Sehr geehrter Herr Spindelegger, ich bin 40 Jahre alt, Mutter eines siebenjährigen Sohnes, Vollzeit berufstätig als Ärztin. Ich habe das österreichische Schulsystem in vollem Ausmaß "genossen". Vier Jahre Volksschule, drei Jahre Gymnasium bei den Ursulinen in Wien, weitere fünf Jahre am Heimatgymnasium und schließlich sechs Jahre Studium der Humanmedizin an der Universität Wien.

Ich bin also Teil dieser "Elite", die Sie glauben durch Gymnasien ab zehn Jahren erhalten zu können. Und jetzt Frage ich: Wie kommen Sie auf die Idee, die Gesamtschule abzulehnen? Seit Jahren wird Österreich in der Pisa Studie immer schlechter. Das Argument, dass nicht gelehrt wird, was in diesem Test abgefragt wird, ist ja schon Hinweis genug dafür, dass in unserem Schulsystem vieles nicht stimmt. Denn warum werden diese Inhalte, die auf logisches Denken und Zusammenhänge abzielen, nicht vermittelt? Selbst die österreichische Wirtschaft verlangt umfangreiche Reformen des Schulsystems, weil Sie wissen, dass wir so nicht wettbewerbsfähig bleiben können.

Jeden Tag erlebe ich in meinem nahen Umfeld, wie Kinder unter Druck gesetzt werden mit zehn Jahren ins Gymnasium zu kommen, was damit enden kann, dass diese heillos überfordert sind.

Worum geht es?

Dafür sind Politiker wie Sie verantwortlich, weil Sie trotz Ihrer so elitären Bildung nicht verstanden haben, worum es wirklich geht. Es geht hier nicht um Gleichmacherei. Wir alle wissen, dass Menschen nicht gleich sind auch nicht gleich intelligent, aber wir wissen auch, dass Kinder aus gut gebildeten Familien eher in Gymnasien landen als Migrantenkinder oder Kinder unterer Einkommensschichten, obwohl da sehr wohl Kinder dabei sind, die intellektuelles Potenzial hätten.

Gymnasium wird schlechter

Wenn Sie sich schon einmal ernsthaft mit diesem Thema auseinandergesetzt hätten, wüssten Sie, dass Kinder aus guten Gesamtschulen zu einem weitaus höherem Prozentsatz maturieren als Kinder aus dem klassischem Schulsystem. Andererseits stopft unsere intellektuelle Elite ihre nicht immer so elitären Kinder auf Gedeih und Verderb in Gymnasien, deren Qualität dadurch immer schlechter wird (im städtischen Bereich, denn im ländlichen Bereich ist Gesamtschule ohnehin schon immer Realität, da die Gymnasien oft viel zu weit entfernt sind ).

Mir ist vollkommen unverständlich, wie gebildete Menschen wie Sie, eine derartige Realitätsverweigerung betreiben können. Es ist frustrierend und deprimierend zu wissen, dass Ihnen und Ihrer Ideologie mein Kind zum Opfer fällt. Das nehme ich wirklich persönlich. Es geht nicht darum, Gymnasien abzuschaffen. Es geht darum, später zu differenzieren, denn in Volksschulen werden ja auch unterschiedlich intelligente Kinder zusammen unterrichtet und dort wo genug Geld investiert wird, funktioniert das sehr gut. Danach gibt es weiterhin Ihr Gymnasium, nur dass dann mehr Kinder dort hingehen können und unser Potenzial, beziehungsweise das unserer Kinder, besser genützt werden kann.

Gute und schlechte Beispiele

In Ländern wie Polen und Finnland wird das seit Jahren äußerst erfolgreich umgesetzt. Der Verweis auf nicht funktionierende Gesamtschulen in Deutschland ist darauf zurückzuführen, dass es nicht gut gemacht wird und zu wenige Lehrer für zu viel Kinder da sind. Es muss klar sein, dass gute Schulen Geld kosten, denn ein Lehrer kann nicht eine Klasse mit 25 Kindern unterrichten, aber es geht um unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder, sparen muss und kann man woanders (Verwaltung, Gesundheitssystem, Föderalismusreformen, ...).

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass im gleichen derStandard.at, in dem Sie wieder mit einem klaren Nein zur Gesamtschule der 10-14 jährigen auftreten, die Gesamtschule Klex in Graz zur besten Schule Österreichs gewählt wurde. Wie argumentieren Sie das? So schlecht kann die Gesamt- und Ganztagsschule gar nicht sein.

Erfahrungen

Mein Sohn beispielsweise geht heuer in die erste Klasse Volksschule, die das erste Jahr im Rahmen eines Schulversuches als Ganztagsschule geführt wird und es ist unglaublich, wieviel Spaß ihm die Schule macht. Und das obwohl er ungeheuren Bewegungsbedarf hat, ungern ruhig sitzt und sehr lebhaft ist. Um 15:00 könnte ich ihn abholen, das möchte er aber nicht, da es so lustig ist und er noch gerne mit seinen Freunden aus dem Hort Fußball spielen möchte.

Keine Rede also von dem armen Kind, das den ganzen Tag die Schulbank drücken muss. In der verschränkten Unterrichtsform der Ganztagsschule wechseln sich, wie Sie wissen sollten, Unterricht und Freizeit ab. Die Kinder haben jeden Tag Turnen, gehen in den Freizeitstunden gemeinsam auf den Spielplatz, sind in den Lernstunden dann deutlich leistungsfähiger und die Klassengemeinschaft ist viel enger. Wenn er nach Hause kommt, können wir unsere Zeit intensiv gemeinsam nützen ohne uns noch über Schule, Lernen oder Hausaufgaben Gedanken machen zu müssen. Ganz im Gegenteil zu seinen Freunden aus dem klassischen Modell.

Insgesamt also ein Erfolgskonzept, das Sie zu verhindern suchen. In der Hoffnung in Ihnen einen diskursfähigen Partner gefunden zu haben, der von seiner elitären Ausbildung profitiert hat und nicht länger mit Ideologie sinnvolle Weiterentwicklung eines vollkommen veralteten Systems blockiert, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen. (Leserkommentar, Nina Doruska, derStandard.at, 9.12.2013)