Die Weihnachtsfeiertage eignen sich nicht nur zum Schenken, sondern auch zum selber lesen! Hier finden Sie ein paar Tipps aus der dieStandard.at-Redaktion:

Welcome Winterdepression

Die Schwestern Sarah und Emily Grimes führen zwei Leben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Obwohl ihnen die 50er Jahre nicht sehr viel Gestaltungsmöglichkeiten bieten, scheinen beide so zu leben, wie sie es sich wünschen. Die eine am Land mit drei süßen Kindern, die andere in der Großstadt mit vielen Affären und einem fordernden Beruf. Und doch machen sich auf einmal die glücklichen Tage rar, egal welches Leben eingeschlagen wurde. Was einmal euphorisch und mit Überzeugung begann, ist zur Last geworden, die die beiden Frauen nicht mehr loswerden. Mit den Jahren verschwinden auch die Möglichkeiten zur Veränderung, weil sich durch jahrelange Einübung des eigenen Lebens jede Handlung, jedes Wort zu verselbständigen scheint.

Die Gründe dafür, warum die Figuren des US-amerikanischen Autors Richard Yates derart in ihrem Leben festsitzen, sind so banal wie kompliziert und unüberwindbar – genau die richtige Abwechslung zwischen all den hemdsärmeligen Tipps zum "richtigen" Leben.

Richard Yates: Eastern Parade.
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube.
Btb Verlag, München 2008,
304 Seiten, 9,30 Euro
(beaha)

Foto: btb verlag

Klassiker reloaded

2013 jährte sich das Erscheinen von Sylvia Plaths "Die Glasglocke" zum 50. Mal. Und ebenso ihr Todestag am 11. Februar. Nur vier Wochen, nachdem der Roman erschienen ist, nahm sich die erst 30-jährige Autorin das Leben.

Zum diesjährigen Jahrestag hat der Suhrkamp Verlag den Klassiker mit dem Cover von Shirley Tucker aus dem Jahre 1966 und in der Übersetzung von Reinhard Kaiser von 1997 neu aufgelegt. Ein guter Grund, sich diese schöne Ausgabe zu besorgen und den stark autobiographischen Roman wieder zu lesen. Mit Romanheldin Esther Greenwood teilte sich Plath traumatische Erfahrungen in einer psychiatrischen Anstalt wie auch ein Leben zwischen literarischem Eifer, schweren Depressionen und Selbstmordversuchen.

Dass Plath später in ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau auch kein Glück fand, lässt sie Esther auch sehr deutlich ausrichten: "Es sei vielleicht wirklich wie Gehirnwäsche, wenn man verheiratet war und Kinder hatte, und man lief dann nur noch dumpf wie ein Sklave in einem privaten, totalitären Staat herum".

Sylvia Plath: Die Glasglocke.
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. Vorwort von Alissa Walser.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013,
262 Seiten, 22,95 Euro
(beaha)

Foto: suhrkamp verlag

Kunst und die Frauenbewegung

Seit den späten 1990ern beschäftigt sich die Kunsthistorikerin Monika Kaiser mit Künstlerinnenaustellungen, die der Geschlechterdiskrepanz im Ausstellungswesen etwas entgegenhalten wollten. Diese zeigt sich auch heute noch in einer verbreiteten inhaltlichen Abwertung: Beschäftigen sich Künstlerinnen etwa mit dem Thema Körper oder anderen der Privatsphäre zugeordneten Inhalten, werden diese Arbeiten gerne als "Frauenkunst" diskreditiert.

Kaiser forschte in ihrem Buch den Verbindungen zwischen den Anfängen der Frauenbewegung der 70er-Jahre und feministischen Kunstausstellungen nach. Die Autorin führt die LeserInnen über klassische feministische Fragestellungen in der Kunst - etwa zur "Brisanz des Privatraums" - und Koalitionen mit ersten institutionalisierten Kampagnen wie dem Internationalen Jahr der Frau 1975 bis in die späten 1980er und macht dabei immer wieder in Wien halt; etwa um VALIE EXPORTs dezidiert feministische künstlerische Arbeit im Kontext des Wiener Aktionismus zu beleuchten.

Monika Kaiser: Neubesetzung des Kunst-Raumes. Feministische Kunstaustellungen und ihre Räume, 1972- 1987.
Transcript Verlag, Bielefeld 2013,
298 Seiten, 36 Euro
(beaha)

Foto: transcript verlag

Liebe ist nicht genug

Die Historikerin Anna muss erst zwei Kinder bekommen, um zu bemerken, dass sie das Muttersein eigentlich gar nicht so gern mag. Ihre Erkenntnis: "Liebe ist nicht genug, wenn es um Kinder geht".

Da wären nämlich noch der Schlafmangel, die geringe Zeit für die eigene Karriere und der Mann, der sich mehr für die eigenen wissenschaftlichen Fragen interessiert, als für die Familie.

Trotz des trüben und etwas angegrauten Plots ist "Schlaflos" jedoch eine Komödie, die angenehm nüchtern das Dilemma von Familie und Selbstverwirklichung erzählt. Hinzu kommt die historische Ebene, die die schottische Autorin Sarah Moss gekonnt in Form von Annas Forschungsprojekt zum Thema "Kindheit im 18. Jahrhundert“ einfließen lässt. Als dann auf der einsamen Insel, auf der die Familie lebt, noch ein uraltes Baby-Skelett gefunden wird, scheint sich Annas Leben und ihre wissenschaftliche Forschung auf unheilvolle Weise miteinander zu verquicken.

Sarah Moss: Schlaflos
Aus dem Englischen übersetzt von Nicole Seifert
Mare Verlag, Hamburg 2013
490 Seiten, 22,70 Euro
(freu)

Foto: Mare Verlag

Pop-Karrieren

Sie hat eine unvergleichliche Stimme, die sogar Steine zu einer Reaktion bewegen kann, und ihre Hits "Missing" (1995) und "Protection" sind allen 90ies-Sozialisierten sowieso zeitloses Kulturgut:

Die Rede ist von der britischen Musikerin und Sängerin Tracey Thorn, die in diesem Jahr ihre Autobiographie "Bedsit Disco Queen" herausgebracht hat. Fans gewährt sie darin Einblicke in ihre zarten, wenngleich schon sehr erfolgreichen musikalischen Anfänge bei der all-girl Band "Marine Girls", ihren Umgang mit dem musikalischen Lebensprojekt "Everything but the Girl" und ihren Anteil bei diversen Seitenprojekten, wie zum Beispiel "Massive Attack".

Das Buch geizt dabei nicht mit klugen Überlegungen zur Post-Punk-Ära, die sie selbst mit ihrem musikalischen Schaffen mitprägte, sowie dem Umstand als Frau und Feministin Musik zu machen. Mit ihrem Mann, Ben Watt, spielte sie Jahrzehnte in derselben Band: wie das gehen kann, beschreibt sie ebenfalls in ihrer Autobiographie.

Fazit: "Bedsit Disco Queen" ist nicht nur für Hardcore Fans von Tracey Thorn interessant, sondern auch für all jene, die sich grundsätzlich für das (politische) System Pop Musik interessieren.

Tracey Thorn: Bedsit Disco Queen. How I grew up and tried to be a pop star
Virago Press, London 2013
360 Seiten, 33 Euro
(freu)

Foto: Virago

Widerspenstige Verhältnisse

Dass nach der Elternwerdung nichts mehr so bleibt wie es ist, gilt als Binsenweisheit. Nur was genau sich verändert und wie die Betroffenen damit umgehen (sollen), darüber gibt es wenig geschriebenes - vor allem für Leute, die sich selbst am ehesten einer linken Subkultur zurechnen. Die Anthologie "The Mamas and The Papas" hat sich die Aufgabe gestellt, genau diese Lücke zu füllen. Neben wissenschaftlichen Abhandlungen finden sich darin auch Erfahrungsberichte von Jung-Eltern und auch der Promi-Faktor kommt nicht zu kurz. In einem Doppel-Interview geben etwa Almut Klotz (Ex-"Lassie Singer") und Frank Spilker (Sänger bei "Die Sterne") Einblick in ihre höchstpersönliche Elternwerdung.

Letztere sind ein Beispiel dafür, dass sich ein Leben in der nächtlichen Öffentlichkeit mit Kindern vielleicht nicht gut, aber doch irgendwie vereinbaren lässt. Mit Beiträgen von u.a. Lisa Malich (zu Müttermythen), Sonja Eismann (über die Schwierigkeit, Elternschaft in einem queerfeministischen Kontext zu politisieren) und Frank Apunkt Schneider (über "ideologisch belastete Muttermilch"). (freu)

The Mamas and the Papas. Reproduktion, Pop & widerspenstige Verhältnisse
Hg: Annika Mecklenbrauck, Lukas Böckmann
Ventil Verlag, Berlin 2013,
277 Seiten, 14,90 Euro (D)

Foto: Ventil Verlag

Das Problem mit dem Alleinvertretungsanspruch

Die jüngsten Entwicklungen rund um die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Änderungen zum Thema Prostitution in Deutschland zeigen: Alice Schwarzer erreicht etwas. Aber es ist dieser Alleinvertretungsanspruch, der Miriam Gebhardt stört. Die Journalistin und Historikerin zeigt in ihrem Buch "Alice im Niemandsland: Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor" auf, dass es viele andere Themen gäbe, für die es sich aus Frauensicht zu kämpfen lohnte: etwa bessere Kinderbetreuung. Gebhardt findet auch die Sichtweise, dass Frauen immer die Opfer seien, überholt. Ihr Urteil: "Die deutsche Frauenbewegung ist zum Ein-Punkt-Programm geschrumpft, und das heißt Alice Schwarzer. Was zur Konsequenz hat, dass, sollte sie einmal abtreten, ein seit den frühen siebziger Jahren nicht mehr gelüfteter Feminismus übrig bleibt."

Das Buch ist kritisch, aber keine reine Abrechnung. Die Verdienste Schwarzers werden ebenfalls hervorgehoben.  Das Buch eröffnet vielmehr Perspektiven auf verschiedene Strömungen der Frauenbewegungen, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist auch ein Aufruf an jüngere Frauen, sich zu engagieren und sich darüber Gedanken zu machen, was Gleichberechtigung in der heutigen Realität heißt.

Miriam Gebhardt: Alice im Niemandsland
Deutsche Verlagsanstalt 2012
352 Seiten, 20,60 Euro
(afs)

(red, dieStandard.at, 11.12.2013)

Foto: Deutsche Verlags-Anstalt