Ungarn in den 1980ern: In Béla Pintérs "Our Secrets" fliegt ein Undergroundmusiker auf.

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Mária Szilágyi: "Es zählt nicht, was man geleistet hat, sondern ob man im Sinne der Regierung arbeitet."

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Die gute Nachricht zuerst: Béla Pintérs jüngstes Stück wird im kommenden Mai bei den Wiener Festwochen zu sehen sein. Neben Kornél Mundruczó, Árpád Schilling und Viktor Bodó gehört Pintér zu den Galionsfiguren des ungarischen Theaters, die auch im Ausland Furore machen. In Titkaink (Our Secrets), das nun beim Kortárs Drámafesztivál, dem Festival für zeitgenössische Theaterkunst in Budapest, zu sehen war, exemplifiziert Pintér in einem fabelhaften tragikomischen Schauspiel kommunistische Geheimdienstmethoden der 1980er.

Pintér bekommt neuerdings nur mehr die Hälfte seiner bisherigen staatlichen Unterstützung, wie er in einem Publikumsgespräch am Sonntag bestätigte. Auch das Dramafestival hat mit einem massiv geschrumpften Budget zu kämpfen. Das von Mária Szilágyi geleitete Festival in Budapest konnte seinen internationalen Programmteil heuer nicht ausrichten. 2012 blieb die Unterstützung ganz aus. Dabei hat Minister Zoltán Balog in einem STANDARD-Interview im Juli angegeben, das freie Theater bekomme mehr Geld als zuvor.

STANDARD: Was stimmt nun?

Szilágyi: Die Gesamtfördersumme mag höher sein als im letzten Jahr, aber wie wird diese Summe aufgeteilt? Darauf kommt es an. Es wurde einiges neu gegründet, etwa wurde ein Verband von freien Gruppen auf dem Lande ins Leben gerufen. Jetzt stimmen die finanziellen Proportionen mit den jeweiligen Leistungen nicht mehr überein. Unser Festival bekommt eine Million Forint, umgerechnet nur 3000 Euro. Das ist unter jeder Professionalitätsgrenze. Ich kann meine eigene Arbeit nicht bezahlen. Am härtesten trifft es aber die Künstler, die die Kosten für die Aufführungen allein tragen.

STANDARD: Will die Regierung das unabhängige Theater nicht?

Szilágyi: Früher stand im Gesetz, dass ein Zehntel der Fördersumme, die an die Stadttheater geht, der freien Szene zur Verfügung stehen soll. Dieses Gesetz hat Attila Vidnyánszky, der neue Direktor des Nationaltheaters, in seiner zweiten Funktion als Vorsitzender der Theaterkommission zu Fall gebracht. Nunmehr besteht gesetzlich keine Pflicht mehr, die freien Theatermacher zu unterstützen. Es ist deutlich, dass uns die Politik nicht haben will.

STANDARD: Werden Sie aufgeben?

Szilágyi: Ich werde mich nächstes Jahr wieder bewerben. Wir sind das einzige Festival, das das ungarische Theater promotet. Es ist eigentlich eine Schande, dass der Staat an dieser Aufgabe nicht interessiert ist. Aber wenn es wieder eine so mickrige Summe ist, dann pfeife ich auf das Ganze. Heuer wären viele Gäste aus Osteuropa gekommen, aber sie konnten es sich nicht leisten. Ich schämte mich, denn wir konnten keine Einladungen aussprechen. Es wird in Ungarn nichts verboten, sondern ausgehungert.

STANDARD: Von welchen Themen wird die ganz junge Theatergeneration angetrieben, die den Kommunismus nicht mehr erlebt hat?

Szilágyi: Das Schöne ist: Es gibt eine Vielfalt. Auch das ganze Bildungssystem bei uns hat sich geändert. Es gibt heute so viele Möglichkeiten für junge Leute, die Welt zu begreifen. Schon während der Schulzeit oder des Studiums kommt man ins Ausland. Und die neuen Medien tun das Ihre dazu. Bei uns glauben ja nur mehr die ganz alten Leute, was in den Fernsehnachrichten gezeigt wird, die Jungen checken das im Internet gegen. Unsere jungen Leute sind bereit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und das ist für mich die Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. Sie können ihren Master im Ausland machen, das verdanken wir der EU, das sehen viele nicht. Natürlich gibt es auch Neonazis oder die, die alten Idealen anhängen.

STANDARD: Das ungarische Theater spaltet sich in propagandistisches und nichtpropagandistisches Theater auf, sagte hier am Festival ein Kritiker. Sehen Sie das auch so?

Szilágyi: Ganz genau. Das ist die größte Kluft innerhalb des Theaterbetriebs hier. Und das ist ein großes Problem, denn die Kultur wird dadurch politisiert.

STANDARD: Die jüngsten Personalentscheidungen zeigen einen klaren Rechtsruck an. Wo führt das hin?

Szilágyi: Die Politik überschreibt künstlerische Aspekte. Es zählt nicht, was man geleistet hat, sondern ob man im Sinne der Regierung arbeitet. Róbert Alföldi, der ehemalige Direktor des Nationaltheaters, hat Großartiges geleistet. Er hat eine eigene Handschrift entwickelt, das Haus war voll, er hat alles richtig gemacht, nur hat er andere ethische und moralische Werte vertreten als die Regierung. Das hat der Minister auch klar ausgesprochen: "Uns liegt Vidnyánszky mehr."

STANDARD: Vor wenigen Tagen hatte Vidnyánszkys "Johanna auf dem Scheiterhaufen" von Paul Claudel Premiere. Es ist ein Anti-EU-Stück geworden, bei dem EU-Politiker diffamiert werden. Der lange Arm der Regierung?

Szilágyi: Ja. Das Nationaltheater macht auf sehr plumpe Weise politische Propaganda. Schon die Eröffnungspremiere im September diente zur Erbauung, zur Feier des Ungarntums, das sich vom Westen lösen solle. Das Nationaltheater soll als Lehrmeister der Nation die Ideologie der Regierung umsetzen.

STANDARD: Die Publikumsreaktionen waren bescheiden. Werden junge Leute überhaupt hingehen?

Szilágyi: Ganz bestimmt. Es gibt diese nationalistisch geprägten Lebenswege zunehmend. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 5.12.2013)