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Weihnachten ist zum Fest der Geschenke geworden.

Foto: AP/Franka Bruns

Hamburg - Die Vorbereitungen für Weihnachten laufen bereits auf Hochtouren: Viele Menschen hetzen aus den Geschäften zum Weihnachtsmarkt, vom Weihnachtskonzert zur Feier in Job, Verein oder Schule. Geschenke werden gesucht, Karten geschrieben, Menüfolgen und Besuche geplant. Jeder Dritte empfindet die Zeit vor und während des Festes als puren Stress. Weil die Erwartungen zu hoch sind, weiß Philipp Y. Herzberg, Persönlichkeitspsychologe an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg.

Nicht Tablet-PCs, Smartphones, Spielkonsolen oder Bücher sind die wahren Weihnachtsgeschenke, sondern die Stunden, die in Harmonie verbracht werden. "Jeder von uns sehnt sich danach, doch wie wir sie erreichen, scheinen wir vergessen zu haben. Das Hamsterrad Alltag scheint sich viel zu schnell zu drehen," sagt Herzberg. Viele fühlen sich von den Vorbereitungen zum Fest gestresst, Ruhe und Besinnlichkeit werden vermisst.

"Weihnachten ist ein klassischer Kumulationspunkt. Das Jahr geht zu Ende und man will guten Gewissens all das erledigt haben, was man sich für das Jahr vorgenommen hatte", sagt Herzberg. Zusammen mit den eigenen Erwartungen an das Fest und denen, die von anderen an uns herangetragen werden, entwickelt sich eine mitunter explosive Mischung, die sich oft ausgerechnet an den Feiertagen entlädt: "Alle machen mit und suggerieren, dass Weihnachten das Fest der Liebe und der Geschenke ist", benennt der Experte das Problem. 

Flexibel agieren

Bedingungslos ergeben sich die Menschen dem aufgeheizten Konsumrausch. Großeltern übertrumpfen sich gegenseitig mit immer größeren, wertvolleren Geschenken, Tante, Onkel und Cousinen machen mit. Damit verbunden ist mitunter auch die Vorstellung, zu Weihnachten könnten Sympathien erkauft werden beziehungsweise all das wieder gut gemacht werden, was man im Laufe des Jahres falsch gelaufen ist. Die Werbung tut dazu das ihre, um diese Illusion zu stützen. Dem massenpsychologischen Phänomen, kann sich kaum jemand entziehen, so der Psychologe.

Gerade deshalb sei es wichtig zu erfassen, welche Zwänge hier wirken. Wer Vorbereitungen für das Fest nach strengem Plan abarbeitet, läuft Gefahr, sich unnötigem Druck auszusetzen. "Besser ist es, ein Grundgerüst zu planen, in dem man spontan und flexibel agieren kann. Sonst wird der Plan schnell zu einem neuen Stressfaktor," sagt Herzberg.

Ein Spaziergang in der Natur, gemeinsames Kaffeetrinken mit der Familie, Basteln mit den Kindern. "Gerade dieses haptische Erleben ist für Kinder sehr wertvoll, weil sie ihre kreativen Ideen ausleben und einmal nicht beschallt werden, " so Herzberg. Dem Zwang alles mitzumachen, was Konsumfirmen und Werbung suggerieren kann sich jeder entziehen. Erwartungen anderer müssen auch nicht erfüllt werden. "Wer es wagt, Traditionen zu brechen und etwas Neues auszuprobieren, erlebt oft etwas Einzigartiges", ermutigt der Herzberg. Sei es, indem die Weihnachtsfeier im Kreise der Familie gegen ein Essen mit Freunden oder eine Urlaubsreise eingetauscht wird, oder statt eines perfekten Diners ein Buffet auf die Gäste wartet. 

Neuralgische Punkte

Das gilt auch für wiederkehrenden Familienzwiste: "Nehmen Sie sich gemeinsam mit dem Partner Zeit, schon zwei Wochen vor dem Fest die neuralgischen Punkte aus der Vogelperspektive zu betrachten. Fragen Sie sich, welche Streitigkeiten jedes Jahr aufs Neue auftreten und wie sie zu vermeiden wären. Oft genügt es, an einem kleinen Rädchen zu drehen, damit sich das Gefüge neu entwickelt," sagt der Psychologe.

Weihnachten ist das Fest der Liebe. In den Medien wird es perfekt inszeniert. Viele setzt diese Scheinwelt unter Druck, weil sie sich eine ähnliche Harmonie und Idylle unter dem Tannenbaum wünschen. Herzberg rät abschließend zu mehr Gelassenheit: "Mit Weihnachten verhält es sich ähnlich wie mit der Vorfreude auf den Urlaub. Sind die Erwartungen nicht zu hoch geschraubt, ist das Fallpotential geringer." (red, derStandard.at, 9.12.2013)