Fuchsbau und Labyrinth: die Multimediainstallation "Animathograph Edition Parsipark (Ragnarök)" von 2005.

Foto: UWE WALTER

Bevor man in die Ausstellung zum Gedächtnis an Christoph Schlingensief hineindarf, muss man erst einmal in den Beichtstuhl. Im Innenhof der Berliner Kunst-Werke steht ein Häuschen, das als Schleuse in eine Kirche der Angst dient. Das war eines der späteren Großprojekte des wichtigsten Gesamtkünstlers in Deutschland nach Joseph Beuys. Es begann 2003 bei der Biennale in Venedig und durchlief dann verschiedene Stadien, bei der Ruhrtriennale 2008 stand es (als "Fluxus-Oratorium") bereits im Zeichen der Krebserkrankung, der er im August 2010 wenige Wochen vor seinem 50. Geburtstag erlag.

In dem Beichtstuhl trifft man keinen geistlichen Herrn an, es spricht auch niemand eine Lossprechung, stattdessen kann man durch einen kleinen Spalt, hinter dem sich normalerweise der sogenannte Beichtvater undeutlich zu erkennen gibt, auf ein Videobild schauen, das auf einen anderen Ort verweist, auf eine Szene, die einmal "live" war und nun Kunstgeschichte ist.

Diese Spannung wird in einer Schlingensief-Ausstellung so deutlich wie kaum einmal, denn er reagierte immer sehr stark auf dem Moment, seine ungeheure Produktivität beruhte auf einer Improvisation, die in den verschiedenen Talk-Show-Formaten ihre beste Form fand.

2011 ließ Susanne Gaensheimer den Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig in eine "Kirche der Angst" umbauen, es war der erste größere Versuch, das Werk von Schlingensief durch Rekonstruktion zu aktualisieren. Denn im Detail stellen sich bei diesen zum Teil aufwendigen Installationen zahlreiche restauratorische Fragen: Wie lassen sich Arbeiten, die zugleich konkrete und imaginäre Räume darstellen, die den Geist elaborierter Baumhäuser oder Gedankenhöhlen verströmen, durch die Zeit bringen?

Eine Moderlandschaft

In den Kunst-Werken wird dies nun bei der aktuellen Ausstellung besonders im Hauptraum als Problem, aber auch als Gewinn deutlich. Hier bekommt Schlingensief noch einmal eine ähnlich große Bühne wie im Deutschen Pavillon: An den Pfählen der Säulenheiligen, die er 2003 anlässlich eines ersten Pfahlsitzwettbewerbs im Rahmen der Church of Fear in Venedig aufstellen hatte lassen, vorbei kommt man zu dem Animatograph Edition Parsipark (Ragnarök), einer Drehbühne, die zugleich Fuchsbau, Labyrinth und Sagenlandschaft ist.

Man kann sich an das Bühnenbild zu Kaprow City erinnert fühlen, einer der umstritteneren Schlingensief-Inszenierungen an der Volksbühne 2006, wo er das Prinzip ständig veränderter Perspektiven und Sichtfenster radikalisierte. Beim Animatograph, der ja auch eine Moderlandschaft ist, bekommt man tatsächlich sehr stark das Gefühl, in eine ur- oder vorzeitliche Konstellation einzutreten, gewissermaßen sich mythisch verschaukeln zu lassen. Und zugleich ist die Sache in hohem Maß als Artefakt erkennbar und stellt praktische Fragen vor allem hinsichtlich der Transportabilität: Was macht das Museum aus den häufig ja für bestimmte Orte und Zusammenhänge entworfenen Arbeiten von Schlingensief?

Die Kunst-Werke sind kein Museum, doch stellt die neue Schlingensief-Schau ganz eindeutig einen Testlauf dar für eine künftige große Schau in einem der ersten Häuser des Betriebs. Von der künstlerischen Substanz hat sein Werk eindeutig genug zu bieten, doch bleibt nach dem Durchgang durch die vier Etagen der von Klaus Biesenbach, Anna-Catharina Gebbers und Susanne Pfeffer gemeinsam mit Aino Laberenz, der Nachlassverwalterin, gestalteten Schau die Frage, ob denn hinreichend Objekthaftes vorhanden ist, um zwischen den vielen Bildschirmen nicht gänzlich verloren zu gehen.

Schlingensiefs beste Arbeiten fanden in Theater- oder Medienzusammenhängen statt (Rosebud, Talk 2000), sie waren Aktionen, die auf ganze Gesellschaften zielten (Chance 2000, Ausländer raus), und schließlich gibt es noch ein filmisches Werk, das in den Kunst-Werken den dramaturgischen Endpunkt bildet, mit vier Sichtungszellen im obersten Stockwerk. Zwischen allen diesen Komplexen stellt die Ausstellung kluge Achsen her, zum Beispiel kann man eine Pressekonferenz von Jürgen Möllemann sehen, zu dessen "Tötung" Schlingensief aufgerufen hatte, einer der Provokationen, die von den Attackierten natürlich nicht leicht in ihrem performativen Charakter akzeptiert werden konnte.

Insgesamt stellt sich bei dieser Schau, bei der sich bereits am ersten Öffnungstag am Sonntag ein veritabler Publikumserfolg andeutete, ein Gefühl von Wehmut ein. Es rührt von der Lücke her, die gerade durch den so deutlich konservierenden Charakter des hier Gezeigten deutlich wird:

Schlingensief zeigte in all seinen Manövern eine unverwechselbare Integrität, er war in einer intellektuellen und künstlerischen Öffentlichkeit, in der strategische Selbstpositionierung fast schon das wichtigste Kriterium geworden ist, derjenige, der das alles aus- und aufhob, der als reger und empfindsamer Geist immer schon einen Schritt weiter war als die Verwertungslogiken, die sich erst allmählich auf ihn einstellen konnten. Dass dieses besondere Element von Avantgarde in den Kunst-Werken deutlich wird, ist nicht zuletzt daran zu ersehen, dass seine Arbeiten sich der Musealisierung widersetzen, was die Schlingensief-Schau in den Kunst-Werken als eigentliche Spannung durchzieht. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 3.12.2013)