Mit ihrem Institut für angewandte Korruption veranstalteten sie in Wien gutbesuchte Korruptionsspaziergänge zu "Schauplätzen der Machenschaften": Julia Draxler, Roland Spitzlinger.

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Was Korruption begünstigt und wie man vorgehen sollte, um unbemerkt zu bestechen, das recherchieren die Kunstvermittlerin Julia Draxler und der Philosophie-Doktorand Roland Spitzlinger, Gründer des Wiener Instituts für angewandte Korruption. Mit Korruptionsspaziergängen durch Wien versuchten sie, auf humorvolle Weise für korrupte Machenschaften zu sensibilisieren – nun widmen sie sich auch der Korruption auf EU-Ebene. Warum sie dabei immer wieder auf nationale Gegebenheiten zu sprechen kommen, erzählten sie Maria Sterkl.

derStandard.at: Wo würden Sie hingehen, um einen Gesetzesentwurf, der Ihnen missfällt, zu verändern?

Julia Draxler: Ich kann zur Kommission gehen, zum Rat, zu den Abgeordneten – hier sind die Assistenten ganz wichtig: Oft sind es ja die Assistenten der Abgeordneten, die Abänderungsanträge einreichen.

Roland Spitzlinger: Bei jeder Richtlinie gibt es im Parlament einen Berichterstatter – und er hat relativ viel Einfluss. Im Fall der Datenschutz-Grundverordnung ist das ein Grüner. Für die Lobbyisten von Apple bis Microsoft ist das natürlich das Schlimmste, was passieren kann, da die Grünen sich gegen die Verwässerung von Datenschutz stemmen. Es war das Gesetz mit den meisten Abänderungsanträgen in der Geschichte der Europäischen Union – insgesamt waren es fast 4.000 Anträge. Der erste Entwurf hat den Lobbyisten nicht so gut gefallen, also haben sie gesagt: Wir schießen jetzt alles raus, was wir haben. Ein belgischer Abgeordneter hat allein über 200 Abänderungsanträge eingebracht – fast alle gegen mehr Datenschutz. Aufgeflogen ist das, weil dieser Abgeordnete ansonsten mit Datenschutz wenig zu tun gehabt hat. Die Leute haben sich gefragt: Warum jetzt auf einmal? Der Abgeordnete hat dann erklärt, dass sein Mitarbeiter die Anträge eingebracht habe.

derStandard.at: Ein Erfolg des Lobbyings?

Spitzlinger: Viele der 4.000 Abänderungsanträge stimmten stark mit Positionen von Lobbyverbänden überein. Der Verein Lobbyplag jagt Abänderungsanträge durch eine Plagiatssoftware und schaut, wie viele Übereinstimmungen es mit Positionen von Lobbyverbänden gibt. Da gab es schon große Überschneidungen mit der Industrie. Man kann aber auch schauen, wo die Grünen ihre Pro-Datenschutz-Anträge herhaben: Da sieht man dann auch, dass es zum Teil große Überschneidungen mit Digital-Rights-Vereinen gibt.

Draxler: Lobbyisten gibt es ja auf allen Seiten. Die Lobbyisten der Industrie stellen aber zwei Drittel aller Lobbyisten in Brüssel.

Spitzlinger: Die haben halt was zu verlieren. Für sie geht es um viel Geld. Das unterscheidet sie von den NGOs, die auch Lobbying betreiben – auch wenn sie sagen, dass sie es nicht tun. Alle lobbyieren. Sogar die Anti-Lobbying-NGOs lobbyieren – und zwar für strengere Gesetze fürs Lobbying.

derStandard.at: Eigentlich wollten wir ja über Korruption sprechen, sind aber ziemlich schnell bei Lobbying gelandet.

Draxler: Die Grenzen sind fließend. Der Einstieg ist immer, dass ich beeinflussen will. In dem Moment, wo jemand Geld dafür nimmt oder einen Job angeboten bekommt, beginnt Korruption. Aber so easy, dass du nur einen Geldkoffer anschleppen musst, und schon bekommst du ein Gesetz geändert, ist es natürlich nicht. Das ist lange, harte Arbeit. Die Unternehmen lassen sich da etwas einfallen, laden manche Abgeordnete zu teurem Essen ein, andere zum Hacker-Vortrag oder zum 3-D-Brillen-Testen. Ich sehe Korruption als Creative Industry – die meisten Bestechungsgeschäfte sind ziemlich kreativ.

derStandard.at: Was tun korrupte Lobbyisten, um unbemerkt zu agieren?

Draxler: Man sollte möglichst zu Abgeordneten aus Ländern gehen, in denen Bestechung großteils legal ist.

Spitzlinger: Wenn ich einen österreichischen Abgeordneten besteche – ich will jetzt keinen Namen nennen -, dann gilt österreichisches Strafrecht, bei Deutschen das deutsche. Man kann sich anschauen, welche Länder die UN-Konvention gegen Korruption noch nicht ratifiziert haben. Und: Man sollte sich möglichst nicht Abgeordnete aus dem eigenen Land aussuchen. Eine österreichische Firma sollte sich keinen österreichischen Abgeordneten aussuchen.

derStandard.at: Warum?

Spitzlinger: Weil sich dann die Medien gleich drauf stürzen. Besser ist, man besticht Abgeordnete aus anderen Ländern, das interessiert die Medien nicht so, weil man die meistens nicht kennt.

Prinzipiell ist es gut, sich an Abgeordnete zu wenden, die aus Ländern ohne ausgeprägte Informationsfreiheit kommen. Wie wir wissen, ist Österreich diesbezüglich ja ein großartiges Land. Für die Öffentlichkeit ist es dann sehr schwierig, herauszufinden, dass etwas passiert ist. Man braucht ja erst einmal einen Hinweis, um überhaupt nachforschen zu können – wenn man dann aber keine Auskünfte bekommt, dann kann man es nicht beweisen.

derStandard.at: Wie transparent ist die Arbeit der Kommission – oder anders: wie korruptionsanfällig?

Spitzlinger: Meistens kommen die Initiativen für Gesetze ja von der Kommission. Da fängt irgendein Mitarbeiter einmal an, einen Entwurf zu schreiben – das ist noch relativ transparent. Dann treffen sich die Vertreter der Kommission mit unzähligen Lobbyisten – und das ist auch gut, sie brauchen ja den Input von allen Seiten.

Draxler: Wobei das auch problematisch ist: Man braucht schon entsprechende Macht, um überhaupt zu wissen, dass da gerade etwas Entscheidendes passiert. Wenn ich nichts davon weiß, kann ich auch nicht lobbyieren.

Spitzlinger: Aus diesem Grund wurde das Transparenzregister gemacht. Die, die sich dort eintragen lassen, sollen mehr Information erhalten als andere.

Draxler: Mein Eindruck ist, dass es ohnehin sinnvoller ist, es über die nationale Schiene zu versuchen. Bei der Kommission muss ich mich an extrem viele Leute wenden. Und das wird ja auch gemacht: Professionelle Lobbyingorganisationen setzen Milliarden ein, schalten sich schon extrem früh ein und sind auf allen Ebenen mit dabei.

Spitzlinger: Wenn man kein großer Konzern ist, kann man sich das meist gar nicht leisten. Oft ist es so, dass die Lobbyisten selbst aus der Kommission oder aus dem Parlament kommen. Die Assistenten haben oft große Angst, wo sie unterkommen, falls ihr Abgeordneter nicht mehr ins Parlament gewählt wird – und sie schauen sich schon davor ständig um. Ehemalige Mitarbeiter der Kommission oder des Parlaments werden besonders gerne von Lobbyisten angeworben, weil sie schon Kontakte haben. Es gibt da allerdings eine Regelung, wonach Kommissionsmitarbeiter nach dem Ausscheiden für eine gewisse Zeit nicht in einem ähnlichen Bereich arbeiten dürfen – wobei das unterschiedlich streng ausgelegt wird.

Draxler: Was es für manche Abgeordnete sehr undurchsichtig macht, ist, dass die Abänderungsanträge ja sehr juristisch formuliert sind. Da heißt es dann: Paragraf sowieso Absatz sowieso soll soundso abgeändert werden. Das sind nur ein paar Worte, die aber oft Milliarden bedeuten.

Spitzlinger: Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es auf EU-Ebene noch relativ transparent und unkorrupt zugeht – zumindest im Vergleich mit der kommunalen Ebene. Beispiel Santer-Kommission: 1999 ist die gesamte EU-Kommission zurückgetreten, weil eine Kommissarin ihren Zahnarzt als Mitarbeiter engagieren wollte. Das ist aufgeflogen, und sie hat sich geweigert zurückzutreten. Daraufhin ist die gesamte Kommission zurückgetreten. Das muss man sich einmal vorstellen. In österreichischen Gemeinden würde das kaum jemanden aufregen.

Draxler: Das Problem auf Gemeinde-Ebene ist, dass die Medien meist nicht besonders unabhängig sind. Darum fehlt die mediale Kontrolle.

Spitzlinger: Wenn es hingegen um die EU geht und es riecht nur ein bisschen nach Korruption, dann ist das für die Medien immer ein gefundenes Fressen, das wird gerne ausgeschlachtet.

Draxler: Darum ist das auch ein guter Tipp für nationale Politiker, die sich bestechen lassen: immer mit der EU ablenken. Das funktioniert gut, wenn man Dreck am Stecken hat.

derStandard.at: Gegen Österreichs Gemeinden sind die EU-Institutionen also korruptionsfreie Oasen?

Draxler: Es kommt darauf an, wie man es bewertet: Auf EU-Ebene geht es ja schnell um Milliardenbeträge.

Spitzlinger: Wenn ein Bauer einen Bürgermeister schmiert, damit sein Grund umgewidmet wird, was wahrscheinlich hundertfach vorkommt, dann ist das auch schlimm – aber es geht halt um andere Beträge. (Maria Sterkl, derStandard.at, 2.12.2013)