STANDARD: Was ist eine gute Einstiegsfrage?

Schmidtkunz: Eine, die meinem Gegenüber signalisiert: Du bist bei mir gut aufgehoben. Das bedeutet nicht, dass ich unkritisch bin. Das bedeutet: Du sollst merken, ich habe mich gut auf dich vorbereitet. Ich weiß mit wem ich rede und du kannst unbesorgt sein. Wenn ich dem anderen emotional eine Straße öffne. Bei einem Gespräch von einer Stunde muss ich ganz nah an der Person sein.

Interviewerin Renata Schmidtkunz will "nah an der Person" sein.
Foto: Fischer

STANDARD: Mit welchem Ziel gehen Sie in ein Interview?

Schmidtkunz: Mein Ziel ist immer, den Zuhörerinnen und Zuhörern zu ermöglichen, diese Person kennenzulernen, damit sie sich danach ein eigenes Urteil bilden können. Dazu bereite ich mich maximal vor.

STANDARD: Wie sah die Vorbereitung bei Ihrem ersten Gast, Claude Lanzmann, aus?

Schmidtkunz: Ich habe alle acht Filme von ihm gesehen, darunter neun Stunden "Shoah", viereinhalb Stunden "Murmelstein". Ich habe seine Biographie gelesen, viele Zeitungsartikel. Ich muss einschätzen können, wie die Person auf mich reagiert.

STANDARD: Lanzmann gilt als schwieriger Interviewpartner.

Schmidtkunz: Ich habe lange überlegt, ob ich es überhaupt machen soll, weil er bekannt dafür ist, dass er Journalisten frisst. Die Blöße wollte ich mir nicht geben, deshalb habe ich mich noch besser vorbereitet. Das hat er gemerkt, und am Ende hat er mir die Hände geküsst. Es lohnt sich, und ich finde jeder Gesprächspartner hat es sich verdient, dass man sich gut auf ihn vorbereitet. Sonst ist es Zeitverschwendung.

STANDARD: Die Gefahr des Überinformiertseins sehen Sie nicht?

Schmidtkunz: Ich will es so sagen: Wenn ich eine Operation am offenen Herzen mache, habe ich eine Auswahl an Instrumenten liegen. Ich brauche vielleicht nicht alle, aber wenn es nötig ist, könnte ich darauf zurückgreifen. So ist es auch mit einem Interview. Ich will nicht in eine Situation kommen, in der jemand etwas sagt, was nicht stimmt und ich kann nicht widersprechen oder jemand etwas nicht sagt, weil er vielleicht bescheiden ist oder etwas verheimlichen will.

STANDARD: Haben Sie eine genaue Liste oder fragen Sie spontan?

Schmidtkunz: Meine Interviews sind durchkomponiert von der ersten bis zur letzten Frage. Ich baue Bögen und Sollbruchstellen ein. Wenn ein Gespräch eine andere Wendung nimmt, dann nehme ich das auf, versuche aber wieder zu meiner Dramaturgie zurückzukommen.

STANDARD: Sind Gespräche im Radio oder im TV schwieriger?

Schmidtkunz: Auf das Medium kommt es nicht an. Ich war 24, als ich im Fernsehen das erste Mal eine Religionssendung moderierte. Ich trug einen kurzen, schwarzen Rock und hatte rote Lippen. Nach der Sendung kamen wahnsinnig viele Beschwerden an die Redaktion, von wegen, wie ich denn aussähe. Auf Ö1 kann ich theoretisch auch im Nachthemd sitzen, es kommt darauf an, was ich sage, und nicht darauf, wie ich ausschaue.

STANDARD: Ihr bestes Interview?

Schmidtkunz: Ein Gespräch mit dem ungarischen Philosophen Gáspár Miklos Tamás, 2011, kurz nachdem Ungarn den EU-Vorsitz übernahm. Wir haben es ganz gut geschafft, zu erklären, was es mit Orban auf sich hat, warum es so viel Hass in Ungarn gibt zwischen den politischen Fronten. Ein gutes Gespräch war mit Irina Liebmann, deren Vater Gründer des Neuen Deutschland war. Sie fing am Ende des Gesprächs an zu weinen und sagte: Jetzt tut der Westen so, als hätte er uns die Demokratie gebracht, aber wir waren es doch, die die kritischen Bücher geschrieben haben, wir waren, die die Ostermärsche und die Nachtgebete gemacht haben?

Ich habe mitgeweint und ließ das in der Sendung, weil es ein sehr emotionaler und deshalb um nichts weniger intellektueller Moment war. Die Nobelpreisträgerin Herta Müller war gut, weil das Gespräch eine Mischung aus Emotionalität und Erklärstücken war. Abgesehen davon, dass sie zirka 50 Zigaretten in der Stunde geraucht hat und ich danach halb tot war.

STANDARD: Und mit wem ging's gar nicht?

Schmidtkunz: Harald Krassnitzer. Auf ihn hatte ich mich sehr gefreut, aber das Gespräch blieb oberflächlich. Herbert Grönemeyer und Richard David Precht fallen mir ein. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

STANDARD: Wer steht auf Ihrer Wunschliste?

Schmidtkunz: Die, die jetzt kommen: Lanzmann, die ostdeutsche Schriftstellerin Daniela Dahn, der Direktor vom Bauhaus Dessau Philipp Oswald, der scheidende Caritas-Präsident Franz Küberl, Willy Brandts Büroleiter Egon Bahr.

STANDARD: Gibts auch utopische Wünsche?

Schmidtkunz: Christoph Waltz, Jerry Lewis, und ich hätte unglaublich gern Sean Penn.

STANDARD: Ihre Einstiegsfrage an ihn?

Schmidtkunz: "Warum Sind sie so zornig?" Es gibt einen Grundsatz in meinem Leben, der heißt: Ein "Nein" hab ich schon, ein „Ja" krieg' ich noch. Ich greife eher nach oben, und bei Penn werde ich anfragen.

STANDARD: In Österreich wird oft die Gesprächskultur kritisiert. Wie stehen Sie dazu?

Schmidtkunz: Das stimmt. Als ich zum ORF gekommen bin, hörte ich immer wieder, ich sei so aggressiv. Ich dachte lange darüber nach, und dann fiel mir auf, dass sie meinen, wenn man sagt: Die Sendung gestern war gut, aber ich denke, da könnte noch etwas besser sein. Das wird als Aggression empfunden. Ich denke, das hat etwas mit katholischem Obrigkeitsdenken zu tun. Ich bin evangelisch und habe von Kleinauf daheim gelernt, wenn du etwas tust, dann übernimm' Verantwortung und sag' deine Meinung.

In Österreich herrscht durch dieses Gottesgnadentum die Überzeugung, wenn es von oben jemand erlaubt, darf der untere etwas sagen. Das ist eine Grundstruktur in der Gesellschaft. Wenn in Österreich jemand seine Meinung sagt, dann nur, weil jemand hinter ihm steht und ihn deckt und ihm die Erlaubnis erteilt.

Schmidtkunz wünscht sich einen höheren Frauenanteil und mehr jüngere Gäste.
Foto: Fischer

STANDARD: Und wer ist der beste Interviewer?

Schmidtkunz: Ich finde Günther Jauch gut, ich mag die Interviews von Katja Nikodemus in der Zeit. Günter Hofmann in der Zeit. Ich mochte den Interviewstil von Peter Pawlovsky und Krista Fleischmann in ihrer Herbheit. Ich mag Leute, die nicht gefällig sind.

STANDARD: Ihre persönliche Handschrift?

Schmidtkunz: Ich will einen höheren Frauenanteil und mehr jüngere Gäste. Warum nicht auch einmal jemanden in "Im Gespräch" haben, der noch keine 30 ist? Diese alten Männer mit ihren Definitionen, wie unsere Gesellschaft zu sein hat, und was wir denken sollen – das soll niemandem gegenüber despektierlich sein, aber letztlich haben sie uns auch eine Gesellschaft hinterlassen, die nicht so toll ist.

STANDARD: Und wer kommt gar nicht in Frage?

Schmidtkunz: Weder der Herr Sido, noch der Herr Heinzl kommen zu mir in die Sendung. (Doris Priesching, DER STANDARD, 5.12.2013)