Wenn das Gehirn neuroplastische Botenstoffe ausschüttet, dann macht Lernen happy: Gerald Hüther.

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Wer hat sie nicht, die tief eingeprägte Lernerfahrung aus der Schule: Alle sitzen und sollen tun, was jemand da vorn sagt. Danach wird abgeprüft, bewertet, aussortiert. Macht wenig Lust, sich später freiwillig ins Lernen zu begeben. Der deutsche Hirnforscher Gerald Hüther, der in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen seit Jahren von der Vorstellung erlöst, man habe irgendwann ausgelernt und das Hirn sei irgendwann fertig, tourte im November durch Österreich in Sachen hirngerechtes Lernen in der Schule - und machte sich nicht nur Freunde, auch im deutschen Feuilleton nicht.

Er trägt die Anwürfe gefasst und rückt nicht ab von seinem Anliegen, "Wissenschaft für eine liebevollere Welt" zu betreiben. Da hatte er es im neuen Gebäude der UniCredit Academy am Wiener Kaiserwasser vergleichsweise leicht mit seinen Botschaften. Ziel der Veranstaltung: Freudvolles Lernen in die Academy zu bringen, die Führungskräfte dazu in eine angemessene und ermöglichende Haltung zu bringen.

Räume schaffen

Grundsätzlich, so Hüther, gehe es darum, Räume zu schaffen, in denen sich Menschen gesehen, beachtet, fühlen, in die sich Menschen eingeladen fühlen. Geradeheraus fragen die Führungskräfte: Und wenn ich jemanden so gar nicht leiden kann? Wie kann ich den dann einladen? Auch da gibt es Konzepte: Man suche einen einzigen Aspekt an dem so sehr nicht gemochten Menschen, der einem gefällt, den man mag. Man lade diesen einen Aspekt ein - "und oh Wunder, der ganze Mensch kommt mit, denn der erlebt auch erstmals, von seinem Chef eingeladen zu werden, statt als Objekt gemanagt zu werden".

Jedes Kind, doziert Hüther so, dass es ankommt, könnte etwas Besonderes werden. Das Lehrsystem sei aber so beschaffen, dass es für viele dumm laufe. "Wir bleiben also Kümmerversionen dessen, was wir sein könnten." Als Beleg nennt er den Dogmenwechsel zum Thema Trisomie 21. Früher wurden diese "Mongos" als ziemlich unbildbar aussortiert. Heute werden Lehrmethoden der Interaktion angewandt. Ergebnis: Trisomie 21 ist keine unüberwindliche Hürde zur Matura, auch nicht zum Uni-Abschluss.

Mitarbeitergespräche

Zurück zum Führungsalltag. Thema Mitarbeitergespräch. Da seien die Erfahrungen der Geführten meist nicht gut. Im Frontallappen werde das kognitive Netzwerk aktiviert, das merkt sich, was alles schon wieder nicht gepasst hat. Parallel wird das emotional verknüpft gemerkt, was dabei gefühlt wurde. Wiederholt werde das zur Erfahrung, zur Haltung.

Genauso beim Lernen: Die meisten Menschen hätten da eben die Erfahrung gemacht, dass Lernen anstrengend ist, man bewertet und benutzt wird. Schlechte Nachricht: Durch Incentives werden diese abgespeicherten Erfahrungen, Autobahnen im Gehirn, nicht korrigiert. Nicht mit Belohnung, schon gar nicht mit Bestrafung.

Gute Nachricht: Bis ans Lebensende ist es möglich, Autobahnen mit günstigen Lernerfahrungen anzulegen. Der Spruch "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr" sei falsch und wissenschaftlich zigmal widerlegt, so Hüther.

Das Hirn, ein Muskel

Das Hirn verschalte sich ständig neu, wenn es für etwas anderes benutzt wird. Aber: Das macht nicht irgendein Gehirnjogging oder regelmäßiger Denksport beim Kreuzworträtseln. "Da passiert nix. Das Hirn ist kein Muskel, den man wie im Fitnessstudio trainiert."

"Lernen muss unter die Haut gehen - wenn es das nicht tut, dann merkt sich das Hirn nix. Wenn es mich angeht, wenn es mich betrifft, dann gehen die emotionalen Zentren im Mittelhirn an. An den Enden kommen die neuroplastischen Botenstoffe heraus, und die schütten wie eine Gießkanne ein Gefühl von high aus."

Gleichzeitig zu dieser Euphorie düngen diese Botenstoffe Netzwerke im Gehirn und regen Verschaltungen an, bringen Eiweiße dazu, Kontakte zu knüpfen. Hüther: "Deswegen werden wir in den Dingen, die uns Freude machen immer besser."

Gießkanne im Kopf

Lernen sei also ein "begeisterungstechnisches Problem". Und begeistern könne man sich schwer an sich selbst, das klappe am besten in sozialen Gefügen, dort, wo Zugehörigkeit und Verbundenheit besteht. So kriege man die Gießkanne im Kopf an. In Räumen, die einladen, mit Menschen, die einladen und die den gleichen Wunsch haben, nämlich diese Gießkanne im Kopf anzustellen.

Das seien positive Lernerfahrungen. Öfters gemacht, werden sie zu Haltungen. "Ermutigen und inspirieren" nennt Hüther als Zauberwort für die Linienmanager. "Supportive Leadership" heißt es in der Managementsprache.

"Raus aus dem Alltag", aus dem klassischen "alten" Seminarraum erscheint dabei als recht hilfreiches Vehikel. (Karin Bauer, FH-STANDARD, 7./8.12.2013)