffees sowie die Stärke der eigenhändigen Vorpressung als mögliche Knackpunkte.

Neben mir ging die Fachkraft im Geschäft meines Vertrauens bereits daran, den Kaffee für eine Testportion zu mahlen, zu pressen und einzuspannen. Allesamt Handbewegungen, wie ich sie nicht nur aus italienischen Bars kannte, sondern nun auch jede zweite Nacht träumte. Ohne das Wort Siebträger und ohne all die Jammereien und Beschwerden aus Internetforen. Stattdessen gab es darin nur das Klack-klack meiner Handbewegungen, das Rauschen der Maschine - und dann, ein feiner, dicker Strahl. Stopp. Ristretto.

Aber was geschah im Geschäft meines Kaffeevertrauens? Die Fachkraft musste einen Fehler gemacht haben. Der Kaffee tropfte lediglich und schmeckte verbrannt. Nicht nur beim ersten Versuch, beim zweiten auch. Ich ging.

Eine knappe Woche später kam ich wieder. Aller guten Dinge sind vielleicht ja zwei. Diesmal war es eine andere Fachkraft, und diesmal erzeugte sie auch, wovon meine Kaffeeträume handelten. Noch am selben Tag kaufte ich die entsprechende Maschine inklusive Mühle - und zwei Tage später stand sie bei mir zu Hause. Auch ihren genauen Platz hatte ich bereits geträumt. Einfach so: klack, klack ... (Martin Prinz, Rondo, DER STANDARD, 13.12.2013)